Die Stadt brummt – vom Wasen mit den Toten Hosen bis zur City mit den Jazz Open. Der Stuttgart-Sommer 2022 ist reich an Höhepunkten. Auch die Polizei ist erfreut über das Wochenende der Großevents. Eindrücke zwischen After-Show-Party und Sting-Hits.

Stadtleben/Stadtkultur: Uwe Bogen (ubo)

Hinterher bedanken sich die Toten Hosen via Facebook für einen „Wahnsinnsabend“ auf dem Wasen. 50 000 Fans haben mit der Band um Campino eine „Riesenparty“ erlebt, so wird euphorisch gejubelt. Mittendrin: Landwirtschaftsminister Cem Özdemir. Nicht nur am Neckar feiern die Massen das Leben – auch im Kessel der City brodelt’s. Jazz Open, Fischmarkt, Sommerfestival der Kulturen, Ballett im Park, Tanzfestival Colours, eine voll besetzte Freitreppe am Kleinen Schlossplatz, verzückte Zaungäste, die auf dem Rasen hinter den Absperrungen Robert Plant, den früheren Sänger von Led Zeppelin, zwar nicht sehen, aber gut hören können – die Stadt in Sommerlaune fühlt sich an wie Urlaub.

 

Obwohl so viele Menschen am Samstagabend unterwegs sind, als gehe es darum, all das nachzuholen, was Corona verhindert hat, muss die Polizei selten ausrücken. Alles bleibt friedlich. Ein Sprecher der Polizei nennt einen Grund dafür: „Wenn so viel los ist, vermischt sich alles.“ Sprich: Wer Probleme bereiten könnte, wird von so viel Begeisterung mitgerissen. Konfliktpotenzial geht unter in der Überdosis an guter Laune.

Die US-Botschafterin kennt John Legend von der Universität

Zum Feiern des Stuttgart-Sommers 2022 ist ein hoher Gast aus Berlin angereist: Die US-Botschafterin Amy Gutmann erlebt das Konzert von John Legend nicht etwa in einer Loge der Jazz Open, sondern mittendrin auf einer Tribüne, umgeben von ihrer Security. Nur das Staatsministerium ist über den privaten Geheimbesuch informiert worden. Die Botschafterin war früher Professorin für Politik in den USA – einer ihrer Studenten war der heutig Weltstar John Legend. Dessen einziges Konzert in Deutschland wollte sich Amy Gutmann unbedingt anschauen. Hinterher trifft man sich backstage.

Kulturbürgermeister Fabian Mayer rühmt die „Leichtigkeit der Stadt“

Jürgen Schlensog, der Promoter der Jazz Open, hat allen Grund zum Strahlen. Ein künstlerischer Gewinn ist sein vielfältiges Programm sowieso, aber mit 44 000 zahlenden Besucherinnen und Besuchern (dazu kommen 10 000 bei eintrittsfreien Bühnen) an elf Tagen sieht es auch finanziell für die Veranstalter gut aus. Stuttgart, erklären ihm die Künstler aus Übersee, steht nun in einer Reihe mit den Jazzfestivals in Montreux und Rotterdam. Wenn die Stars auf Europatour gehen, wollen sie in diesen drei Topstädten auftreten. Die Bedeutung des Stuttgarter Festivals unterstreicht der TV-Sender Arte, der einen Großteil der Schlossplatz-Konzerte aufgezeichnet oder live gestreamt hat. Kulturbürgermeister Fabian Mayer (CDU), mehrfach Gast im Ehrenhof, freut sich, dass die Jazz Open weit über Stuttgart hinaus strahlen – von diesem Imagegewinn profitiert die Stadtwerbung. Er freut sich auch über „die Leichtigkeit“, die in die Stadt nach der langen Coronapause zurückgekehrt sei.

Was ist für Promoter Schlensog sein persönliches Highlight bei den 28. Jazz Open, die am Sonntag mit dem um drei Jahre verschobenen Konzert von Sting vor der traumhaften Kulisse des Neuen Schlosses zu Ende gehen? Besonders mitgerissen hat ihn der Auftritt von Robert Plant, sagt er. Aber eine private Rangliste lehnt er strikt ab: „Das ist doch gerade das Besondere an unserem Festival, dass bei uns völlig verschiedene Künstlerinnen und Künstler aus Jazz and Beyond (darüber hinaus) auftreten, die man beim besten Willen nicht vergleichen kann.“

Als Robert Plant sich ein Autogramm von Van Morrison holte

An allen Tagen spürt Schlensog, „wie sehr den Leuten das Live-Erlebnis gefehlt hat, wie intensiv sie die Konzerte genossen haben“. Der Sommer 2022 geht in die Festivalgeschichte ein als das Jahr mit dem besten Wetter und der besten Stimmung trotz harter Zeit. Der Promoter freut sich über die Erinnerung, die ihm der 73-jährige Robert Plant erzählt. Ebenfalls am Samstagabend spielt der 76-jährige Van Morrison im Ehrenhof – genau jener nordirische Musiker, für den der Brite Plant mit seiner ersten Rockband noch vor Led Zeppelin in den 1960ern die Vorgruppe stellte. Damals habe er sein Idol Morrison um ein Autogramm gebeten, das er bis heute in Ehren aufbewahre.

After-Show-Party der Jazz Open im La Commedia

Bei der After-Show-Party für die Artisten, Sponsoren und das Mitarbeiterteam in der Nacht zum Sonntag im Ristorante La Commedia erzählt man sich noch mehr schöne Geschichten. Als Gentleman, durch und durch höflich, beschreibt Stefanie Anhalt, die Moderatorin der Jazz Open, den Popstar Sting. An Englishman in Stuttgart – darauf haben die Fans sehr lange gewartet. Jetzt ist alles ausverkauft! Vor dem Konzert geht er zum Essen ins Oggi auf dem Kleinen Schlossplatz. Auf seiner Setlist stehen seine größten Hits – von „Message in A Bottle“ um 20.45 Uhr zum schnellen Start bis „Fragile“ als zweite, sanfte Zugabe bis 22.20 Uhr. Bei allen Konzerten der Jazz Open war die Stimmung sehr gut. Doch das Finale mit dem immer noch viel jünger aussehenden 70-Jährigen scheint noch mal alles zu toppen. Auch seinen Sohn hat er mitgebracht sowie junge Musiker an der Mundharmonika und Gitarre. Fast alle 7000 Fans – quer durch die Generationen – singen von Anfang an mit.

Im La Commedia feiert Judith Hill mit, die am Sonntag vor Sting ein viertes Mal (weil’s so schön war) bei den Jazz Open auftritt. Die 38-Jährige, Artist in Residence des Festivals, steht mit ihrer Mutter und ihrem Vater auf der Bühne. Beide sind Musiker und beide feiern bei der After-Show-Party mit. Weltweit bekannt wurde Hill, als sie bei der Trauerfeier für Michael Jackson „Heal the World“ sang und später verriet, dass sie mit Prince liiert war. Die Zeit in Stuttgart, sagt sie, genießt die US-Sängerin sehr: „Stuttgart is a Capital of Culture (eine Hauptstadt der Kultur).“