Vor allem aber hängt Zschäpes Zukunft von Manfred Götzl ab. Dem Vorsitzenden ging der Ruf voraus, ein brillanter Jurist, aber ein unbeherrschter, aggressiver und lautstarker Vorsitzender zu sein. In diesem so spektakulären Verfahren nahm Götzl sich zusammen, und er nahm sich zurück, soweit das bei ihm geht. Er leitete den Prozess bajuwarisch-rustikal, aber umsichtig. Es gelang ihm zunächst, zu allen Prozessbeteiligten ein erträgliches und auch belastbares Verhältnis aufzubauen. Im ersten halben Jahr nahm der Prozess mehr Fahrt auf, als viele erwartet hatten. Das hing auch mit der Struktur zusammen, die Götzl dem Verfahren gegeben hat, indem er fast nur Polizeibeamte als Zeugen lud. Götzl ist ein Virtuose der Strafprozessordnung.

 

Nach dem halben Jahr aber kommt der alte Götzl wieder zum Vorschein. Er wird immer häufiger laut; er fällt anderen Menschen ins Wort, obwohl er genau dieses Verhalten bei anderen hasst; er gibt sich immer häufiger penetrant oberlehrerhaft; seine Unbeherrschtheit und seine Emotionen suchen sich Raum. Und es wird immer deutlicher, dass er sich in andere Menschen und in andere Lebenssituationen als die eigene nicht hineinversetzen kann. Das hängt auch damit zusammen, dass nun nicht mehr Polizeibeamte, sondern Familienangehörige, Bekannte und frühere Freunde der fünf Angeklagten gehört werden. Viele von denen kommen aus dem ostdeutschen Subproletariat, wo der Alkohol zum Alltag gehört, Arbeit, die einen Menschen ernähren kann, weniger. Dort ist nicht die Sprache das Mittel der Wahl, um Konflikte auszutragen oder auch nur einander nahezukommen. Und so selten sind dort der dumpfe Rechtsradikalismus und der ganz gewöhnliche Rassismus auch nicht. Aber es handelt sich um Menschen, im Münchner Prozess um Zeugen. Zeugen, die auf einen Götzl treffen.

Richter Götzl herrscht mitunter Zeugen an

Vor allem aber kann Götzl keine Empathie zeigen. Wenn Angehörige der Opfer ihrem Leid, ihren Schmerzen, ihrer Verzweiflung, auch ihrer Wut Raum lassen, dann betrachtet Götzl sie fassungslos. Ein tröstendes, ein verständnisvolles Wort ist sein Ding nicht. Wenn Zeugen ihre Unsicherheit zeigen, von ihren Nöten berichten, dann schweigt Götzl bestenfalls, im weniger guten Fall herrscht er sie an. Dieser Mann erweckt den Eindruck, dass er sogar seinen Geburtstag nach den Regeln der Strafprozessordnung feiert.

Beate Zschäpe muss nicht nur Götzl, sie muss auch die Strafprozessordnung fürchten und das, was die Richter aus ihr gemacht haben. Die Polizeibeamten, die im ersten halben Jahr vernommen wurden, konnten sich präzise erinnern, scheinbar auch an Ereignisse, die bis zu 15 Jahre zurücklagen. Sie berichteten glaubhaft und überzeugend. Aber kann sich irgendein Mensch, und sei er erfahrener Polizeibeamter, nach vielen Jahren an all diese Details erinnern? Natürlich kann er das nicht. Man tritt all diesen Beamten nicht zu nahe, wenn man ihnen unterstellt, sie hätten wenige Tage vor ihrer Vernehmung all das nachgelesen, was in den Akten steht. Beamten ist nicht nur erlaubt, von ihnen wird erwartet, dass sie vor ihrer Zeugenvernehmung die Akten noch einmal durchlesen. Das unterscheidet sie von anderen Zeugen. Und das macht sie – jedenfalls in den Augen der Richter – zu so guten Zeugen. In Wahrheit sagt der beamtete Zeuge nicht aus, an was er sich erinnert, er sagt das aus, was er sich angelesen hat.

Zschäpes Verteidiger sind dem Prozess nicht gewachsen.

Denn es kommt in einem solchen Prozess nicht darauf an, wie jedes einzelne von zehntausend Puzzleteilen aussehen mag, das an Hunderten von Verhandlungstagen auf den Richtertisch gelegt wird. Es kommt darauf an, wie die Richter das alles in ihrer „freien Beweiswürdigung“ bewerten, wie offen sie sind, ihre „vorläufige“, aus den Akten der Bundesanwaltschaft gewonnene Meinung zu überprüfen. Sie sind nicht sehr offen, wie die Erfahrung zeigt, jedenfalls nicht bei dieser Form der Verteidigung.

Denn Heer, Stahl und Sturm haben sich in ihrer Prozessstrategie verfangen. Sie können eine schweigende Angeklagte nicht überzeugend, nicht zielführend und schon gar nicht mit dem notwendigen Furor verteidigen. Sie haben keine Idee, wohin sie den Prozess lenken könnten, um ihrer Mandantin zu helfen. Sie können lediglich an einzelnen Zeugenaussagen herummäkeln, Zweifel säen – und jeder fragt sich: Weshalb gerade an dieser Stelle, was nützt das nun wieder der Angeklagten? Und zumindest die beiden Männer haben auch nicht die Statur, einem sich mächtig fühlenden und auch so agierenden Götzl Paroli bieten, gar dieser Hauptverhandlung einen Stempel aufprägen zu können. Der Vorsitzende Richter behandelt sie, sobald sie nur kleine formale Fehler machen, wie Schulbuben, raunzt sie an. Die Verteidiger machen Fehler, auch unnötige formale. Und sie lassen sich Götzls Tiraden bieten, rennen allenfalls beleidigt aus dem Saal oder schweigen mit Flunsch. Zschäpes Verteidiger, man muss es leider sagen, sind einem Prozess dieser Größenordnung nicht gewachsen.

Götzl leitet den Prozess bajuwarisch-rustikal

Vor allem aber hängt Zschäpes Zukunft von Manfred Götzl ab. Dem Vorsitzenden ging der Ruf voraus, ein brillanter Jurist, aber ein unbeherrschter, aggressiver und lautstarker Vorsitzender zu sein. In diesem so spektakulären Verfahren nahm Götzl sich zusammen, und er nahm sich zurück, soweit das bei ihm geht. Er leitete den Prozess bajuwarisch-rustikal, aber umsichtig. Es gelang ihm zunächst, zu allen Prozessbeteiligten ein erträgliches und auch belastbares Verhältnis aufzubauen. Im ersten halben Jahr nahm der Prozess mehr Fahrt auf, als viele erwartet hatten. Das hing auch mit der Struktur zusammen, die Götzl dem Verfahren gegeben hat, indem er fast nur Polizeibeamte als Zeugen lud. Götzl ist ein Virtuose der Strafprozessordnung.

Nach dem halben Jahr aber kommt der alte Götzl wieder zum Vorschein. Er wird immer häufiger laut; er fällt anderen Menschen ins Wort, obwohl er genau dieses Verhalten bei anderen hasst; er gibt sich immer häufiger penetrant oberlehrerhaft; seine Unbeherrschtheit und seine Emotionen suchen sich Raum. Und es wird immer deutlicher, dass er sich in andere Menschen und in andere Lebenssituationen als die eigene nicht hineinversetzen kann. Das hängt auch damit zusammen, dass nun nicht mehr Polizeibeamte, sondern Familienangehörige, Bekannte und frühere Freunde der fünf Angeklagten gehört werden. Viele von denen kommen aus dem ostdeutschen Subproletariat, wo der Alkohol zum Alltag gehört, Arbeit, die einen Menschen ernähren kann, weniger. Dort ist nicht die Sprache das Mittel der Wahl, um Konflikte auszutragen oder auch nur einander nahezukommen. Und so selten sind dort der dumpfe Rechtsradikalismus und der ganz gewöhnliche Rassismus auch nicht. Aber es handelt sich um Menschen, im Münchner Prozess um Zeugen. Zeugen, die auf einen Götzl treffen.

Richter Götzl herrscht mitunter Zeugen an

Vor allem aber kann Götzl keine Empathie zeigen. Wenn Angehörige der Opfer ihrem Leid, ihren Schmerzen, ihrer Verzweiflung, auch ihrer Wut Raum lassen, dann betrachtet Götzl sie fassungslos. Ein tröstendes, ein verständnisvolles Wort ist sein Ding nicht. Wenn Zeugen ihre Unsicherheit zeigen, von ihren Nöten berichten, dann schweigt Götzl bestenfalls, im weniger guten Fall herrscht er sie an. Dieser Mann erweckt den Eindruck, dass er sogar seinen Geburtstag nach den Regeln der Strafprozessordnung feiert.

Beate Zschäpe muss nicht nur Götzl, sie muss auch die Strafprozessordnung fürchten und das, was die Richter aus ihr gemacht haben. Die Polizeibeamten, die im ersten halben Jahr vernommen wurden, konnten sich präzise erinnern, scheinbar auch an Ereignisse, die bis zu 15 Jahre zurücklagen. Sie berichteten glaubhaft und überzeugend. Aber kann sich irgendein Mensch, und sei er erfahrener Polizeibeamter, nach vielen Jahren an all diese Details erinnern? Natürlich kann er das nicht. Man tritt all diesen Beamten nicht zu nahe, wenn man ihnen unterstellt, sie hätten wenige Tage vor ihrer Vernehmung all das nachgelesen, was in den Akten steht. Beamten ist nicht nur erlaubt, von ihnen wird erwartet, dass sie vor ihrer Zeugenvernehmung die Akten noch einmal durchlesen. Das unterscheidet sie von anderen Zeugen. Und das macht sie – jedenfalls in den Augen der Richter – zu so guten Zeugen. In Wahrheit sagt der beamtete Zeuge nicht aus, an was er sich erinnert, er sagt das aus, was er sich angelesen hat.

Polizeibeamte gelten als sehr glaubwürdig

Und die Richter haben genau dieselben Akten vor sich liegen, die der Zeuge gelesen hat. Sie schöpfen aus dem Inbegriff dieser Akten ihr Vor-Wissen; sie haben sich auf der Grundlage dieser Akten ihre Vor-Urteile gebildet. Und sie stellen, gerade in München, erfreut fest, wie wenig Abweichungen es zwischen dem Inhalt der Akten und dem Inhalt der Aussagen von Polizeibeamten gibt. Auch deshalb gelten Polizisten als so glaubwürdige Zeugen. Der deutsche Strafprozess nach den Regeln der ehrwürdigen Strafprozessordnung ist über weite Strecken ein Ritual wie die Fronleichnamsprozession. Nur das die Monstranz des Rechtsstaats, die hier vorausgetragen wird, leer ist – und die Wahrheitsfindung erschwert.

Die Polizei hat, jeder weiß es, bei den Ermittlungen im NSU-Komplex schwere Fehler gemacht; sie hat einseitig ermittelt. Die Nebenkläger versuchen es herauszufinden. Das Aktenwissen der Polizei-Zeugen bildet für sie aber eine kaum durchdringbare Mauer, wenn es darum geht, Aussagen in Zweifel zu ziehen, Widersprüche aufzudecken. Auch deshalb kam Richter Götzl so schnell voran. Auch deshalb gibt es so wenig Neues.

Warum der Prozess zurzeit stockt

Jetzt aber werden jene Menschen gehört, die keine Akten lesen durften, die noch nie in einem Gerichtssaal waren. Die in München fünf Stunden und länger auf den Beginn ihrer Aussage warten müssen. Die mehrfach geladen und kurzfristig wieder abgeladen werden. Die sich nicht ausdrücken können. Die von Götzl, der andere ermahnt, keine Suggestivfragen zu stellen, angemotzt werden. Denen der Richter erklärt, er glaube ihnen nicht – und sie so unter Druck setzt. Und nach dem Richter kommen die Nebenklägervertreter, denen jetzt gelingt, was ihnen bei den Polizeibeamten nicht gelungen ist: Zeugen aggressiv zu vernehmen, zu verunsichern, in die Enge zu treiben. Ja, es sind unangenehme Zeugen darunter, Rechtsradikale, Ausländerfeinde. Aber manchmal auch nur Menschen aus einer anderen Welt. Jetzt stockt der Prozess. Wenn es so weitergeht, kann er noch Jahre dauern. Zur Wahrheitsfindung hat das bisher nicht beigetragen.

Es geht um furchtbare Verbrechen. Es geht um unsägliches Leid. Es geht auch um einen Angriff auf die Grundwerte dieser Gesellschaft. Es kann sein, dass es mit Beate Zschäpe die Richtige trifft. Dass diese Frau all das so getan hat, wie es ihr die Anklage vorwirft. Vieles spricht dafür. Aber diese Gesellschaft hatte sich einst mühselig dazu durchgerungen, anspruchsvollere Standards für die strafrechtliche Verurteilung eines Angeklagten anzuwenden. Wieder einmal, so steht zu befürchten, findet sie in einem Terroristen-Prozess die Kraft dazu nicht. Und die Rechten, die dieser Gesellschaft sowieso alles Böse zutrauen, werden sich in ihren Vorurteilen bestätigt sehen.