Bei SPD und Gewerkschaft macht sich Frust darüber breit, dass der gesetzliche Mindestlohn so langsam steigt. Daher setzen sich die Genossen für eine neue Zielmarke von zwölf Euro ein. Um diese zu realisieren, bräuchte es allerdings ein Bündnis links der Mitte, meint Matthias Schiermeyer.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Stuttgart - Noch hält die große Koalition in Berlin, doch driften die Partner absehbar auseinander. Die CDU dürfte sich unter dem neuen Vorsitz wieder in die konservative Ecke bewegen – die SPD nach links. Die Koalitionäre haben ihr Glück in der gemeinsamen Mitte nicht gefunden. Also werden sie versuchen, ihr Profil neu auszuprägen, um sich stärker abzugrenzen und verlorene Wähler zurückzuholen. Aus Sicht der Genossen soll speziell der gesetzliche Mindestlohn die Partei wieder erkennbarer machen. Mit dem jetzigen Bündnispartner werden sie da nichts mehr bewegen können, also zielt der Vorstoß einer Untergrenze von zwölf Euro eher in die Zukunft – er ist auch Ausdruck der Hoffnung auf ein Bündnis links der Mitte.

 

Lebenshaltungskosten steigen schneller als der Mindestlohn

Im Lager der Gewerkschaften und Sozialverbände herrscht breite Enttäuschung darüber, dass der Mindestlohn so langsam steigt. Der Unmut ist verständlich, wenn man etwa an die rasant wachsenden Mieten oder Heizkosten denkt. Hinzu kommt, dass der gesetzliche Mindestlohn von vielen Arbeitgebern im Niedriglohnbereich umgangen wird – mithilfe von Tricksereien bei der Arbeitszeit etwa. So kommen die Zuwächse bei den Beschäftigten oft nicht mal an. Da besteht Handlungsbedarf.

Das Verfahren ist etabliert und akzeptiert

Folglich wächst auch der Druck, sich für größere Lohnsprünge einzusetzen. Nach nur vier Jahren Laufzeit ein neues Verfahren erfinden zu wollen würde die Verlässlichkeit der Regierenden aber infrage stellen. Zu viel Kraft hat es SPD und Gewerkschaften einst gekostet, Union und Wirtschaft einen Mindestlohn abzutrotzen. Nun hat man ein geordnetes Prozedere, das auch die Tarifautonomie von Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften sichert. Nun sollte dieses System erst einmal beibehalten werden. Es ist legitim, wenn sich die SPD auf längere Sicht für die Symbolzahl von zwölf Euro einsetzt. Doch wie schon bei der Agenda 2010 oder der seinerzeit industriefreundlichen Steuerpolitik würden die Genossen erneut von später Erkenntnis getrieben, dass sie Fehler gemacht haben. Eine weitere Kehrtwende glaubwürdig zu vermitteln wird nicht einfach werden.