Fieberhaft sucht das pleitebedrohte Zypern einen Weg aus der Krise: Nach dem Scheitern des Rettungspakets im Parlament setzt die Insel nun die Hoffnungen auf Russland, Frankreich und auf die eigene Kirche.

Nikosia - Vielleicht kommt die Rettung von ganz oben. Seine Seligkeit Chrysostomos II., Erzbischof von Zypern, eilt am Morgen nach der historischen Entscheidung des zyprischen Parlaments in den Präsidentenpalast, um der Nation zu helfen. „Das gesamte Eigentum der Kirche steht dem Land zur Verfügung, um das Volk zu unterstützen, damit das Banksystem nicht kollabiert und wir auf eigenen Füßen stehen können“, diktiert der Kirchenpatriarch nach dem Treffen mit dem Präsidenten den Journalisten in die Blöcke. Die Kirche verfüge über immensen Grundbesitz, fügt der Erzbischof hinzu. Er sei sicher, dass die Bürger dem Staat helfen wollten.

 

Das ist kein ganz uneigennütziges Angebot, weil die Kirche größter Einzelaktionär der Hellenic Bank ist, des drittgrößten Kreditinstituts der Insel. Das macht die Offerte aber nicht weniger großzügig, denn die Kirche Zyperns dürfte die reichste Institution der Insel sein. Ihr Landbesitz ist nahezu unüberschaubar. Auch ist der Klerus größter Aktionär des zyprischen Bier- und Spirituosenkonzerns Keo. Wie sich der Kirchenbesitz versilbern oder beleihen lässt, ist allerdings noch unklar.



Chrysostomos II. spricht sich auch erneut für die Ausgabe von „Volksanleihen“ aus, die vor allem wegen der patriotischen Gesinnung guten Absatz finden sollten. Schon Anfang der Woche hatte der Erzbischof den europäischen Rettungsplan kritisiert. Im Notfall müsse Zypern den Euro aufgeben. Mit Blick auf die von der Eurogruppe geforderte Zwangsabgabe aller Kontoinhaber in Zypern sprach er von einer „Niederträchtigkeit der Europäer“.

Dass mit freiwilligen Beiträgen der Zyprer die benötigte Summe aufgebracht werden kann, ist unwahrscheinlich. Die 5,8 Milliarden Euro entsprechen immerhin einem Drittel des Bruttoinlandsprodukts der Insel. Jeder Zyprer, vom Baby bis zum Greis, müsste dafür fast 7000 Euro aufbringen.

Zyperns Präsident und Regierungschef Nikos Anastasiadis kann also jede Hilfe gebrauchen. Nachdem das Parlament am Dienstagabend den Rettungsplan, den er in Brüssel ausgehandelt hatte, mit Pauken und Trompeten durchfallen ließ, braucht er dringend einen Plan B. Im Präsidialpalais von Nikosia sind am Mittwoch alle Parteivorsitzenden zu einem Treffen mit Anastasiadis zusammengekommen. Nur wenn Zypern einen Eigenanteil von 5,8 Milliarden Euro für das Rettungspaket aufbringt, so die bisherige Vorgabe der EU, wollen die Euroländer und der Internationale Währungsfonds (IWF) weitere zehn Milliarden in Hilfskrediten zuschießen. Woher das Geld nehmen, und wie das Bankensystem in der Zwischenzeit stabilisieren?



Mehrere Gesetze, die die Funktion der Banken betreffen, werden erörtert. Auch das Parlament ist nach Informationen des Staatsfernsehens „in Alarmbereitschaft“ gestellt worden. Es müssten in den kommenden Tagen und vielleicht noch am Mittwoch neue Gesetze gebilligt werden, mit denen die Banken vor dem Kollaps bewahrt werden. Darunter sei auch ein Verbot von Überweisungen ins Ausland, hieß es. Gleich danach trifft sich Präsident Nikos Anastasiadis mit Vertretern der Troika aus Internationalem Währungsfonds, Europäischer Zentralbank und EU-Kommission. Eine Stellungnahme gibt es nach dem Gespräch mit den möglichen Kreditgebern aber nicht. Unter bestimmten Umständen könnten die seit Samstag geschlossenen Banken Zyperns wieder öffnen. Entscheidend sei, ob die Troika der internationalen Geldgeber Zustimmung zu einem neuen Rettungsprogramm signalisiere, heißt es aus der Regierung.

Der größte Trumpf Zyperns, von dem allerdings keiner weiß, ob er sticht, heißt Russland. Gleich nach der Parlamentsabstimmung am Dienstagabend telefonierte Staatspräsident Nikos Anastasiadis eine halbe Stunde lang mit dem Kremlchef Wladimir Putin. Finanzminister Michalis Sarris war schon am Nachmittag, als sich das Nein des Parlaments abzuzeichnen begann, nach Moskau geflogen. Höflich empfangen Regierungsmitglieder in der russischen Hauptstadt am Mittwoch den zyprischen Finanzminister. Der sucht ver- zweifelt nach frischem Geld, erst bei seinem Amtskollegen Anton Siluanow, dann bei Vizeregierungschef Igor Schuwalow. Aber die wichtigste Tür im Kreml bleibt zu für ihn. Putin hatte bereits nach dem Telefonat mit Präsident Nikos Anastasiadis mitteilen lassen, dass Zypern auch nach dem Scheitern eines Rettungsplanes im Parlament weiter mit der EU verhandeln müsse. Seit Tagen warnt der Kremlchef aber scharf auch davor, den Interessen der Russen zu schaden.

Da passt es nur, dass noch am Mittwochabend EU-Kommissionspräsident Manuel Barroso in Moskau landen sollte. Er will bis Freitag bleiben, Finanzminister Sarris so lange, bis er eine Vereinbarung in der Tasche hat. Das Einzige, was Zyperns Regierung – neben dem Angebot der Kirche – im Gegenzug zu Finanzhilfe anbieten kann, sind Bankaktien und Zertifikate über eine Beteiligung an künftigen Einnahmen aus der Öl- und Erdgasförderung. Damit könnten auch die russischen Bankkunden bewogen werden, ihre Gelder nicht aus Zypern abzuziehen. Der Haken dabei: noch ist ungewiss, welchen Umfang die vermuteten Gasvorkommen tatsächlich haben. Und die Einnahmen aus der Förderung werden frühestens in fünf bis sechs Jahren zu sprudeln beginnen.

Am Nachmittag telefoniert Präsident Anastasiadis mit Frankreichs Präsidenten François Hollande, um die EU-Front aufzubrechen. Zuvor hatte Frankreichs Regierungssprecherin Najat Vallaud-Belkacem den ursprünglichen Rettungsplan als Fehler bezeichnet. Der Gesprächsfaden mit Angela Merkel ist wohl abgerissen. Der 66-jährige Anastasiadis lässt gegenüber Journalisten durchscheinen, wie schlimm er sich gefühlt habe, als er am Vorabend Merkel angerufen hatte und von ihr hörte, er solle sich für solche Themen nicht an Berlin, sondern an die EU und die Europäische Zentralbank wenden. Anastasiadis lässt darauf hinweisen, er habe schon beim vergangenen EU-Gipfel zu bedenken gegeben, dass ein solches Gesetz in der Heimat nicht durchsetzbar sei. „Mit der Pistole am Kopf musste er in Brüssel Ja sagen“, erzählte einer seiner engsten Mitarbeiter vor der Abstimmung.



So hat nicht zuletzt der Präsident den Ton gegenüber Deutschland gesetzt, der auch im Umfeld der Parlamentsdebatte am Dienstagabend schrill von der Insel drang. Während der Debatte sagten mehrere Abgeordnete, es sei „eine Frage der Ehre, Nein zu sagen“. Der Präsident der Zentrumspartei, Marios Karogian, rief den Parlamentariern zu: „Wir sagen Nein. Und wir sagen Nein für unsere Kinder und Enkel. Vor uns steht nun ein Leidensweg, aber wir werden es schaffen.“ „Nein zu neuen kolonialen Abhängigkeiten, Nein zur Unterwerfung, Nein zur nationalen Entehrung und roher Erpressung“, fügte der sozialdemokratische Parlamentspräsident Yiannakis Omirou hinzu. Draußen vor dem Parlament skandierten Demonstranten: „Wir werden nicht die Sklaven des 21. Jahrhunderts werden.“ Einer der Redner sagte: „Der Hitler-Faschismus hat in Zypern nicht Fuß gefasst, und genauso wenig wird sich hier der Merkel-Faschismus durchsetzen.“ Nach der Abstimmung brandeten Applaus und Hochrufe auf. Die Menge stimmte die zyprische Nationalhymne an und Kampflieder aus der Zeit des Freiheitskampfes gegen die britischen Kolonialherren an.

Am Tag danach wachsen bei den Menschen die Wut und die Angst. Die Zyprer glauben, die EU unternehme ein Experiment mit ihnen. „Sie haben etwas in der freien Marktwirtschaft Undenkbares an uns kleinen und schwachen Zyprern versucht, nämlich unser Geld zu konfiszieren“, sagen Menschen auf der Straße. Eines der Feindbilder auf der Straße und in Medien heißt Angela Merkel. „Diese Frau wird eines Tages Europa zur Katastrophe führen“, sagt der 37-jährige Miltos Dimitriou.