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Brezel-Liebe bei Nacht

Brezel-Liebe bei Nacht

Richtiges Handwerk: 3000 Brezeln pro Nacht von Hand geschlungen - Arbeitsbeginn in der Backstube.

Michael Schoberth

Die Brezeln werden von Kaan Tosunoglu auf die echte schwäbische Foto: M. Schoberth Art gemacht: dünne Ärmle und dicker Bauch.

Michael Schoberth

Die Straßen sind menschenleer und die Fenster der meisten Wohnhäuser sind bereits dunkel, wenn Sascha Schneider um Mitternacht die Backstube der Bäckerei Brezel-Frank aufschließt und das Licht einschaltet. Er ist der Erste in dieser Nacht und nimmt als erstes die Kaffeemaschine in Betrieb. „Das muss sein, das mache ich immer so“, sagt der Bäckermeister mit einem Lachen. Die Arbeitsnacht im Stammhaus des Bäckers in Bad Cannstatt wird lang. Mit routinierten Handgriffen beginnt er seine Arbeit, zuerst stehen Vollkornbrezeln auf dem Plan. Bald läuft die Knetmaschine, der erste Teig ist fertig. „Wir fangen immer so früh an,weil wir noch alles frisch machen“, sagt Sascha Schneider und schiebt einen Bottich mit Sauerteig in den Gärstand. Der Teig muss bei 37 Grad Celsius und hoher Luftfeuchtigkeit vier Stunden lang gehen. „Gegen fünf Uhr können wir dann anfangen ,den Teig zu verarbeiten.“

Jeder macht es ein bisschen anders: Brezeln schwingen ist wie eine Handschrift.

Um ein Uhr kommt mit Kaan Tosunoglu der zweite Bäckermeister dazu, jetzt erhöht sich die Schlagzahl: Schinkenhörnchen, Laugenhörnchen und Croissants stehen auf dem Programm. Die Backstube ist nicht sehr groß, alle Maschinen, Geräte und Wagen haben ihren Platz. Routiniert bewegen sich die beiden Bäcker durch den Raum, weichen sich geschickt aus. In der Backstube ist es jetzt schon sehr warm und es wird noch viel wärmer werden. „Wir backen ganz traditionell, das ist richtiges Handwerk hier“, sagt Sascha Schneider. Und das ist auch genau das, was ihm an seinem Beruf so gefällt. „Ich will nicht nur an einer Maschine stehen, sondern handwerklich arbeiten.“ Brezel-Frank wurde 1920 gegründet und ist heute nach wie vor im Familienbesitz - mittlerweile in der dritten Generation. „Mir gefällt das familiäre Umfeld“, sagt Sascha Schneider. Größere Betriebe sind entweder automatisiert oder es arbeiten viele Mitarbeiter sehr kleinteilig. Die beiden Bäckermeister beginnen mit den Brezeln. Für die erste Charge verarbeitet Sascha Schneider 40 Kilogramm Teig, den er dann in Portionen von zwei Kilo aufteilt und diese dann von einer Presse in exakt gleich schwere Portionen aufteilen lässt. Die meisten Bäcker setzen mittlerweile Maschinen ein, die Brezeln schlingen können. „Wir schlingen aber noch jede Brezel von Hand“, sagt Sascha Schneider. Mit einer Maschine würde jede Brezel gleich aussehen.

Er und sein Kollege Kaan Tosunoglu stehen nebeneinander an einem Arbeitstisch und schlingen, was das Zeug hält. Sieht einfach aus, ist es aber nicht. Die Regel ist: Erst wer die Handgriffe wirklich beherrscht, darf in der Backstube Brezeln schlingen. „Ich habe in meiner Lehrzeit viel üben müssen, nach einem halben Jahr konnte ich es dann“, sagt Sascha Schneider. Die Brezeln sind für die drei Ladengeschäfte und die bekannten Brezelkörble auf der Königstraße bestimmt. „Die Brezeln machen wir nach wie vor auf die echte schwäbische Art: dünne Ärmle, dicker Bauch, kastanienfarbenes Aussehen“, so Sascha Schneider. Die Bäckermeister, die jede Nacht Brezeln schlingen, behaupten, sogar sagen zu können, wer welche Brezeln geschlungen hat. „Jeder macht es ein bisschen anders, das ist wie eine Handschrift.“ Natürlich werden Brezeln in anderen Gegenden unterschiedlich geschlungen. In Bayern beispielsweise sind die Ärmle dicker. „Das ist auch gut, denn es soll doch nicht alles gleich schmecken und aussehen.“ Bis acht Uhr am morgen werden jede Nacht über 3000 Brezeln gebacken. „Es steht immer einer hier und schlingt Brezeln.“ Mittlerweile ist es halb drei, gleich kommt der dritte Kollege für die nächste Schicht. Wie ist das mit schlafen? Ein Thema über das sich Bäcker wie andere über das Wetter unterhalten können. Jeder hat seinen eigenen Rhythmus und Tricks. Das ist natürlich ein Nachteil bei diesem Job, sagt Sascha Schneider. Aber abgesehen davon: „Ich bin gerne Bäcker.“ 

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