Wer in Stuttgart-Münster wohnt, sollte jetzt mal aus dem Fenster schauen: freundliches Spätsommerwetter mit viel Sonne, einzelne Nebelfelder in den Morgenstunden, nachmittags eventuell Quellwolken, die aber nur für ein geringes Schauer- oder Gewitterrisiko sorgen. Bis zu 24 Grad Tagestemperatur. Ob wir bei der Zeitung hellsehen können? Mit Nostradamus hat das nichts zu tun, sondern mit der Vorhersage des Deutschen Wetterdienst (DWD).
Hier am Schnarrenberg arbeiten Meteorologinnen und Meteorologen jeden Tag daran, das Wetter für die Bevölkerung so exakt wie möglich vorherzusagen. Die Daten, die am Schnarrenberg erhoben werden, fließen in diesen Prozess mit ein. „Wenn man es kompliziert sagen will: Die Vorhersage ist die physikalisch-mathematische Prognose eines zukünftigen Zustandes aus einem Anfangszustand“, sagt Uwe Schickedanz und lacht. Der Meteorologe leitet die Regionale Wetterberatung des DWD in Stuttgart.„Die Zukunft vorhersehen können wir also nicht, aber berechnen. Das Wetter lebt von den Ungleichheiten in der Atmosphäre, den Unterschieden von Temperatur und Luftdruck. Die Natur strebt danach, diese Unterschiede wieder auszugleichen. Das Produkt aus diesem Versuch ist das Wetter.“ Bis zu einer Woche ist die Vorhersage zuverlässig. „Der Simulationsprozess ist begrenzt.“
Wer die Niederlassung des DWD am Schnarrenberg besucht, läuft an einer Wiese mit verschiedenen Geräten darauf vorbei, manche sind rund und klein, andere ragen weiter in den Himmel hinauf: „Das ist unser Messfeld, hier werden die Daten gesammelt, auf deren Grundlage wir die Wettervorhersagen berechnen.“ Temperatur, Feuchte, Sonnenstrahlung, Windgeschwindigkeit, Erdbodentemperatur, Niederschlag. „Die Datenerhebung ist wichtig für die aktuelle Wetterlage, aber auch für die Klimaforschung“, sagt Schickedanz. „Das Klima ist keine Konstante und in den nächsten Jahren, Stichwort Klimawandel, wird es immer wichtiger, sich wissenschaftlich damit zu befassen.“
In der Außenstelle Stuttgart zählen die Wettervorhersagen für Baden-Württemberg zu den Kernaufgaben der Wetterexpertinnen und -experten. „Außerdem gehört zu unseren Kompetenzen auch die Regionale Wetterberatung. Dazu gehört alles, was mit Wettervorhersage und Warndienst zu tun hat. Die Kunden, die hier mit Expertenwissen beliefert werden, teilt der Diplom-Meteorologe in zwei Gruppen ein: kommerzielle und hoheitliche Kunden. „Bei einem Großereignis wie der Fußball-EM oder dem Southside gehört zum Sicherheitskonzept auch zu wissen, ob mit Extremwettern zu rechnen ist.“ Public Viewing oder ein Konzert bei Starkregen und Gewitter ist alles andere als ungefährlich. „Hier arbeiten wir mit Polizei, Feuerwehr oder dem Technischen Hilfswerk zusammen.“ Die zählen zu den hoheitlichen Kunden.
Um die eigene ökonomische Bilanz hingegen geht es der kommerziellen Kundschaft: „Ein Erdbeerbauer will natürlich genau wissen, ab wann er nicht mehr mit Bodenfrost rechnen muss. Denn das Abdecken der Früchte ist aufwendig und teuer. Ein anderer Landwirt muss den exakten Zeitpunkt abpassen, um das Heu einzuholen, bevor der Regen kommt.“ Ein anderes Beispiel für einen Kunden des DWD wären Handwerksbetriebe: „Stellen Sie sich vor, Sie sind Dachdecker und müssen bei ständigem Regenwetter einen Zeitraum finden, in dem Sie das Dach trocken reparieren können. Da geht es um Minuten. Und so genau können wir auch vorhersagen, ab wann es wieder Zeit wird, das Dach zuzumachen.“ Die Wetterberatung hat Temperatur, Regen, Schnee, Hagel, Stürme, Orkane und alle Arten von Wetterphänomenen rund um den Globus im Blick, sogar„bis nach Neufundland, wenn man will. Wobei wir mit dem Wetter im eigenen Bundesland etwas mehr Routine haben“. Und wenn man wissen will, ob es bei der Bärenjagd in kanadischen Wäldern trocken bleibt? „Dann rufen Sie uns an und für eine Servicegebühr können wir auch dort das Wetter vorhersagen.“ Tatsächlich ist das auch schon passiert. So abwechslungsreich wie das Wetter ist eben auch die Arbeit der Meteorologen und Wetterbeobachter.
Dabei müssen sich die Meteorologinnen und Meteorologen auch im Extremwetterfall bereithalten. Bis Mitternacht stehen sie dann mit den Einsatzkräften in Verbindung. Auch Anfang Juli: Durch die starken Regenfälle traten Flüsse, Seen und Bäche über die Ufer, die Wassermassen verursachten immense Schäden und forderten sogar Todesopfer. „Die Krux an diesen Extremwetterereignissen ist, dass man zwar die potenzielle Gefahr der enormen Regenmenge schon Tage vorher prognostizieren kann, aber wie genau sich die Wassermengen verteilen und wie sie sich auf Flüsse wie die Wieslauf oder Rems auswirken, ist nicht vorhersehbar.“ Der Deutsche Wetterdienst arbeitet hier eng mit den Hydrologen der Hochwasservorhersagezentrale in Karlsruhe zusammen. „In Baden-Württemberg haben wir im bundesweiten Vergleich einen sehr weit entwickelten Hochwasserschutz. Durch die Katastrophe im Ahrtal 2021 ist auch das Bewusstsein dafür gestiegen.“
Sein eigenes Bewusstsein für das Wetter schärft Uwe Schickedanz schon seit er ein Junge war. „Im Garten habe ich meine eigenen Messungen durchgeführt, Temperaturen und Niederschläge aufgezeichnet. Die Natur, das Wetter und die wirkenden Zusammenhänge haben mich schon immer fasziniert. Ich kann mich noch erinnern, dass es 1976 fünf Wochen am Stück nicht geregnet hat und ich wollte unbedingt wissen, warum.“ Den Wissens- und Forschungsdrang teilt er mit seinen Kolleginnen und Kollegen: grau-weiße Fetzen wandern über den Bildschirm, Grüntöne zwischen Gras- und Waldgrün, Orange, Gelb, Rot oder Lila bilden amorphe Flächen über Berge und Landes-grenzen hinweg. Die Wetterkarten und Simulationen spielen sich auf acht verschiedenen Bildschirmen ab. Davor sitzt ein junger Kollege. „Na, wie wird das Wetter morgen?“ Uwe Schickedanz schmunzelt. Die Frage hört er jeden Tag. Von Nachbarn, Freunden oder der Familie.„Wenn meine Frau spontan noch mal raus muss, checke ich noch schnell das Regenradar.“ Den Satz „Auf die Wettervorhersage kann man sich ja gar nicht mehr verlassen“ kann er so nicht unterschreiben: „Googeln Sie mal, Wetter Stuttgart' - da erscheinen zig verschiedene Ergebnisse. Das sind voll automatisierte Vorhersagen, bei denen der Rechner das Ergebnis simuliert. Da fehlt allerdings die menschliche Instanz, also der Meteorologe, der das überprüft.“
Beim DWD in Stuttgart schauen sich die Wetterexperten jeden Tag zehn numerische Simulationen an, dazu gehören auch die Modelle der europäischen Partnerwetterdienste aus Frankreich oder England. Dabei werden die Modelle auch immer wieder überprüft: War die Vorhersage gestern zuverlässig?„Hier spielt die Erfahrung und Einschätzung des Meteorologen eine große Rolle, der die Ergebnisse der Berechnung nochmals prüft und interpretiert. So entsteht ein meteorologischer Fahrplan.“ Wenn man über die unzuverlässigen Ergebnisse aus der Internet- oder App-Recherche zum Wetter schimpft, liegt es also daran, dass diese Vorhersagen keinen Anspruch auf exakte Vorhersagen haben. „Mit unserer eigenen Wetter-App kann das nicht passieren“, sagt Schickedanz und zwinkert. Und was gutes Wetter ist, da scheiden sich die Geister.„Ich persönlich fühle mich bei 25 Grad im Spätsommer am wohlsten. Andere brauchen 30 Grad und volle Sonne. Da spielen Wetter und Psychologie zusammen.“
Auch die Kommunikation ist wichtig für die Arbeit: „Wir können im Gespräch mit unseren Kunden alles ganz genau erklären. Mit den Daten allein kann ein Laie nichts anfangen, es braucht die menschliche Kommunikation. “Damit spielt Schickedanz auch auf Künstliche Intelligenz an: „Sie ist ein nützliches Werkzeug, um Daten im großen Stil zusammenzufassen, sie wird aber nie den Menschen ersetzen können.“
Von Nathalie Kauder