Tick, tack: Im Hochbunker in Stuttgart-Steinhaldenfeld steht die Zeit nie still. Auf drei Etagen hat Hans Peter Kuban im privaten „Stuttgarter Turmuhrenarchiv und Turmuhrenmagazin“ kurz STT, seine gesammelten Schätze aufgebaut. Interessierte Besucherinnen und Besucher erfahren alles über Herstellung und Funktion von mechanischen oder elektrischen Turmuhren. Außerdem gibt es zahlreiche alte Ziffernblätter, Zeiger, Getriebe und noch vieles mehr zu entdecken. Das Turmuhrenarchivist sein „Baby“, das Hans Peter Kuban heiß und innig liebt, auch wenn es drinnen in den Wintermonaten kühl ist und deswegen geschlossen bleibt. Hinter den 110 Zentimeter dicken Mauern des seit 2015 denkmalgeschützten Hochbunkers in der Kolpingstraße 90 hat er eine umfangreiche Sammlung von Uhrwerken aus Kirchtürmen zusammengetragen.
Jedes Stück hat seine Geschichte, die der 84-Jährige erkundet und dokumentiert hat. Ebenso wie die Historie und Entwicklung der Schlagwerke und die Namen und Biografien der großen Turmuhrmachermeister. Auch mit der Technik kennt sich der gelernte Kaufmann und gebürtige Cannstatter aus, der bisher noch jedes Uhrwerk wieder zum Laufen gebracht hat. Das Turmuhrenarchiv hat Kuban 1981 gegründet, um die Geschichte der Turmuhrenhersteller und ihrer Schlagwerke zu erforschen. 2005 mündete seine Arbeit in das Turmuhrenmagazin, das einen historischen Abriss über die Zeitmesstechnik, die Anfang des 14. Jahrhunderts von Italien und Frankreich aus die Welt erobert hat, vom Mittelalter bis zur Neuzeit bietet.
Den größten Raum nimmt jedoch das Spezialgebiet von Hans Peter Kuban ein, der sich besonders für die in Deutschland industriegefertigten Turmuhren und deren Hersteller ab dem Jahr 1800 begeistert - von denen der eine oder andere in den Anfangsjahren aber auch geschmiedete Turmuhren gebaut oder repariert hat. „Mich hat schon immer die Technik begeistert“, sagt der Macher und Kopf hinter dem STT, das Zeitgeschichte erzählt.
Über 40 Jahre voller Wissen
In mehr als 40 Jahren hat Hans Peter Kuban viele Exponate und Wissen angesammelt. Und durch seinen Einsatz ist es gelungen, bei Nachkommen großer Uhrenhersteller, von denen es in Deutschland einst rund 120 gab - die Mehrzahl davon in Baden-Württemberg und Bayern und heute vielleicht noch zehn Unternehmen existieren, unersetzliches Aktenmaterial vor dem Vernichten zu retten.
„Für die Erforschung dieses Berufszweiges, der ja eigentlich in dieser Form heute ausgestorben ist, sind diese Unterlagen überaus wichtig“, sagt Hans Peter Kuban, dessen Frau Ursula seine Leidenschaft für alles, was tickt, unterstützt. „Sie ist hierbei meine größte Helferin.“
Schwergewichtige Schätze
Nicht nur schriftliche Zeugnisse hat der begeisterte Turmuhrenfan in Sicherheit gebracht, sondern auch so manchen schwergewichtigen Schatz aus vergangenen Zeiten, wie beispielsweise das Uhrwerk aus der Veitskapelle in Mühlhausen oder die 3,9 Tonnen schwere historische Glocke namens „Glaube“ aus der Lutherkirche in Fellbach, die Kuban auf einem Schrottplatz fand und die nun vor dem Hochbunker steht. Oft hat er für den Ausbau Kletterpartien auf sich genommen und ist viele Kilometer durch die ganze Republik gefahren. Nicht immer waren seine Rettungsmissionen erfolgreich. Von der großen Uhr in der Stuttgarter Hauptpost konnte er nur noch die Zeiger bergen. Doch Hans Peter Kuban hat das Originalziffernblatt, einst aus steinernen Fliesen gelegt, im Maßstab 1:1 nachdrucken lassen und mitsamt den geretteten Zeigern im Treppenhaus des Hochbunkers aufgehängt.
Das größte Ausstellungsstück im STT ist die Stuttgarter Rathausuhr, eine Dauerleihgabe der Stadt. Zusammen mit Hartmut Kercher hat Hans Peter Kuban sie in dreijähriger Tüftelarbeit wieder zum Laufen gebracht. 50 Jahre lang, von 1931 bis 1981, versorgte die alte Zentraluhr fast 3000 Uhren mit der richtigen Zeit. Viele Kabel führten vom Rathaus zu Uhren in Kirchtürmen, Straßenbahn-Haltestellen, Feuerwachen und Behörden. Auch den Zeitpunkt für das Pausenklingeln in den Schulen hat sie übermittelt. 1981 übernahmen Funkuhren ihre Aufgabe, doch die Zentraluhr tickt im Turmuhrenmagazin weiter.
Die Vergangenheit des Hochbunkers, der 1941 gebaut wurde und in dem bis zu 1300 Menschen Unterschlupf fanden, spielt für Hans Peter Kuban ebenfalls eine Rolle. Originalgetreu hat er die Schriften an den Wänden restauriert, ein Lüfteraggregat altes für Frischluftzufuhr eingebaut sowie verschiedene Dinge aus der Zeit während des Zweiten Weltkriegs und danach als Notunterkunft für Geflüchtete zusammengetragen. „Ich will nicht nur Gegenstände zeigen, sondern die ganze Geschichte erzählen“, sagt Kuban.
Das gilt auch für die Turmuhren. Für jedes Ausstellungsstück hat der 84-Jährige einen Ordner angelegt, in dem er alles dokumentiert, und er selbst ist ein wandelndes Lexikon, nicht nur wenn es um Gehwerke, die „das Herzstück“ einer Turmuhr sind, oder Planetengetriebe geht. Und er gibt sein Wissen gerne weiter, deshalb freut sich Hans Peter Kuban auf den 1. März, wenn es im Hochbunker nicht mehr so kühl ist, und er das STT wieder für Führungen öffnet.
Von Eva Herschmann