Von Eva Herschmann
Die Szene könnte so manchem bekannt vorkommen. „Hast du den Schlüssel, den Geldbeutel, das Handy?“, fragt die Frau mit der Einkaufstasche an der Haustür ihren Mann.„Ich hab ja dich“, antwortet der mit einem Grinsen. Der Cartoonist Peter Gaymann zeichnet mit Fingerspitzen kleine Geschichten zum Thema Demenz. Mit 16 seiner Comic-Zeichnungen ist die Ausstellung „Humor trotz Vergessen“ bestückt, die zum Zehn-Jahres-Jubiläum des Netzwerks „Gemeinsam für ein Demenzfreundliches Bad Cannstatt“ vom 2. bis zum 30. Juli im Alten Rathaus am Marktplatz 2 zu sehen ist.
Rund 1,8 Millionen Deutsche sind von Demenz betroffen, und die Zahl der Betroffenen wird bis zum Jahr 2050 voraussichtlich auf 2,8 Millionen steigen. In Baden-Württemberg leben gut 215 000 Menschen mit einer Demenz. Mehr als 1000 davon sind in Bad Cannstatt zuhause - und für sie wurde vor zehn Jahren, initiiert vom Caritasverband Stuttgart, das Netzwerk „Gemeinsam für ein Demenzfreundliches Bad Cannstatt“ gegründet. Denn die überwiegende Mehrheit der Betroffenen leben zuhause, und rund 80 Prozent von ihnen werden von Angehörigen versorgt. Um sie alle zu unterstützen, haben sich verschiedene soziale Träger, Einrichtungen und Dienste in Bad Cannstatt zu dem Netzwerk zusammengeschlossen.
„Unser Anliegen ist es, eine Umgebung in Bad Cannstatt zu schaffen, in der sich Menschen mit Demenz willkommen, sicher und unterstützt fühlen“, sagt Bettina Oehl, Diplom-Sozialarbeiterin beim Caritasverband für Stuttgart und Gesamtkoordinatorin im Cannstatter Netzwerk. „Wir arbeiten auch daran, das Stigma abzubauen und das Verständnis für Demenz in der Gesellschaft zu fördern.“ Dies geschehe zum einen über eine Sensibilisierung der Gesellschaft - zum Beispiel mit einem Leitfaden für Einzelhändler zum Umgang mit Demenzkranken - und über Begegnungen. Aber auch durch die Stärkung des bürgerschaftlichen Engagements. Denn schon bis 2030 wird es im Vergleich zu heute 40 Prozent mehr Menschen mit Demenz geben, das hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) in einer Studie aus dem Jahr 2022 prognostiziert.


Das Netzwerk bietet eine Vielzahl von Aktivitäten und Programmen, die dazu beitragen, dass Menschen mit Demenz aktiv und in der Gemeinschaft eingebunden bleiben statt einsam zu sein. Dazu gehören regelmäßige Workshops, Unterstützungsangebote und soziale Veranstaltungen. Es gibt die „Historischen Stadtteil-Spaziergänge„auch für Menschen mit Vergesslichkeit und Orientierungsschwierigkeiten“ und deren Angehörige. Das kostenlose Angebot bietet das Netzwerk in Kooperation mit dem Evangelischen Verein und dem Verein Pro AltCannstatt an. Der nächste Spaziergang findet am Donnerstag, 26. Juni, 14 Uhr, statt. Das Format, eine etwa einstündige barrierefreie kleine Stadtführung mit anschließendem Beisammensein in der Begegnungsstätte, habe sich bewährt, sagt Bettina Oehl. Ebenfalls ein Dauerläufer ist der „Lauftreff für Ältere“, eine Kooperation mit der Begegnungsstätte Cannstatter Brücke und dem Turnverein Bad Cannstatt immer freitags von 10 bis 11 Uhr.
Die Kooperationspartner im Netzwerk „Gemeinsam für ein Demenzfreundliches Bad Cannstatt“ treffen sich regelmäßig an runden Tischen und in Arbeitsgruppen, um sich auszutauschen, neue Ideen zu entwickeln und umzusetzen. Im vergangenen Jahr haben die Netzwerker das Theater Lindenhof für ein ausverkauftes Gastspiel im Wilhelma-Theater mit dem Stück „Honig im Kopf“ engagiert. Und zum Welt-Alzheimertag spielte das SWR Symphonie-Orchester in der Evangelischen Stadtkirche auf.
Mit ihrem Infostand sind die Netzwerker an den Freitagen, 27. Juni und 11. Juli, auf dem Cannstatter Abendmarkt vertreten. Der kleine Handkarren mit dem rot-weißen Dach und dem Schriftzug des Netzwerks ist nicht nur vollgepackt mit Info-Material, auch die kleinen grün-weißen Notfalldosen sind immer mit an Bord. Auf einem Infoblatt in jeder Dose können Gesundheitszustand, Allergien, Medikamente oder Kontaktpersonen notiert werden, denn mit Hilfe dieser Angaben können Helfer bei einem Notfall noch besser und rascher reagieren.
Jetzt freuen sich alle im Netzwerk Engagierten, darunter Bettina Oehl, und ihre Projektassistentinnen Brigitte Neiße-Göküzüm und Sanja Arnaut, erst einmal auf hoffentlich viele Besucher in der Ausstellung „Humor trotz Vergessen“ von Peter Gaymann, dem gebürtigen Freiburger, der zu den erfolgreichsten und beliebtesten Cartoonisten in Deutschland zählt und mit dem Gerontologen Professor Dr. Thomas Klie die Aktion „Demensch“ ins Leben rief.
→ Öffnungszeiten im Alten Rathaus: Montag bis Freitag von 8.30 bis 13 Uhr; dienstags von 14 bis 16 Uhr und donnerstags von 14 bis 18 Uhr. www.demenzfreundliches-bad-cannstatt.de