Die Dokumentarfilmerin Sigrid Klausmann-Sittler ist seit sieben Jahren in Möhringen daheim. Sie und ihr Mann Walter Sittler schätzen die dörflichen Strukturen und die alte Bausubstanz im Ort.

Möhringen - Im Moment verbringt Sigrid Klausmann-Sittler einen Großteil des Tages im Schneideraum ihres Hauses in der Oberen Brandstraße. Das neueste Projekt der Dokumentarfilmerin und Regisseurin: ein Streifen über Heimkinder aus der Region, die nach Jahren in einer betreuten Einrichtung ihren eigenen Weg gehen wollen. „DaHeim“ soll der Film heißen.

 

Selbst sind Klausmann-Sittler und ihr Mann, der Schauspieler Walter Sittler, seit mittlerweile sieben Jahren in Möhringen daheim, zuvor hat das Paar mit seinen drei Kindern 16 Jahre im benachbarten Vaihingen gewohnt. Die beiden schätzen die dörfliche Struktur des Möhringer Ortskerns, die vielen sanierten Fachwerkhäuser rund um den Oberdorfplatz und die Maierstraße. Ihre Begeisterung für alte, historisch gewachsene Bausubstanz hat die Sittlers auch zu Protagonisten des Widerstands gegen das Bahnprojekt Stuttgart 21 werden lassen. „Wir sind vor 24 Jahren nach Stuttgart gezogen – diese Stadt bedeutet uns etwas“, sagt die Filmemacherin.

Reyerhof erinnert an die Kindheit

Genauso lange kauft Sigrid Klausmann-Sittler auch schon im Reyerhof ein. Der Demeter-Bauernhof mit angeschlossenem Hofladen und Bistro in der Unteraicher Straße ist denn auch die erste Station auf dem Rundgang durch den Bezirk. Für Klausmann-Sittler ist der regelmäßige Besuch auf dem Hof auch eine stetige Erinnerung an die eigene Herkunft, an Kindheit und Jugend. Geboren und aufgewachsen ist sie in Furtwangen im Schwarzwald – die Eltern waren Nebenerwerbslandwirte. „Schon als Kind habe ich den Kälbchen die Hand in den Mund gesteckt“ erzählt sie, während sie die Kühe auf dem Hof füttert. Im Lauf der Zeit sind aus den Stammkunden Freunde der Hofbesitzer geworden, ein „Schwätzle“ gehört zu jedem Einkauf.

Überhaupt sind es die Menschen im Stadtbezirk, die jene Atmosphäre schaffen, die Sigrid Klausmann-Sittler so mag – etwa die Griechin Anastasia, die seit vielen Jahren direkt an der Hechinger Straße ein Lebensmittelgeschäft betreibt. An ihren reifen Mangos führt für die Filmemacherin kein Weg vorbei. „Ich bin gern an Orten, wo sich ganz normale Leute begegnen“, sagt die 57-Jährige. Das Interesse an den Helden des Alltags zieht sich auch durch ihr filmisches Schaffen: Der Film „Lisette und ihre Kinder“ über die Erzieherin ihrer eigenen Sprösslinge zeigt das ebenso wie die viel gelobte Dokumentation über den Besuch von Ex-Fußball-Nationalspieler Thomas Hitzlsperger in einer südafrikanischen Township und seine dortige Begegnung mit HIV-infizierten Kindern.

Es fällt nicht schwer, sich auch jene 80-jährige Griechin, die seit Jahrzehnten im Möhringer Ortskern eine Änderungsschneiderei betreibt, als Hauptperson eines Dokumentarfilms von Klausmann-Sittler vorzustellen. Auch hier ein kurzer, freundlicher Plausch zwischen Nähmaschine und Kleiderständern, während die Schneiderin eine Naht auftrennt, dann ist die Einkaufsrunde für heute beendet.

Grüne Oasen rund um Möhringen

Rund um Möhringen gibt es viel Grün: Felder, Streuobstwiesen, Gärten. Und es gibt kleine Oasen wie zum Beispiel die Untere Körschmühle, wo Martin Hölzel 1953 seine Reitschule gründete. Die zwischen dem Stadtteil Fasanenhof und dem Salzäcker-Wohnviertel gelegenen Stallungen haben es Sigrid-Klausmann-Sittler auf ihren Spaziergängen durch Möhringen angetan. An dem kleinen Weiher oberhalb der Körschmühle haben Generationen von Möhringern gelernt, dass im Wasser Gefahren lauern können: „Crocodiles – no swimming!“ hat ein Spaßvogel auf ein Schild gekritzelt, das Badelustige abschrecken soll.

Ein anderes Kleinod im Stadtbezirk, der Probstsee, ist dagegen mittlerweile entstellt. Seit der Pleite des Immobilienunternehmers Rudi Häussler , dem sein Wohnbauprojekt mit dem wohlklingenden Namen „Seepark“ zum Verhängnis wurde, ragen dort am Seeufer unfertige graue Apartmenthäuser in die Höhe.

Für Sigrid Klausmann-Sittler ein klassischer Fall einer verfehlten Städtebaupolitik, die auf gewachsene Strukturen keine Rücksicht nimmt. Just in jenem Stadtbezirk, der eine vergleichsweise geringe Siedlungsdichte aufweist, hat Häussler mit dem Segen der Stadtoberen auf hochverdichtetes Wohnen gesetzt – bevor ihm die Banken den Geldhahn zudrehten. „Manchmal hat man das Gefühl, Stuttgart will unbedingt den Metropolen nacheifern, die sterile Architektur zum Markenzeichen erhoben haben“, empört sich die Filmemacherin.

Walter Sittler wollte nie nach Hamburg

Wir kehren zurück in den Ortskern, wo die Welt noch weitgehend in Ordnung ist und man bei einem kühlen Saftschorle in der Tapas-Bar Momentos den Vormittag beschließen kann. Rund um das Bezirksrathaus und die Martinskirche, die die Möhringer ganz unbescheiden „Filderdom“ getauft haben, erinnert die Atmosphäre fast ein wenig an südliche Gefilde. Viel Fachwerk, der Marktplatz zwischen Kirche und Gemeindehaus – hier lässt es sich aushalten. „Uns hat es nie auf den Killesberg gezogen“, sagt die Filmemacherin. Auch der vor Jahren familienintern diskutierte Umzug nach Hamburg, wo Walter Sittler häufig zu Dreharbeiten weilte, wurde verworfen.

Doch jetzt, wo die Kinder aus dem Haus sind, steht doch ein Umzug an – allerdings innerhalb der Stuttgarter Gemarkung. Vom neuen Jahr an wird Sigrid Klausmann-Sittler ihre Filme im Lehen-Viertel im Stuttgarter Süden schneiden, wo sich das Paar eine Eigentumswohnung gekauft hat. Doch ihre Verbindung zu Möhringen lässt sie nicht abreißen: Mindestens einmal pro Woche, das hat sie sich fest vorgenommen, will sie auf dem Reyerhof vorbeischauen und anschließend bei Anastasia die reifen Mangos kosten.

Chronik von Möhringen

Chronik: Von Bauern und Gewerbe

11. Jahrhundert Die Herren von Möhringen sind der ortsansässige Adel. Sie dienenzunächst den Grafen von Calw, ab etwa 1150dann den Tübinger Pfalzgrafen und den Welfen.

1280 In ersten urkundlichen Zeugnissen wird Möhringen als „Moringen“ erwähnt.

Ab 1295 Der Pfalzgraf Gottfried verkauft das Dorf „um 520 Pfund Heller“ an das Katharinenspital Esslingen. Mehr als 500 Jahre lang bleibt es wichtigster Grund- und Leibherr.

1469 Der Spitalhof wird gebaut.

1634/35 Während der Hunger- und Pestjahre im 30-jährigen Krieg stirbt die Hälfte derMöhringer Einwohner.

1888 Möhringen wird an die Filderbahn angeschlossen.

1942 Möhringen wird zusammen mit Sonnenberg nach Stuttgart eingemeindet.

Bis circa 1950 Die Landwirtschaft ist wichtigster Erwerbszweig in Möhringen. Angebaut werden vor allem Kraut, Kartoffeln, Futter- und Zuckerrüben. Danach setzt die massive Bebauung mit Gewerbeflächen ein.

1959 Der Fasanenhof wird Möhringen als Stadtteil zugeordnet.

Seit 1974 Das Gewerbegebiet Fasanenhof-Ost wird aufgesiedelt und entwickelt sich in den Folgejahren zu einem wichtigen Hightechstandort in der Stadt.