Mit 16 Jahren ist Farzam Vazifehdan aus dem Iran nach Deutschland gekommen, wo er zur Hauptschule gehen sollte. Eine Geschichte über bürokratische Hürden und viel Willensstärke.

Stuttgart - Farzam Vazifehdan hat es vom Flüchtling aus dem Iran zum Chefarzt in Deutschland gebracht. „Es ist wie im Märchen, von der Putzfrau zur Prinzessin. Die Menschen mögen solche Geschichten vor allem um Weihnachten herum“, bemerkt der 47-Jährige trocken, die mitschwingende Ironie ist nicht zu überhören. Farzam Vazifehdan sitzt in seinem Chefarztbüro im Diakonie-Klinikum im Stuttgarter Westen. Am Fenster steht ein Ausschnitt einer Wirbelsäule, auf dem Regal reihen sich Fotos seiner Kinder, der weiße Arztkittel hängt im Schrank. Der 47-jährige Deutsch-Iraner sprüht vor Lebenslust. Hat er sich erst einmal in Fahrt geredet, ist er kaum zu bremsen. Und das tut er gerne, wenn es um Flüchtlinge und um die eigene und die bundesdeutsche Vergangenheit geht.

 

Ein Asylantrag kam für ihn nicht in Frage

Farzam Vazifehdan ist 1984 mit 16 Jahren nach Deutschland gekommen, in Begleitung seines Vaters und mit einem Dollarkonto im Rücken. Im Iran war der erste Golfkrieg auf seinem Höhepunkt und die Familie wusste, mit 17 würde er nicht mehr legal ausreisen können, weil der Militärdienst drohte. Eigentlich sollte Deutschland nur eine Zwischenstation auf dem Weg nach Kanada sein. Vazifehdan aber bekam kein Visum und beschloss, in Deutschland zu bleiben. „Ich bin nicht mit dem Boot gekommen, sondern geflogen, von Teheran nach Frankfurt. Und dann mit dem Zug nach Hamburg, wo wir iranische Freunde hatten“, erzählt der Wirbelsäulenspezialist und macht den Unterschied zu vielen Flüchtlingen von heute deutlich.

Tatsächlich war Vazifehdan privilegiert, die Familie war wohlhabend, gebildet und auslandserfahren, ein Asylantrag kam für ihn überhaupt nicht in Frage. „Wenn ich einen Asylantrag stelle, verliere ich alle Freiheit, und jede Möglichkeit, mich offen zu informieren, mich zu bilden und frei zu entscheiden.“ Der junge Iraner erkämpfte sich mit Hilfe eines Anwalts ein humanitäres Visum für die Zeit des Golfkrieges. Sein Vater kehrte nach drei Monaten in den Iran zurück und Farzam Vazifehdan machte seine ersten Erfahrungen mit deutschen Behörden, die alles andere als erfreulich waren. „Ich bin zum Schulverwaltungsamt und dort sagte man mir, ich solle zur Hauptschule, ohne mir irgendetwas zu erklären.“ Flüchtling gleich Hauptschüler, diese Verbindung besteht nach Ansicht des Iraners in vielen Köpfen bis heute. Das Urteil des 47-Jährigen über deutsche Behörden fällt bis heute vernichtend aus: „Es ist überhaupt keine Bereitschaft spürbar, zu helfen. Man fühlt sich vielmehr als Last.“

Er lernte wie ein Besessener

Der 16-Jährige ließ sich nicht abspeisen, sondern ging immer und immer wieder zur Schulverwaltung, so lange, bis er auf einen Menschen traf, der sich offen zeigte und ihm das deutsche Schulsystem erklärte. „Danach wusste ich, ich will aufs Gymnasium.“ Vazifehdan telefonierte danach sämtliche Hamburger Gymnasien ab. Weil er damit keinen Erfolg hatte, sprach er bei den Schulen vor. Am Ende fand der Flüchtling ein privates Gymnasium, zahlte die Schulgebühren und lernte wie ein Besessener. „Ich holte in kürzester Zeit drei Jahre Latein nach.“ Am Ende des Schuljahres aber erfuhr er, dass der Abschluss an der Privatschule vom Staat nicht anerkannt werde. Über eine befreundete iranische Familie bekam der Schüler eine zweite Chance in einem staatlichen Gymnasium in Alzey. Kurz vor dem Abitur aber lief das Visum des Iraners aus. Als er dies bei der Ausländerbehörde in Hamburg verlängern lassen wollte, wurde ihm gesagt, dass er als humanitär Geduldeter überhaupt nicht zur Schule gehen dürfe.

Auf Anraten seines Anwaltes ließ sich Vazifehdan von der Schule bestätigen, dass er diese verlassen habe, und bekam daraufhin seine Aufenthaltsverlängerung. Mit dieser in der Tasche kehrte er zur Schule zurück und legte sein Abitur ab – als zweitbester Schüler des Jahrgangs. „Die Vorgabe der Behörden war ganz offensichtlich, alles dafür zu tun, dass sich ein Flüchtling nicht integrieren kann.“

Inzwischen hat er zwei Pässe

Danach wurde alles einfacher. Als Bildungsinländer mit deutschem Schulabschluss bekam er einen Studienplatz für Mathematik, wechselte dann zur Medizin. Nebenbei verdiente der Student Geld in einem Supermarkt. „Ich hatte Glück und geriet an einen Mitarbeiter des Arbeitsamtes, der mir eine Arbeitserlaubnis für einen langen Zeitraum ausstellte.“ Inzwischen hat der Arzt einen deutschen und einen iranischen Pass. „Letzterer ist seit Jahren abgelaufen, aber wenn ich mal wieder in den Iran reise, lasse ich ihn verlängern.“ Seit 2008 ist Vazifehdan Chefarzt im Wirbelsäulenzentrum des Diakonie-Klinikums, nach einer Aufenthaltserlaubnis fragt ihn niemand mehr. Jetzt wollen die Menschen wissen, wie viele Patienten er behandelt und wie viele Operationen er macht.

Die Flüchtlingspolitik aber geht dem Deutschiraner bis heute nahe. Schon die Unterbringung in Wohnheimen auf wenigen Quadratmetern hält Vazifehdan für menschenunwürdig. Die Anti-Islam-Proteste in Dresden sind ihm ein Ärgernis und die Ängste der Deutschen ein Rätsel. „Die Menschen haben ihr Leben aufs Spiel gesetzt, um herzukommen, und wir zeigen ihnen, dass wir sie nicht haben wollen.“ Vazifehdan, der ehemalige Flüchtling, sieht nur eine Lösung: die Gemeinschaft mit den Flüchtlingen suchen. „An mir kann man sehen, wie deutsch man in 30 Jahren werden kann. Auch wenn ich nie eine Reiserücktrittsversicherung abschließen würde.“