Sie kommen von weit her, stammen aus einer anderen Zeit und gehören zu den größten Lebewesen der Erde. Mitten in Stuttgart stehen zig Mammutbäume.

Stuttgart - Ein steiler Hang, an dem ein kopfsteingepflasterter Weg hinabführt. Eine romantische Holzbrücke über einem trockenen Bachbett. Direkt vor den Augen Apfelbäume, dahinter die Häuser von Heusteigviertel und Karlshöhe. Und darüber? Wer im Wernhaldenpark, der direkt unterhalb der Neuen Weinsteige liegt und vielleicht einer der bezauberndsten Orte in Stuttgart ist, in den Himmel schauen will, sieht zunächst einmal Baumkronen – sehr, sehr weit oben. Mehr als dreißig Meter sind sie hoch, die rund vierzig Mammutbäume, die hier alles andere überragen, obwohl sie sozusagen noch in den Kinderschuhen stecken.

 

Mammutbäume können uralt werden. Zu der Zeit, als sie hier eingepflanzt wurden, einjährig und gerade mal ein paar Dutzend Zentimeter groß, war Württemberg noch eine Monarchie. Wenn sie ins Erwachsenenalter kommen, werden wir alle schon lange nicht mehr sein. Allein dieser Gedanke macht einen inmitten des grünen Miniparadieses demütig und neugierig: Wie sind diese Exoten nach Schwaben gekommen? Diese Frage fasziniert Experten, aber auch Laien wie den Ulmer Informatiker Lutz Krüger, der sogar eine internationale Online-Community zum Thema Mammutbäume begründet hat.

Einig sind sich alle Seiten über einen Fakt: Es war Wilhelm I. von Württemberg, der im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts verantwortlich zeichnete für eine kleine Fehlplanung mit schönen Folgen für seine Hauptstadt. Mammutbäume wachsen in Stuttgart wie an insgesamt rund 200 weiteren Orten im Südwesten, seit der König in den 1860er Jahren über einen schwäbischen Zuckerhändler mit Überseekontakten eine kleine Menge Samen dieses exotischen Gewächses bestellt hatte.

Ein Pfund Samen

Micha Sonnenfroh, als Leiter des Fachbereichs Parkpflege in Stuttgart auch für die Wilhelma zuständig, wo auf der Anhöhe hinter dem Haupteingang fast sechzig Mammutbäume ein beeindruckendes Wäldchen bilden, kennt die Geschichte seiner Schützlinge: „Der König wollte ein paar Exemplare in seinen Parks und dafür ein Pfund Samen kaufen, war dann aber wohl ziemlich erstaunt, wie viele Pflänzchen aufgingen, die in einer speziellen Erde im Kalthaus der Wilhelma angezogen wurden.“ Mehr als 4000 nämlich, viel mehr, als auf seinen Grund passten, weshalb Wilhelm I. die Hälfte davon für je drei Gulden 36 Kreuzer pro Dutzend an Privatleute verkaufte und an königliche Gärten verteilte sowie an die württembergischen Forstämter verschenkte.

Mammutbäume wachsen seither an verschiedensten Standorten in Württemberg. In Stuttgart selbst finden sich beeindruckende Exemplare unter anderem am Herdweg und in der Gutbrodstraße, an der Haigststaffel und in der Steinkopfstraße. Genannte vier gehören auf Grund ihres prächtigen Wuchses zu den Stuttgarter Naturdenkmalen, die unter besonderem Schutz stehen.

Die eingangs erwähnte Baumgruppe im Wernhaldenpark erklärt sich wohl dadurch, dass der Gärtner und Samenhändler Gustav Schickler das Saatgut für den König besorgt und zahlreiche der aufgegangenen Pflänzchen in seine Gärten am oberen Ende der Immenhoferstraße gesetzt hatte, wo sie heute von der Stadt betreut werden und die Naturliebhaber begeistern.

Botschafter der Neuen Welt

Auch in der Wilhelma zählt die Mammutbaumgruppe, an deren Rand sich Halsband-Pekaris, Vicunjas und Ameisenbären tummeln und wo man auf Bänken neben von einer Künstlergruppe eigens geschnitzten Riesenzapfen rasten kann, zu den stillen, aber überaus beeindruckenden Attraktionen. Die Mammutbäume schaffen im oberen Bereich des zoologisch-botanischen Gartens einen optischen Übergang zwischen der „streng formal angelegten Wilhelma und dem landschaftlichen Rosensteinpark“, erläutert Micha Sonnenfroh beim Spaziergang unter den an diesem Tag vor Regen triefenden Giganten. „Ursprünglich hatte Wilhelm für die von ihm in Auftrag gegebenen Anlagen im Rosensteinpark und der Wilhelma die Verwendung von Birken und von Nadelhölzern verboten“, sagt der Garten- und Landschaftsarchitekt. 1838 aber befahl der König seinem Obergärtner Bosch, einige Tannengruppen zu pflanzen, 1851 sie zu erweitern, und dann muss ihm aus der Neuen Welt Kunde von Gewächsen überbracht worden sein, die als größte, älteste und mächtigste Bäume der Erdgeschichte gelten.

Riesenmammutbäume, der lateinische Fachbegriff lautet Sequoiadendron giganteum, zählen zur Familie der Sumpfzypressengewächse und wuchsen vor der Eiszeit auch in Europa – man muss sich vorstellen, dass unter ihnen bis zu deren Aussterben Dinosaurier umhergetrampelt sind! Dass sie solche Urweltbäume sind, findet Sonnenfroh, der eigentlich aus dem Naturschutz kommt, und sich sonst, „als Bevorzuger der heimischen Flora und Fauna“ sieht, „schon ziemlich faszinierend“. Nichts spräche dagegen, sie in Parks als exotischen Einzelbaum einzusetzen, als Gestaltungselement.

Forstwirtschaftlich seien Mammutbäume hingegen nicht nutzbar, ihr Holz sei weich und dessen Brennwert niedrig. Aber sie besäßen eine sehr urwüchsige Form und hätten über die Jahrmillionen ihrer Entwicklung tolle Strategien in Sachen Sturm- und Feuerfestigkeit entwickelt. Das Verhältnis zwischen Wurzelwerk, Stamm und Krone sei so ausgewogen, dass ihnen wenig passieren könne: „Sie sind Flachwurzler, aber unglaublich standfest, und ihre orangebraune bis dunkelrotbraune harzfreie Rinde ist 20 bis 60 Zentimeter dick und speichert so viel Feuchtigkeit, dass sie bei Waldbränden erst einmal nicht angreifbar sind.“

13 Pfleger, ein Baum

Wegen dieser Widerstandskraft haben die Mammutbäume als Zeugen des Tertiärs vor 65 bis 2,5 Millionen Jahren in ihrer neuzeitlichen Heimat an den Westhängen der Sierra Nevada in Kalifornien vor allem in isolierten Schluchten auf der beträchtlichen Höhe von 1350 bis 2500 Metern überlebt. Natürlich ist der Pflanzenkundler Sonnenfroh schon „am Naturstandort“, wie er sagt, gewesen: „Dort können sie bis zu 80 Metern hoch werden, einen Stammdurchmesser von über zwölf Metern und ein Alter von 3500 Jahren erreichen.“ Der größte Riesenmammutbaum überhaupt befindet sich im Sequoia-Nationalpark in den USA, hat einen Stammumfang von 31 Metern an der Basis und gilt als eines der größten Lebewesen der Welt.

In Stuttgart wird es zu solchen Auswüchsen nicht kommen, der höchste Baum in der Wilhelma ist „nur“ 37 Meter hoch und hat einen Stammumfang von „nur“ 4,20 Meter – auch wenn 13 Gärtner des Fachbereichs Parkpflege neben zahlreichen anderen Aufgaben sich beständig um den Mammutbaumbestand kümmern. Zum Beispiel sorgen sie dafür, dass genug Feuchtigkeit vorhanden ist und keine Verdichtungen im Boden entstehen. „Aber man kann gar nicht sagen, wie groß sie unter unseren klimatischen Bedingungen werden, weil man den Erfahrungswert bisher nicht hat. Sie kommen jetzt erst in das Alter, in dem sie größer als unsere Laubbäume werden, das wird durchaus spannend“, philosophiert Sonnenfroh.

Probleme bei der natürlichen Fortpflanzung

Auch eine natürliche Vermehrung der Mammutbäume kann hierzulande nur schwer funktionieren: „Der Samenflug ist kaum möglich, da dann alle Bedingungen passen müssten, also Hitze für die Zapfen herauskommen und dann frische Feuchtigkeitsbedingungen auf passendem Boden fallen. Das ist hier kaum gegeben.“

Das Unternehmen schwäbischer Mammutbaum bleibt also ein Projekt für Generationen, ein Experiment mit offenem Ende. Der Mann, der es ursprünglich angestellt hat, ruht, wie es der Zufall oder vielleicht auch die gute Planung will, in direkter Sichtachse von der Wilhelma-Terrasse am Mammutbaumwäldchen in der Württembergischen Grabkapelle auf dem Rotenberg. Und neben der letzten Ruhestätte von König Wilhelm I. steht: ein Mammutbaum natürlich!