Willy Peter Stoll war an der Ermordung des Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer und seiner Begleiter beteiligt. Ein Gespräch mit Gerda R., der Schwester des 1978 erschossenen Terroristen.

Reportage: Frank Buchmeier (buc)
Stuttgart – - Ein bürgerliches Haus in Stuttgart-Vaihingen, an den Wänden barocke Gemälde, auf dem Boden Perserteppiche. Hier wohnt Gerda R., 64, die Schwester eines Terroristen: Willy Peter Stoll war mutmaßlich an der Ermordung des Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer und dessen Begleitern beteiligt.
Frau R., es war nicht leicht, Sie zu diesem Gespräch zu bewegen. Wovor haben Sie Angst?
Ich fürchte mich davor, dass der Schrecken von damals wieder hochkommt und ich die Folgen nicht verkrafte. Sehen Sie: ich bin hier in Vaihingen geboren, man kennt mich. Meine Eltern hatten eine Küferei, eine Mosterei und eine Gastwirtschaft. Meine Familie und viele Freunde haben mir davon abgeraten, mit der Zeitung zu sprechen. Aber durch die Ausstellung im Haus der Geschichte wurde ich ohnehin von der Vergangenheit erfasst. Vielleicht tut es mir gut, über Willy zu reden.
Wie würden Sie Ihren Bruder beschreiben?
Willy war ein sehr sensibler Junge. Wenn er von anderen Kindern geschlagen wurde, habe ich, seine ein Jahr ältere Schwester, ihn rausgeboxt. Mein Bruder hat sich nie gewehrt, als junger Mann war er Pazifist. Seinen Einberufungsbescheid zur Bundeswehr ignorierte er, daraufhin haben ihn die Feldjäger zu Hause abgeholt, und er musste zur Strafe in der Kaserne tagelang die Böden schrubben. Schließlich wurde er als Kriegsdienstverweigerer anerkannt.
Haben Sie bemerkt, dass in Ihrem Bruder ein Revolutionär schlummert?
Nein. Das einzige besondere Vorkommnis war, dass er in der achten Klasse wegen Disziplinlosigkeiten vom Hegel-Gymnasium geflogen ist. Aber er hat danach eine private Handelsschule besucht, 1969 seine Prüfung als Steuergehilfe bestanden und dann in einem Möhringer Büro gearbeitet. Sein Chef wollte ihn sogar zum Kompagnon machen. Als ich mitbekam, dass sich Willy im Umfeld der RAF bewegt, war er bereits 26. Zwei Jahre später starb er.
Am Abend des 6. September 1978 nimmt ein junger Mann mit Schnauzbart im Düsseldorfer Chinarestaurant Shanghai Platz. Er bestellt das teuerste Gericht und ein Altbier. Eine Frau betritt das Lokal und ordert das Tagesmenü zum Mitnehmen. Während sie auf das Essen wartet, mustert sie den schnauzbärtigen Gast und erkennt eines jener Gesichter, die überall auf Fahndungsplakaten zu sehen sind. Minuten später fahren vor dem Shanghai Streifenwagen vor. Polizisten betreten das Lokal. Die Beamten sagen später aus, dass Willy Peter Stoll eine Neun-Millimeter-Pistole gezogen habe und sie den Terroristen in Notwehr erschießen mussten.
Welche Erinnerungen haben Sie an die Geschehnisse vor 35 Jahren?
Ich hörte spätabends im Radio, dass Willy in Düsseldorf ums Leben gekommen sei, kurz darauf standen Polizeibeamte vor unserer Haustür. Am nächsten Tag mussten wir über seine Bestattung entscheiden. Willy hatte seiner Frau gesagt, dass er im Falle seines Todes auf dem Dornhaldenfriedhof beerdigt werden wolle, im selben Grab wie seine RAF-Genossen Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe, die sich ein Jahr zuvor im Stammheimer Gefängnis das Leben genommen hatten. Aber dann rief der Stuttgarter Oberbürgermeister Manfred Rommel an und sagte, er wolle nicht wieder einen solchen Auflauf auf dem Dornhaldenfriedhof und bat uns, Willy im Familiengrab auf dem Alten Friedhof in Vaihingen beizusetzen. Wir haben diesem Wunsch entsprochen. Im Nachhinein betrachtet war das vermutlich ein Fehler, denn wir müssen bis heute mit der traurigen Gewissheit leben, dass wir Willys letzten Willen missachtet haben.