Der Abriss des Mendelsohnbaus im Mai 1960 bewegt bis heute die Gemüter. Der "Fall Schocken" war kein Ruhmesblatt.

Stuttgart - Diese scheinbar alte Geschichte bleibt ewig jung, als wäre es erst gestern gewesen oder vergangene Woche. Der Abriss des Kaufhauses Schocken an der Eberhardstraße, genau am 2. Mai 1960 begonnen, hat sich tief eingegraben in das Gedächtnis der Bürger.

Es war und es bleibt ein schwarzer Tag für die Stuttgarter Stadtbaugeschichte, ein besonders negatives Zeichen für die Neubauwut in der Nachkriegszeit, für den Drang, die Wirtschaftlichkeit über alles andere zu stellen. Der "Fall Schocken" war kein Ruhmesblatt für alle Beteiligten: nicht für den Investor, nicht für die Stadt und ihren Gemeinderat, auch nicht für die Architekten.

Was jedoch wirklich geschah, ehe vor genau fünfzig Jahren die Abrissbirne zuschlug, wie lange zuvor gefeilscht und gedroht, wie massiv getrickst und wie verbissen gerungen wurde - darüber wissen heute nur noch wenige Bescheid. Deshalb lohnt sich in der Rückschau ein Blick in das 2002 erschienene Buch "Konsequenz Abriss. Das (un)vermeidbare Ende des Kaufhauses Schocken", das die Architektin Petra Ralle damals als Diplomarbeit schrieb, und das der Hohenheim Verlag im Rahmen der historischen Buchreihe des Stadtarchivs herausgegeben hat.

Das Schicksal war schon lange besiegelt


Die Vorgeschichte in Stichworten: die jüdischen Gebrüder Salman und Simon Schocken hatten 1907 mit zwei Warenhäusern in Zwickau und Oelsnitz begonnen. Der Erste Weltkrieg warf sie nicht um, 1926 eröffneten sie eine Filiale in Nürnberg, sechs weitere sollten folgen, darunter eine in Stuttgart. Der jüdische Architekt Erich Mendelsohn baute überall für die Schockens, am 2. Oktober 1928 war die Eröffnung an der Eberhardstraße. Es war das Jahr, in dem auch die Weißenhofsiedlung am Killesberg entstand und der Tagblattturm, schräg gegenüber dem Kaufhaus Schocken. Die alten Fotos sprechen für sich, die Stuttgarter Filiale, die so gut lief wie keine andere, galt rasch als Deutschlands schönstes Warenhaus.

Im Bombenkrieg des Zweiten Weltkriegs wurde das Gebäude an der Eberhardstraße schwer beschädigt, aber nicht zerstört; mühselig richtete man den Bau wieder her. Salman Schocken, den die Nazis enteignet hatten, erhielt 1949 die Aktienmehrheit an seiner MerkurAG wieder zurück - 1953 verkaufte er seine Anteile an den Düsseldorfer "Kaufhauskönig" Helmut Horten, einen Selfmademan und Helden des frühen Wirtschaftswunders. Mit ihm war das Schicksal des Stuttgarter Schockenbaus quasi besiegelt - nur wusste das damals noch niemand.

Die Autorin Petra Ralle hat alte Akten und Dokumente akribisch ausgewertet - ihr Fazit: "Zwischen 1946 und 1959 gab es nicht weniger als sieben verschiedene Baugesuche für das Schocken." OB Arnulf Klett und Baubürgermeister Walter Hoss wollten die Eberhardstraße autogerecht verbreitern, das Warenhaus stand ihnen im Weg. Die Baubehörden waren nicht bereit, das Gebäude unter Denkmalschutz zu stellen, weil es erweitert und im Original nicht mehr erhalten war.

Proteste waren vergeblich


Helmut Horten forderte jahrelang massiv den Abbruch, weil es in diesem Kaufhaus keine Rolltreppen und keine Klimaanlage gab, immer wieder drohte er mit der Schließung, dem Weggang aus Stuttgart, was den Verlust von Gewerbesteuer für die Stadtkasse nach sich gezogen hätte.

Studenten der TH protestierten, auch renommierte Architekten, nicht zuletzt die Witwe von Mendelsohn - vergeblich. Der Rat hatte nicht den Mumm zu widersprechen. Der Architekt Egon Eiermann, eine internationale Größe, baute einen Kasten mit seinem Markenzeichen: der "Eiermannfassade". 1972, als die Stadt die Erweiterung über die Steinstraße genehmigt hatte, zeigte sich Helmut Horten großzügig: Er spendete 750.000 D-Mark. Damit kaufte die Stadt das Tryptichon "Großstadt" von Otto Dix - heute das Glanzstück im Kunstmuseum am Schlossplatz.