Der plötzliche Tod des Eisbären Antons in der vergangenen Woche hat die Mitarbeiter im Zoo schockiert, die Kuratorin erhält Kondolenzschreiben. Wenig beeindruckt hingegen zeigt sich Eisbärendame Corinna. Ein Besuch in der Wilhelma.

Stuttgart - Als sich die Kuratorin der Wilhelma, Ulrike Rademacher, an diesem sonnigen Vormittag an ihren Schreibtisch im Verwaltungstrakt des Zoos setzt, fällt ihr der Briefumschlag mit dem schwarzen Rand sofort auf. Zugeklebt ist er nicht, der Sender muss ihn persönlich abgegeben haben. Rademacher öffnet die Lasche und zieht eine Karte hervor. „Aufrichtige Anteilnahme“, steht auf der Außenseite. Sie öffnet die Klappkarte, liest einen handschriftlichen Text. Der Verfasser drückt den Mitarbeitern sein Beileid aus, schreibt von einem „sinnlosen Tod“, macht sich Sorgen um die zurückgebliebene Partnerin Corinna und wendet sich schließlich mit persönlichen Worten an den Verstorbenen: „Du warst etwas ganz besonderes.“ Die Trauerkarte wurde anlässlich des Todes des Eisbären Antons in der vergangenen Woche geschrieben.

 

Rademacher lehnt sich auf dem Schreibtischstuhl zurück, legt die Karte aus der Hand, zeigt auf den Bildschirm. „80 E-Mails mit Beileidsbekundungen habe ich in der vergangenen Woche bekommen“, sagt sie und sucht sich durch den virtuellen Posteingang. „Ich bin sehr geschockt über den Tod. Zur Erinnerung schicke ich Ihnen Fotos mit“, schreibt eine Besucherin. Eine andere drückt ihr Beileid aus und schreibt außerdem: „Ich war mit meinen Kindergartenkindern oft bei Anton. Er hat immer für große Freude gesorgt.“ Rademacher nickt zustimmend und sagt: „Er hatte schon eine tolle Persönlichkeit.“ Wohl auch deswegen hat der Tod des beliebten Eisbären auch die Wilhelma-Mitarbeiter getroffen. „Das war diese Woche beherrschendes Gesprächsthema bei uns“, sagt Rademacher. „Die Stimmung ist gedrückt.“

Tierpfleger Jürgen Daisenhofer kümmerte sich 24 Jahre um ihn

Auf einer Bank vor dem Eisbärengehege sitzt Jürgen Daisenhofer und beobachtet Corinna, die verbliebene Eisbärendame. Daisenhofer hat Anton groß gezogen. „Die vergangenen 24 Jahre habe ich mich gemeinsam mit einem Kollegen um ihn gekümmert“, sagt der Tierpfleger. „Natürlich baut man dann da eine enge Beziehung auf, ähnlich wie zu einem Haustier.“ Und dann erzählt Daisenhofer, wie sensibel und intelligent Anton war, wie Pfleger und Bär durch das Gitter miteinander gespielt haben, wie Anton sich freute, wenn Daisenhofer aus seinem Urlaub wiedergekommen ist. Er wirkt gefasst dabei, dass ihn der Tod geschockt hat, kann er aber nicht verbergen. „Wenn er an Altersschwäche gestorben wäre“, sagt Daisenhofer, „das wäre irgendwie einfacher gewesen. Aber dieser Tod“, Daisenhofer schüttelt den Kopf, „so sinnlos.“

Vor einer Woche verendete der Eisbär Anton in der Wilhelma (die StZ berichtete). Bei einer Sektion fanden sich im Magen des Bären Reste eines Rucksacks, einer Jacke und einer Stoffpuppe. Vermutlich führten alle drei Dinge zu einer Darmentzündung, an der Anton schließlich einging.

„Es ist nicht gerade außergewöhnlich, dass Sachen ins Gehege fallen“, sagt Rademacher und hält dabei ihre Arme über die Glasscheibe am Eisbärengehege, als ob sie ein Kleinkind hochheben würde. „Schuhe, Schnuller, häufig auch Handys und Fotoapparate“, zählt sie auf. Dass diese Dinge mit Absicht in die Gehege geschmissen werden, glaubt sie nicht. „Das passiert aus Unachtsamkeit. Zumeist sagen die Besucher uns auch Bescheid, wenn etwas reingefallen ist.“ So war es auch vor einem Monat – die Pfleger wurden sofort informiert, man setzte die zerfetzten Überreste des im Gehege zusammengesammelten Rucksacks zusammen und war sich sicher, dass man nichts übersehen hatte. „Anton und Corinna zerfetzten solche Sachen immer, sie sind neugierig“, sagt Rademacher. Tierpfleger Daisenhofer ergänzt: „Gefressen haben die beiden das nie.“ Rademacher vermutet deswegen, dass im Rucksack ein belegtes Brot war, das Anton gerochen hat und fressen wollte.

Plastik-Spielzeug im Gehege ist eigentlich kein Problem

Dass die Tiere normalerweise wenig Interesse am Verspeisen von Plastik haben, beweist auch die blaue Plastiktonne, die im Eisbären-Gehege hängt. „Sie spielen damit, sie zerfetzten es, sie nehmen die Stücke auch in den Mund – spucken sie dann aber immer aus. Schmeckt ja auch nicht“, sagt Daisenhofer. Falls doch mal ein kleines Stück verschluckt wird, scheidet das der Eisbär auch wieder aus. Daran gestorben sei bisher noch kein Tier, deswegen sieht Daisenhofer auch keinen Grund, der verbliebenen Eisbärendame Corinna die Tonne aus dem Käfig zu nehmen. „Sie spielt gerne damit.“

Überhaupt scheint es ihr gut zu gehen und Rademacher bestätigt den Eindruck: „Corinna vermisst Anton gar nicht, im Gegenteil: Sie freut sich, dass sie mehr Platz für sich alleine hat.“ Eisbären seien nun mal Einzelgänger und gehen keine festen emotionalen Bindungen ein. „Das liegt nicht in ihrer Natur“, sagt Rademacher und Daisenhofer ergänzt: „Corinna ist viel entspannter ruhiger, die Situation ist nicht weiter schlimm für sie.“ Vor dem Gehege verweist nur ein einfacher Zettel auf den Tod Antons. „Als wir Antons Sohn Wilbär in einen anderen Zoo weggeben haben, standen hier Grablichter“, erinnert sich Rademacher. „Gut, dass das jetzt nicht der Fall ist.“