Familie/Bildung/Soziales: Hilke Lorenz (ilo)
Sie glauben, ziemlich genau zu wissen, was passiert ist: Zwei junge Männer haben Anja Aichele getötet, und ein Erwachsener hat beim Vergraben ihrer Leiche in der Nacht geholfen. Trotzdem . . .
Kögel . . . kommt man nicht weiter, hängt man.
Macht einen das dann nicht wahnsinnig?
Kögel Natürlich. Ich war von Anfang an der Überzeugung, dass wir einen der beiden Täter überprüft haben. Wir haben alle Alibis im Muggensturm, einem sozial gehobenen Viertel in Stuttgart-Bad Cannstatt, überprüft. Ich bin überzeugt, einer der Täter wohnt da oben und Vater oder Mutter haben ihm ein falsches Alibi gegeben aus Angst, dass sonst ihre gesamte Existenz den Bach runtergeht. Auch als wir später die DNA auswerten konnten, sind wir nicht weitergekommen. Wir wissen, um 21.40 Uhr war die Tatzeit, weil man die Stimmen von zwei jungen Kerlen gehört hat. Dann kommt die Beseitigung der Leiche – wahrscheinlich durch den Vater. Wir sind überzeugt, dass Anja mindestens einen der Täter gekannt hat, sonst wäre sie nicht über den Weinberg mitgegangen. Trotzdem kommt man nicht weiter, obwohl man 160 Leitz-Ordner voll mit Spuren hat. Und jetzt sitzt hier ein alter Mann, der jede Sekunde in diesem Fall kennt, und ärgert sich immer noch.
Knubben Das kann noch rauskommen.
Haben Sie die Hoffnung?
Kögel Ich glaub’s nicht mehr. Getötet hat ja nur einer der beiden. Meine einzige Hoffnung ist, dass der andere auf seinem Sterbebett sein Gewissen erleichtern möchte. Ein Giftmord wurde nur gelöst, weil die damals 15-jährige Tochter beim Tod der Großmutter beim Erbe zu kurz gekommen ist und dann kam und sagte: „Meine Mutter, meine Schwester und mein Schwager haben meinen Vater vergiftet.“
Knubben Das kann auch im Fall Aichele passieren.
Kögel Ich glaub nicht dran.
Also müssen eher Sie Ihren Frieden mit dem Fall machen?
Kögel Den hab ich. Ich weiß, ich habe alles gemacht. Aber es ist trotz allem unbefriedigend. Immer wenn ich an der Ecke vorbeifahre, werde ich daran denken.
Die Belastung durch ungeklärte Fälle taucht in keiner Untersuchung auf.
Knubben Das ist nicht nur Belastung, das ist auch eine erhöhte Motivation. Dahin kann man es ummünzen. Wahrscheinlich müssen wir mit der Erkenntnis leben, dass ein Täter so ein Verbrechen nicht nur verdrängen, sondern auch abspalten kann. Es kann nicht sein, was nicht sein darf.
Aber es müssen im Fall Aichele gleich mehrere Menschen schon sehr lange schweigen.
Knubben Das funktioniert.
Kögel Es gibt viele Menschen nicht nur in den Gefängnissen, die können exzellent über Straftaten schweigen. Es gibt Menschen, die sind gewissenlos und können offensichtlich gut damit leben.