25 Jahre Deutsch-Türkisches Forum in Stuttgart – den Festakt zu diesem Anlass nutzte Landtagspräsidentin Muhterem Aras für einen eindringlichen Appell, die aktuelle Migrationsdebatte nicht auf negative Aspekte zu verengen.
Am 27. September 1999 wurde das Deutsch-Türkische Forum in der Stuttgarter Villa Bosch gegründet. Exakt 25 Jahre später kamen am Freitagabend wesentliche Akteure der Stadtgesellschaft im Neuen Schloss zusammen, um die Erfolgsgeschichte des Vereins zu feiern: Ehrenamtliche, Förderer, Kommunalpolitiker, Vertreter von Vereinen, Organisationen und Kultureinrichtungen. Das große Spektrum war Ausdruck dessen, dass sich das Deutsch-Türkische Forum in den vergangenen 25 Jahren zu einer wichtigen Institution in der Stadt entwickelt hat und und dank der klugen Regie von Geschäftsführer Kerim Arpad und seinen Mitstreitern heute Teil eines weit gespannten zivilgesellschaftlichen Netzwerks in Stuttgart ist.
Aras: „Türkische Kultur hat sich im Herzen von Stuttgart etabliert“
Zu feiern gibt es also vieles. Und das tut das Deutsch-Türkische Forum in seinem Jubiläumsjahr auch ausgiebig, wie jüngst beim Weindorf, als der Verein türkische Weine kredenzte. Oder an diesem Samstag mit einem Bühnen- und Infoprogramm unter mehreren Hundert Teilnehmern im Rahmen der Veranstaltung „mein Schlossplatz“, wo es um jugendliche Stadtkultur und generationenübergreifende Begegnungen geht.
Offizieller Höhepunkt des Jubiläums war der Festakt am Freitagabend im Neuen Schloss. In Reden und Gesprächsrunden wurde die integrative Arbeit des Deutsch-Türkischen Forums herausgestellt. Angefangen von Mentoring-Programmen für Kinder und Jugendliche über Angebote für armutsgefährdete Menschen bis zu Frauenförderungsprogrammen – jeweils mit dem Ziel, Menschen zu befähigen und Brücken zu bauen. Dazu kommt ein umfangreiches kulturelles Programm. Der Zuspruch ist groß. Stellvertretend dafür steht der Bühnenerfolg von „Istanbul“ im vergangenen Jahr mit 42 Vorstellungen im Alten Schauspielhaus und im Theaterhaus. „Türkische Kultur hat sich im Herzen von Stuttgart etabliert“, lobte Landtagspräsidentin Muhterem Aras. Das Deutsch-Türkische Forum sei ein „Schatz für die Stadt“.
In die Feierstimmung, zu der am Freitagabend junge türkeistämmige Musikerinnen und Musiker beitrugen, mischen sich allerdings Sorgen. Aras sprach das beim Festakt deutlich aus. Der Ton, der aktuell in der Debatte über Migration angeschlagen werde, vergifte das Klima, beklagte sie. Das führe zu Angst und Verunsicherung. Migration werde heute oft einseitig als Gefahr dargestellt: „Das wirft uns um Jahre zurück und ist einer Demokratie nicht würdig.“ Durch die Art der Debatte bekämen Migranten gespiegelt, sie seien ein Problem. Die Landtagspräsidentin, die türkische Wurzeln hat, rief dazu auf, die Leistungen von Migranten nicht kleinzureden. Ohne sie sähe Deutschland „ziemlich alt aus und läge in vielen Bereichen lahm“. „Vielfalt ist der Reichtum dieser Gesellschaft“, sagte sie. Gleichzeitig betonte sie die Notwendigkeit, islamistische Extremisten auszuweisen: „Extremismus in jeder Form ist inakzeptabel.“
Aras bezeichnete Migration als „eine echte Herausforderung“. Sie sei jedoch leistbar und könne äußerst bereichernd sein. Stuttgart sei dafür das beste Beispiel. Die von Offenheit geprägte Haltung der früheren Stuttgarter Oberbürgermeister Manfred Rommel und Wolfgang Schuster, die 2001 in das von Schuster initiierte „Bündnis für Integration“ mündete, nannte sie wegweisend: „Integration muss Chefsache sein.“ Auch Alexandra Sußmann, Stuttgarts Bürgermeisterin für Soziales, Integration und Gesundheit, forderte, die Debatte um Migration „nicht auf Schlagworte zu reduzieren, sondern fair zu führen“.
Schuster sieht das Forum künftig stärker noch als Mahner
Wolfgang Schuster, Kuratoriumsvorsitzender des Deutsch-Türkischen Forums, erinnerte an die Vorreiterrolle seines „Ziehvaters“ Manfred Rommel, der Geburtshelfer des von Achmet Arpad und Ersin Ugursal gegründeten Forums war und in dem früheren Geschäftsführer der Bosch-Stiftung, Ulrich Bopp, und Ex-Daimler-Chef Edzard Reuter prominente Mitstreiter hatte. Schuster erinnerte auch an die Vision des Vereins, nämlich die einer Stadtgesellschaft, in der Menschen verschiedenster Herkunft gleichberechtigt leben, und die Stadt und ihre Institutionen mitgestalten. Mit Blick auf das Erstarken der AfD sagte er, es drohe die Gefahr, dass aus dieser Vision eine Illusion werde. Denn diese Partei setzte auf Spaltung, statt auf Integration.
Das Deutsch-Türkische Forum, das angetreten war, Vorurteile abzubauen, sieht er daher künftig noch stärker in der Rolle eines „Mahners“. Es gelte lautstark die Stimme gegen Diskriminierung und Ausgrenzung zu erheben. „Die Spaltung richtet sich gegen uns alle“, warnte Schuster. Sie könne dazu führen, „dass das gute Stadtklima den Bach runtergeht“. Er forderte, das Wort „Willkommenskultur“ wieder stärker mit Inhalt zu füllen. Es brauche eine „gute Atmosphäre“, damit sich ausländische Fachkräfte, die in Deutschland dringend benötigt würden, auch angenommen fühlten.
Die Rolle des Deutsch-Türkische Forums sieht Schuster verstärkt auch als Diskussionspartner und Impuls- und Ratgeber in den Bereichen Bildung und Kultur. Aus seiner Sicht wäre es sinnvoll, das Thema Integration im Rathaus wieder stärker als Querschnittsaufgabe zu begreifen – ein freundlicher Wink in Richtung Stadtverwaltung. Seit der Amtszeit von Fritz Kuhn ist dafür der Sozialbürgermeister zuständig, aktuell Sozialbürgermeisterin Alexandra Sußmann, die damit, so Schuster, „eine sehr schwere Aufgabe hat“. Bei ihm war noch eine Stabstelle damit befasst und das Thema Integration damit Chefsache.
Deutsch-Türkisches Forum
Der Verein
Das Deutsch-Türkische Forum unter dem Vorsitz von Ebru Hazinedar versteht sich als Plattform für interkulturelle Begegnungen, engagiert sich in der Bildungsarbeit und fördert den kulturellen Austausch in der Stadt. Getragen wird es von knapp 400 Mitgliedern, einem prominent besetzten Kuratorium und zehn hauptamtlichen Mitarbeitern um Geschäftsführer Kerim Arpad mit Sitz in der Hirschstraße 36. Von der Stadt Stuttgart bezieht es eine feste institutionelle Förderung, ähnlich wie das Forum der Kulturen. Bundesweit gilt das als beispielhaft. Nachhaltige unterstützt wurde und wird das Deutsch-Türkische Forum zudem durch die Robert-Bosch-Stiftung. Erster Vorsitzender des Forums war Achmet Bayaz, Vater des heutigen Finanzministers Danyal Bayaz. red