Roter Teppich, elegante Outfits – und niemand weiß, wohin die politische Reise in Berlin und Washington geht. 1600 Gäste feiern am Freitagabend den 62. Landespresseball für einen guten Zweck in Zeiten, in denen nichts mehr normal scheint. Verbindet der Tanz?

Stadtleben/Stadtkultur: Uwe Bogen (ubo)

Dass sich kurz vor dem 62. Landespresseball die Ereignisse überschlagen, ein politsches Beben die Welt verändert, hat Simone Schüle in all den Jahren, da sie das gesellschaftliche Topereignis in der Liederhalle organisiert, so noch nie erlebt. Froh ist sie, dass es so gut wie keine Absage gibt. In der Pandemie und nach dem Mord an Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer fiel der Ball aus – wegen Donald Trump und Olaf Scholz denkt niemand daran.

 

Die Politik und die Medien sind in der Regierungskrise noch mehr gefordert als ohnehin schon. Sind lockere Begegnungen für beide Seiten hilfreich? Verbindet der Tanz?

2007 gab es ein Tanzverbot beim Presseball

Einst gab es bei jedem Ball ein Motto. 1986 hieß es, das ist keine Satire: „Balldampf statt Wahlkampf“. Und am Freitag beginnt der Wahlkampf im Balldampf. Hauptsache, man verliert nicht die Hoffnung, auch nicht den Humor – und tankt auf mit Lebenslust.

Johanna Henkel-Waidhofer vom Vorstand der Landespressekonferenz (LPK), die den Eröffnungswalzer mit Ministerpräsident Winfried Kretschmann tanzt, kam 1980 vom Wiener „Kurier“ als Polizeireporterin zu den „Stuttgarter Nachrichten“ – seitdem hat sie viele Pressebälle erlebt. Es waren Bälle darunter, die wie jetzt aus dem Rahmen fielen: 1989 war ein beherrschendes Thema der Bremer Parteitag, bei dem Lothar Späth Kanzler Helmut Kohl stürzen wollte. Als der Ball 2007 auf den Jahrestag der Reichspogromnacht fiel, verfügte Ministerpräsident Günther Oettinger ein Tanzverbot.

Stefan Wolf, der Arbeitgeberpräsident von Gesamtmetall, besucht den Presseball, seitdem er 21 Jahre alt ist. In seiner Funktion als oberster Repräsentant des Verbandes lädt er am frühen Abend, bevor es in der Liederhalle losgeht, in die Maritim-Bar Politiker unterschiedlicher Couleur ein (diesmal von Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut bis zum Landwirtschafts- und nun auch Bildungsminister Cem Özdemir).

„Wir werden kontrovers diskutieren, aber lassen uns das Feiern nicht vermiesen“, sagt Wolf vorab, der wie sein Mann, Musicalstar Kevin Tarte, beim Ball Smoking trägt (bei ihrer Hochzeit glänzten die beiden im Frack).

Erlös geht an Journalisten in Not

Das Feiern ist wichtig, schon allein, weil es in dieser Nacht einem guten Zweck dient. Der Erlös des von der Pressestiftung Baden-Württemberg veranstalteten Balls (dahinter stehen die LPK, der Verband Südwestdeutscher Zeitungsverleger und der Deutsche Journalistenverband) geht an Journalisten in Not und ihre Hinterbliebenen. Dass Donald Trump gewonnen hat, gefällt dem Gesamtmetal-Chef Wolf nicht. Auf Deutschland kämen „schwierige Zeiten“ zu. Deshalb könne man sich „keine instabile Regierung“ leisten.

Beim Benefizball für Journalisten in Not versammeln sich vor der Liederhalle Beschäftigte des Pressehauses Stuttgart zur Kundgebung und fordern die Rückkehr der Zeitungsgruppe Stuttgart (ZGS) in die Tarifbindung. Verdi und der Deutsche Journalistenverband haben sie für Freitag zum Warn- und Solidaritätsstreik aufgerufen. In seiner Begrüßung beim Ball bezieht sich der LPK-Landesvorsitzende Rafael Binkowski darauf. Qualitätsjournalismus liege ihm am Herzen, sagt er: Trump lehre, dass in Zeiten von Fake News guter Journalismus wichtiger denn je sei. „Doch wie können wir ihn finanzieren?“, fragt Binkowski und fährt fort: „Die Zeiten, in denen Zeitungen allein von Anzeigen und Abos leben konnten, sind leider vorbei. Heute müssen wir kreativ werden.“

Eine Demokratie ohne freie Presse, findet der LPK-Chef, sei wie „Spätzle ohne Soße - trocken und fade“. Journalisten müssten „gut bezahlt“ werden, und auch den Lesern müsse guter Journalismus etwas wert sein.

Fast das gesamte Landeskabinett hat für den Landespresseball zugesagt – von Innenminister Thomas Strobl (CDU) bis Wissenschaftsministerin Petra Olschowski (Grüne), ebenso CDU-Landeschef Manuel Hagel, der laut seiner Frau Franziska Hagel „ganz passabel“ tanzen kann. Außerdem auf der Promiliste: „Soko“-Schauspielerin Astrid Fünderich, OB Frank Nopper, Bestseller-Autorin und Ärztin Lisa Federle, Kabarettistin Doris Reichenauer, Künstler Tim Bengel, Herbert Dachs, der Geschäftsführer der Medienholding Süd, die Chefredakteure Joachim Dorfs (StZ) und Christoph Reisinger (StN).

Bundesagrarminister Cem Özdemir und seine Freundin Flavia Zaka sind auch da. Ausnahmsweise sei er heute mit dem Flugzeug aus Berlin angereist, mit dem Zug hätte er es nicht pünktlich geschafft.

Edel funkelnde Stoffe sind der Trend bei Abendkleidern

Nebenan im Hegelsaal gastiert an diesem Abend die 78-jährige Mireille Mathieu auf ihrer Abschiedstournee. Im Beethovensaal ist der 29-jährige Kelvin Jones der Stargast. Vor allem ein junges Publikum kennt den simbabwisch-britischen Entertainer dank millionenfach gestreamt Hits wie „Don’t Let Me Go“. Ein Presseball ist immer auch eine Modenschau. Marco Mangold, der Chef des Traditionshauses Koelbe & Brunotte, macht als Trend in diesem Jahr „dramatische Silhouetten“ aus: „Kleider mit voluminösen Röcken und asymmetrischen Schnitten verleihen Eleganz und Theatralik.“ Beliebt seien „edel funkelnde Stoffe in Gold, Silber“, die für einen glamourösen Look sorgten, da sie das Licht so wunderschön reflektierten.

„Feiern wir die Pressefreiheit“, ruft Rafael Binkowski und stößt an mit einem „Prosit auf die Demokratie“. Sein Wunsch in dieser Nacht: „Möge der Champagner fließen, und die Druckerschwärze niemals trocknen!“