Gibt es jemanden, der keine Pasta mag? Wohl kaum. Und sind Spätzle die wirklich Urform der Teigwaren? Es darf gestritten und in der Ausstellung in Ulm gestaunt werden.

Was Schwaben schon immer ahnten, aber nicht an die große Glocke gehängt haben: „Die wirkliche Urform der Teigwaren sind die Spätzle“. So Otl Aicher, (1922 – 1991), ein renommierter deutscher Designer und Mitgründer der Hochschule für Gestaltung in Ulm, der HfG. Dokumente und Objekte dieser weit über Baden-Württemberg hinaus bekannten Hochschule sind im HfG-Archiv aufbewahrt, das mittlerweile zum Museum Ulm gehört. Nun präsentiert es bis zum 19. Januar die Ausstellung: „al dente – Pasta & Design“.

 

Dabei wird auch deutlich, dass die deutsche Teigwarenindustrie Nachholbedarf hat, wenn man sie mit der italienischen vergleicht. Während Spaghetti&Co als Bannerträger der italienischen Esskultur die Gastronomie auch außerhalb Italiens enterten, erfüllten deutsche Nudeln brav ihre Rolle als austauschbare Beilagen. Ihnen fehlte die Ausstrahlung, die Urlauber mit Italien und Pasta verbinden. Es musste etwas geschehen.

1962 engagierte die damals führende württembergische Teigwarenfabrik Birkel den Designer Walter Zeischegg von der Ulmer Hochschule für Gestaltung, um das Nudel-Sortiment von Birkel eingängiger zu gestalten. Das Projekt kam jedoch nicht recht voran. Enttäuscht habe Zeischegg das gesamte Entwurfsmaterial vernichtet, ist im Begleitbuch zur Ausstellung zu lesen.

Siegeszug der Pasta

Der Siegeszug italienischer Pasta hängt unter anderem mit der Herstellung der staatlichen Einheit Italiens im 19. Jahrhundert zusammen. Im Sog dieser Entwicklung wurde Pasta zur Nationalspeise Italiens. Da mischte auch der Berufsrevolutionär Giuseppe Garibaldi (1807 – 1882) mit. Er soll bemerkt haben, nicht er, sondern der Topf dampfender Pasta, der mittags auf jeden Tisch des Landes komme, habe Italien vereint.

Trotz regionaler Unterschiede und mancher Bedenken gegen zuviel Nation hat sich ein gesamtitalienisches pasta-basiertes Bewusstsein erhalten. Mit einer ähnlich verbindenden Erfolgsgeschichte kann die deutsche Nudelbranche nicht aufwarten. Weder Linsen mit Spätzle noch Maultaschen sind als Einheitsspeise geeignet. Für Italien hatte Pasta die Bedeutung eines Kitts, der auch die Familien italienischer Auswanderer in Übersee einbezog.

Einer, der die Ulmer Ausstellung „al dente – Pasta & Design“ mitorganisiert hat, ist Linus Rapp, aufgewachsen ist er in der Nähe von Tübingen. „Für mich war schon im Kindesalter klar: Nudeln sind mir am liebsten, mit Reis und Kartoffeln hatte ich es gar nicht“, erinnert sich Linus und ergänzt: „Prägend waren für mich die Spätzle-Einflüsse von meiner Großmutter aus dem Allgäu. Sie und mein Vater haben mir das Spätzlehobeln beigebracht.“ Rapp lebte eine Zeit lang in einer WG mit Italienern. „Sie haben Kässpätzle absolut geliebt und wir haben dieses Gericht regelmäßig zusammen gekocht“, so Rapp.

Heute gehören Teigwaren in unseren Gefilden zu den Grundnahrungsmitteln, wie ein Blick auf die mit Pasta und Nudeln prall gefüllten Supermarktregale zeigt. Aber bereits im 18. Jahrhundert waren die Nachbarstädte Nürnberg und Fürth bekannte Handelszentren für Pasta. Es dauerte gerade einmal sechs Jahre, bis 1793 in Erfurt die erste deutsche und damals „größte Pastafabrik nördlich der Alpen“ entstand. 2022 übernahm der Schwarz-Konzern, zu dem Lidl gehört, die „Erfurter Teigwarenfabrik“ und gab dem fusionierten Unternehmen den Namen „Bon pasta“.

„Makkaroni schmecken anders als Spaghetti“

Schon nach dem deutsch-französischen Krieg von 1870/71 hatte in Deutschland eine vielversprechende Entwicklung der Nudel-Industrie eingesetzt. Sie konnte auf neue Technologien bauen wie jene Matrizen mit Löchern und Schlitzen verschiedener Größe und Form. Durch sie wurde Nudelteig gepresst, um die gewünschten Nudel- beziehungsweise Pastasorten zu produzieren. Verbesserte technische Voraussetzungen haben neue und immer kompliziertere Formen ermöglicht.

Spiralförmige Teigwaren zum Beispiel. Sie zeichnen sich durch Rinnen entlang des Nudelkörpers aus, die Soßen festhalten und so den Geschmack der Nudeln beeinflussen. „Makkaroni schmecken anders als Spaghetti nur aufgrund der Form“, heißt es in einem 1991 entstandenen Filmporträt über den Designer Otl Aicher.

Inspiriert hat Nudelmacher ein Postulat, das bereits Mitte des 19. Jahrhunderts in Amerika auftauchte: Die Form folgt der Funktion. Diesem Design-Dogma entsprechen auch muschelförmige Nudeln. Sie tragen zu einem verbesserten Mundgefühl bei. Der österreichische Filmemacher Peter Kubelka erfand die Formulierung, Nudeln seien „Architektur für den Mund“.

„Im Mittelalter kochte man Pasta bis zu zwei Stunden“, sagt Linus Rapp. „Und noch im 19. Jahrhundert sind in Italien Kochzeiten von bis zu einer Stunde belegbar“. Inzwischen scheint al dente zu einem Kultwort für Pasta-Fans geworden zu sein. Es leistet einem Rigorismus Vorschub, der manchen Fachleuten gegen den Strich geht. „Wer heute seine Nudeln weich kocht, begeht keinen Frevel, sondern bereitet sie eben zu, wie seine Vorfahren“, bemerkte der passionierte Koch und Pastaforscher Luca Cesari.

Die Nudelmanufaktur der Schauts

Auch in Baden-Württemberg tut sich was in Sachen Nudeln. Beispiel Familie Schaut in Andelfingen bei Riedlingen. Die Schauts haben es bislang nicht bereut, ihren Bauernhof zu einer schicken Nudelmanufaktur umgemodelt zu haben. Alles im Betrieb soll sich zu einer attraktiven Einheit fügen. Der Auftritt der Ware und das Outfit des Teams sind wichtiger denn je, um sich von der Konkurrenz abzuheben. Schauts versuchen ihr Geschäft auch mit Glücksnudeln anzukurbeln. Die Packungen ziert ein Herz oder ein Kleeblatt als Glückssymbol.

Im Begleitbuch zur Ulmer Ausstellung „al dente – Pasta & Design“ bringt Kulinarikprofessor Peter Peter die Philosophie der Nudeln so auf den Punkt: „Teig ist der Inbegriff des Formlosen. Teigwaren sind der Inbegriff der Formgebung“. Designer haben die Aufgabe, die passende Form zu finden. Darum bemühte sich auch der französische Stardesigner Philippe Stark. Für den Panzani-Konzern mit Hauptsitz in Lyon entwarf er eine Pastasorte, die im Kern aus mehreren Kammern für die Soße besteht. Und 2015 präsentierte Branchenprimus Barilla Pasta aus dem 3-D-Drucker. Pasta-Liebhaber sollten ihre eigenen Entwürfe in ihr Wunsch-Restaurant mitbringen, um die auf diese Weise individualisierte Pasta dann vor Ort auszudrucken und zu verzehren. Stefanie Dathe, Direktorin des Museums Ulm, dem das HfG-Archiv angegliedert ist, ist skeptisch: „Designer-Pasta braucht die Welt nicht unbedingt“ – aber die Wertschätzung für das Grundnahrungsmittel Nudeln.