Alternativer Baustoff Der Mann, der Häuser aus Hanf baut
Henrik Pauly baut gerade in Tübingen ein Haus aus Hanf. Damit haben die Hausherren ein Haus, das von Generationen bewohnt werden kann. Dann kann man es unter den Acker mischen.
Henrik Pauly baut gerade in Tübingen ein Haus aus Hanf. Damit haben die Hausherren ein Haus, das von Generationen bewohnt werden kann. Dann kann man es unter den Acker mischen.
Manchmal kann etwas ganz Kleines zu etwas ganz Großem führen. Bei Henrik Pauly war es im wahrsten Wortsinn ein Samen, der früh in ihm gesät wurde. Ein Hanfsamen. Den brachte ein Freund mal mit in die Schule. „Klar fragten wir dann alle: ‚Macht der high, wenn man ihn schluckt?“, erzählt Pauly. Natürlich nicht. Der damals Zwölfjährige zeigte den Samen seinen Eltern. Die gingen daraufhin mit ihm ins Reutlinger Hanfhaus, um ihm zu zeigen, was aus Hanf alles entstehen kann. Der damalige Besitzer, Wolf-Dieter Schmidt, brannte förmlich für diese Pflanze, führte den Jungen herum und erklärte ihm alles. „Das hat mich nie wieder losgelassen.“
Eine Baustelle im schönen Tübinger Stadtteil Lustnau. Ein Haus wird in eine Baulücke am Hang gesetzt. Mit Blick auf den Österberg und das Schloss Hohentübingen. Der Rohbau steht schon, außen ist das Gebäude bereits weiß verputzt. Das Gerüst steht noch, die Fenster sind mit Folie abgeklebt. Nichts an dem Haus sticht besonders heraus. Nur das große Plakat mit dem Hanfblatt: „Hanfingenieur“ steht darauf. Ein Transporter hält an der Straße. Henrik Pauly, der mittlerweile 34 Jahre alt ist, steigt aus und bindet seine langen roten Locken zum Dutt.
Das Plakat. „Ja, ein bisschen provozieren will ich damit schon“, sagt er und lächelt. Man kann sich ihn in diesem Moment als den zwölfjährigen Jungen vorstellen, der stolz ist auf sein Hanfwissen, das er inzwischen freilich erweitert und zu seinem Beruf gemacht. Pauly baut mit Hanf, ein in Deutschland weitgehend ein unbeackertes Feld.
Dabei ist die Sache an sich gar nicht neu. Die Verwendung von Hanf als Baumaterial reicht bis in die Antike zurück. In Europa wurde Hanf seit dem Mittelalter angebaut und vielseitig eingesetzt. Der Niedergang der Hanfwirtschaft begann im 18. Jahrhundert. Ende des 20. Jahrhunderts war sie praktisch nicht mehr existent und verdrängt von der Baumwolle. Zudem verbot man vielerorts den Hanfanbau – unabhängig davon, ob es sich um Nutz- oder Drogenhanf handelte.
Auch in Deutschland lag so eine ganze Industrie am Boden. Erst Mitte der 1990er Jahren wurde der Anbau von Nutzhanf wieder legal. Im Vergleich zu Ländern wie Frankreich war man aber inzwischen weit ins Hintertreffen geraten. Dort hatte man über die Jahrzehnte weiter experimentiert und an dem alternativen Baumaterial geforscht.
Henrik Pauly hingegen musste quasi bei Null anfangen, als er erstmals erfuhr, dass aus Hanf nicht nur Kleider, Tees, Öle und Medikamente hergestellt werden können, sondern ganze Häuser. Im Reutlinger Hanfhaus war er über diesen Fakt nicht gestolpert, und danach das Thema Hanf bei ihm etwas in den Hintergrund gerückt.
Er hatte stattdessen eine Ausbildung zum Stahlbetonbauer gemacht, danach studierte er Bauingenieurwesen an der Hochschule Biberach. Von da an arbeitete er auf vielen Großbaustellen, unter anderem in Berlin. Doch in ihm wuchs schnell der Wunsch, sich wirklich nachhaltigen Bauprojekten zu widmen.
In Berlin flammte auch seine alte Begeisterung für den Hanf wieder auf. Nach einem Besuch im Hanfmuseum der Hauptstadt fing er an, dort ehrenamtlich zu arbeiten. Dabei stieß er das erste Mal überhaupt auf Hanfkalk, ein Gemisch aus Hanfschäben, (die verholzten inneren Teile des Stängels) Kalk und Wasser. „Die Bezeichnung Hanfschäben rührt daher, dass die Pflanze abgeschabt wurde“, erklärt Pauly. „Aber sie ist auch darauf zurückzuführen, dass dieser Teil der Pflanze die Seide schäbig gemacht hat, wenn er bei der Produktion mitverwendet wurde.“
In ihm keimte der Samen zur Idee, mit diesem Material zu arbeiten. Pauly suchte nach einem Job auf dem Gebiet: „Damals gab es aber in Deutschland schlicht nichts.“ Also auch keine Erfahrung, wie sich die Mischungen genau zusammen setzen müssen. Pauly begann in der Garage seiner Oma zu experimentieren.
Vor vier Jahren gründete er in Tübingen seine Firma und wurde Deutschlands erster Hanfingenieur. Er startete genau in die Coronazeit hinein – „es hat sich richtig angefühlt. Wenn’s passt, dann passt’s.“ Seitdem baut er, inzwischen mit einer Handvoll Angestellten, deutschlandweit Häuser aus Hanf oder saniert alte Fachwerkhäuser mit Hanfkalk. Seiner Schätzung nach entstanden in Deutschland seit 2020 rund 100 Hanfhäuser. Mehr als die Hälfte davon stammen aus seiner Hand.
Das Haus in Tübingen ist schon recht weit gediehen. Hierfür wurden fertige Quader aus Hanfkalk zu Wänden vermauert. Pauly bezieht sie aus Belgien. Ihr Vorteil ist, dass sie jeder Maurer verlegen kann und sie vor Ort nicht mehr trocknen und aushärten müssen.
Im Inneren sind die Hanfkalkbausteine noch zu sehen. Sie wirken bröselig, porös – nicht gerade vertrauenserweckend. „Die sind richtig fest und halten ewig“, sagt Henrik Pauly. „Die Poren sorgen für ein gutes Raumklima. Bei zu hoher Luftfeuchtigkeit schließen sie die Feuchtigkeit ein und geben sie nach Außen, bei Bedarf auch nach Innen ab.“ Wem es um eine gute Wohngesundheit und auch eine gewisse Behaglichkeit gehe, der komme um ein Hanfhaus nicht herum, sagt Pauly.
Aber auch wem Nachhaltigkeit wichtig sei, solle sich fragen, ob der schwer entflammbare Hanfkalk nicht eine ideale Alternative zu herkömmlichen Materialien sei. Zumal er im Gegensatz zu Stahlbeton auch noch sehr gut dämmt. Die Bauherren des Hauses, erzählt Pauly, hätten sich gefragt: „Was hinterlassen wir der Nachwelt, unseren Kindern?“ Mit einem Hanfhaus haben sie bald ein Haus, das noch von Generationen bewohnt werden kann, das aber auch einfach unter den Acker gemischt werden kann, wenn es keiner mehr will. „Ein Haus kann bis zu 90 Prozent aus Hanf bestehen. Und weil das Material kompostierbar ist, hat man auch fast keine Entsorgungskosten“, sagt Henrik Pauly.
Hanf hat ohnehin eine gute Ökobilanz: Die nachwachsende Pflanze braucht nicht viel Wasser, keine Pestizide, nur Dünger, und sie bindet CO2. Hanf wächst schnell, wird bis zu vier Meter hoch und ist nach 100 Tagen erntereif. Für ein Einfamilienhaus reicht ein Hektar.
„Das Ganze ist auch politisch gerade ein sehr spannendes Thema“, sagt Pauly, während er das Baugerüst in die obere Etage hinan klettert, das freischwebend im Raum steht. Ein wackeliges Unterfangen, umfallen kann die Konstruktion aber nicht, versichert er. Er hat ein Schreiben an den Bundestag in Berlin gesendet und versucht, mit Fakten vom Hanf zu überzeugen. Fakten wie, dass man nur ein Prozent der Ackerfläche in Deutschland mit Hanf bebauen müsste, um Baumaterial für 100 000 Wohnungen zu bekommen.
„Wir sind da sehr intensiv dran, aber in der Politik muss man dicke Bretter bohren“, sagt Pauly. Noch immer gäbe es keine Normen für Hanfbau in Deutschland. „Natürlich sind die Baustoffe, die wir verwenden, für diesen Zweck zugelassen. Das müssen sie auch sein.“ Die Franzosen seien da deutlich weiter, hätten aber auch keine Norm: „Wir halten uns weitestgehend an ihr Regelwerk, denn sie haben einen hohen Standard“, sagt Pauly.
Die Kosten für ein Hanfhaus lagen anfangs rund 20 Prozent höher als für etwa ein Haus aus Stahlbeton, inzwischen macht es keinen Unterschied mehr. Was so ein Hanfhaus allerdings oft teurer mache, sei, das Hausherren, die auf Nachhaltigkeit bedacht sind, oft auf hochwertige und ökologische Putze zurückgreifen würden – etwa aus Lehm, der etwa viermal so teuer ist wie herkömmlicher Putz.
Pauly steigt das Baugerüst hinunter. „Ich denke, dass Hanf im Bau eine große Zukunft hat. Hanfkalk wird einen großen Teil im Massivbau ersetzen können. Ich bin mir sicher, dass in den kommenden 20 Jahren viele Häuser gebaut werden.“ Den einzigen Nachteil sieht er im noch wenig verbreiteten Wissen über das Material. „Aber das kann man im Handumdrehen ändern.“ Er lernt in Coachings Bauherren ein, sodass diese eine Sanierung selbst bewerkstelligen können.
Henrik Pauly steht nach dem Rundgang wieder vor dem Haus und blickt die Fassade hinauf zu seinem Firmenplakat. „Hanf soll in der Mitte der Gesellschaft ankommen. Ich will Bewusstsein schaffen für eine Pflanze, die so viel kann“, sagt er. Sein Ziel ist es, dass man, wenn man ein Hanfblatt sieht, nicht als erstes daran denkt, dass das high macht, sondern dass man an den Baustoff denkt, aus dem das eigene Haus besteht.