Achim Söding wählt in unserer Reihe „Ein Architekt zeigt seine Stadt“ ein einfach lässiges Holzhaus auf dem Campus in Stuttgart. Im Mensa-Café sagt er, was in der City nervt und was die Menschen in Stuttgart dringend verdienen.
„So müsste man heute wieder bauen!“ Achim Söding blinzelt in die Sonne, schaut einigermaßen begeistert aus, streckt die Arme aus und deutet auf ein Gebäude, das ein bisschen aussieht wie ein Fachwerkhaus, entworfen von einem Bauhaus-Architekten. Zurückgenommene, strenge Form, Flachdach, aber eben auch viel Holz. „Es ist ein einfacher Holzbau, die Studenten konnten ihn selbst zusammenschrauben. Die Prinzipien des einfachen Bauens, auf die wir uns heute besinnen“, sagt der Architekt, „sind hier schon verwirklicht gewesen“.
Das 1978 gebaute und jetzt etwas müde am Straßenrand des Allmandrings stehende Gebäude auf dem Uni-Campus in Stuttgart-Vaihingen zeigt, dass auch einfach gebaute Häuser Aufmerksamkeit brauchen, an manchen Stellen würde das Holz sich über Aufarbeitung freuen.
Vorbild für heute – das Segalhaus in Stuttgart
Aber dennoch, es macht immer noch eine gute Figur, das Segalhaus. „Der Architekt Walter Segal“, so Söding, „hatte in England die Holzbauweise praktiziert und es Bauherren ermöglicht, ihr Gebäude mit einfachen Mitteln in Selbstbauweise errichten zu können. Auch dieses Gebäude ist in Holzrahmenbauweise entstanden, von den Studierenden selbst gebaut.“ Beim Eintritt ins Haus sieht man, was Söding meint, die Konstruktion lässt sich sehen, versteckt sich nicht hinter Putz.
Rückwärtige Ansicht des Segalhauses in Stuttgart-Vaihingen. Foto: Lichtgut /Ferdinando Iannone
Die Studierenden fügten die Wandbauteile durch Klemmbretter und Bauschauben zusammen, das Tragwerk ist eine Holzständerkonstruktion mit durchgehenden Stützen, „an die mit Einpressdübeln und Bauschrauben Zangenpaare angeschlossen wurden“, wie im Begleitbuch zum Selbstbau-Seminar nachzulesen ist, das Achim Söding zum Termin mitgebracht hat. Das Haus besitzt einen Boden aus Holzlatten, die Wände aus Holzwollplatten, Gipsplatten wurden als Innenhaut verwendet, einfache Holzrahmen werden an Gelenkpunkten durch Bolzen verbunden.
Kurzum: Es ist einfach zusammen- und auseinanderbaubar, günstig obendrein. Teil der Aufgabe war auch, dass auch Laien das Gebäude herstellen könnten. Erst diente es als Unterbringungsort für Geräte, Kanus und Kajaks, wurde 1986 zu einem Umkleidegebäude mit Aufenthaltsraum umgebaut. Und heute wird es von der Fachschaft Sport und von Mitarbeitern des Instituts für Sport- und Bewegungswissenschaft als Büro verwendet.
Lernbedarf in Sachen ökologisches Entwerfen
„Es ist vielleicht kein Prachtbau, aber es zeigt, dass wir in der Vergangenheit vielleicht sogar schon einmal weiter waren, zumindest was ökologisches Entwerfen betrifft. Wir Architekten müssen da wieder lernen“, sagt Achim Söding auf dem Weg zum Mensa-Café auf dem Campus, an dem Hysolar-Gebäude von Behnisch Architekten aus dem Jahr 1987 entlanggehend. „Da hatten sie ihre dekonstruktivistische Phase, übrigens mit ein Grund, weshalb sich Fritz Auer und Carlo Weber vom Büro Behnisch gelöst haben“, sagt Söding. „Ich habe mich damals auch dort beworben, aber Auer Weber passte noch besser.“
Liebe zum Stuttgarter Schlossgarten
Damals, das war nach dem Architekturstudium in der Heimatstadt Hannover, der junge Mann kam nach Stuttgart und begeisterte sich erst einmal für den Schlossgarten: „So viel Grün und das mitten in der Stadt, fand ich toll, wenn immer möglich bin ich zu Fuß unterwegs und durch den Park gegangen, um zur Arbeit zu kommen.“
Nach ersten Erfahrungen in einem Büro in Hannover hatte er Lust auf Neues und einige Vorstellungstermine in Stuttgart. „Im Büro Auer Weber hatte ich gar keinen Termin, ich habe einfach geklingelt und angefragt, und die Sekretärin sagte, lassen Sie doch einfach Ihre Mappe da“, erinnert sich der Architekt, 1989 war das. Im Büro von Behnischs Kollegen Fritz Auer und Carlo Weber, die ebenfalls am Jahrhundertentwurf Olympia Stadion in München beteiligt waren, gefielen die Entwürfe des jungen Architekten.
Und ihm gefiel deren Arbeit. „Die Modelle, die ich gesehen hatte, waren alle so, dass ich dachte, da könnte oder würde ich gerne mitmachen.“ Er kam und blieb, seit 2006 als einer der Geschäftsführenden Gesellschafter. „Mir gefiel von Anfang an dieses Unaufgeregte, dieser unprätentiöse Ansatz, dieses grundsätzlich Einladende. Und auch, dass es nicht DEN einen Stil gibt.“
Besonders gelungen und dafür mehrfach belohnt wurde das Büro für das Landratsamt Starnberg in Bayern. Das ist seit seiner Einweihung 1987 offenbar so gut angekommen, auch bei den Nutzern, dass klar war, für die Erweiterung des Amts kommt kein Abriss und Neubau in Frage, sondern nur ein Weiterbau. Die Experten des DAM-Preises sahen es genauso und kürten das Landratsamt reloaded zum Bauwerk des Jahres 2023. Auch seiner ökologischen Bauweise wegen – Heizung und Kühlung erfolgen über eine Bauteilaktivierung. Eine Grundwasser-Wärmepumpe wird durch die neue 250 kWp-Photovoltaik-Anlage versorgt und ermöglicht eine CO2-freie Wärmeerzeugung.
Amazonienhaus in der Wilhelma
Ein aktuelles Projekt des Münchner Büros Auer Weber – neben dem Hauptbahnhof – ist das Stadtmuseum München: ein großer Umbau von Bauteilen aus verschiedenen Zeitschichten, das Ausstellungskonzept kommt vom Atelier Brückner aus Stuttgart.
Ziemlich spektakuläre Neubauten plant das Büro mit Sitz in Stuttgart und München aber schon auch, das Amazonienhaus Wilhelma etwa. „Wer darf schon ein Regenwaldhaus bauen und vorher mit dem damals tätigen Zoodirektor sich Urwaldhäuser in Amerika anschauen?“, fragt Achim Söding, um dann weiter auszuholen: „Die Gebäudehülle als Bühnenbild für Tiere, Pflanzen, Landschaft, komponierte Sichtachsen, Fotostandorte, etc. Die innere Wegeführung auf dem sehr schmalen, durch den historischen Rundweg beschränkten Baufeld ist genau durchkomponiert und das so, dass ,man die Karawane der Besucher im Urwald’, so das Zitat des damalige Zoodirektors Dieter Jauch, möglichst wenig sieht.“
Vergangenes Jahr hat die Welt bei den Olympischen Spielen in Paris das Olympische Wassersportstadium bewundert, das von der Fachplattform „ArchDaily“ als „Gebäude des Jahres 2025“ nominiert wurde. Ein Großprojekt ist der Bildungscampus Heilbronn für fast 10 000 Studierende. Er wird 2025 fertig, das Büro hatte die Mehrfachbeauftragung für den städtebaulichen Masterplan 2013 gewonnen und seitdem in mehreren Bauabschnitten verschiedene Institutsgebäude realisiert.
Architektur und Städtebau haben immer auch eine gesellschaftliche, den Alltag der Menschen bestimmende Komponente. Da ist es hilfreich, wenn ein Architekt sich nicht nur für Dachformen und Bauordnungen begeistern kann. Und so sieht man Achim Söding auch regelmäßig im Stuttgarter Schauspielhaus; auch politisches Interesse, sagt er, sei ihm fast schon angeboren. „Ich habe mit elf Jahren Bundestagsdebatten im Radio verfolgt“, sagt er mit einem Lachen, „ich weiß selbst nicht, warum.“
Politiker ist er nicht geworden, auch nicht Arzt. „Ich habe den Wehrdienst verweigert und war der erste männliche Krankenpfleger in der Institution, in der ich arbeitete, aber ich merkte, ich habe Angst, Menschen beim Sterben zu begleiten.“ Architektur war dann sein Berufswunsch, auch weil es „denkbar vielfältiger Beruf ist, man muss zusammen mit vielen Menschen Ideen entwickeln, sie darstellen können – und natürlich auch umsetzen.“
Das politische Interesse ist geblieben, Söding engagiert sich im Städtebaubeirat, und er ist Vorstand im Architektur-Forum Baden-Württemberg, zusammen mit Knut Göppert vom Ingenieurbüro Schlaich Bergermann und Partner. Die Stiftung hat jüngst gemeinsam eine Vortragsreihe zur Bauwende organisiert. „Wir müssen Bauherren beraten und Wissen weitergeben. Wir Planende können vieles noch nicht gut genug und müssen vieles neu denken und lernen“, sagt der Architekt.
Architektur neu denken
Man müsse sich Fragen neu stellen: „Was entwerfen wir, wie können wir selber zum ökologisch besseren Bauen beitragen, wie können wir zeigen, dass es gut geht, dass man mit Holz, mit Lehm auch gut arbeiten kann. Wir können als Entwerfende nicht warten, bis global etwas geschieht. Dazu müssen wir ganz am Anfang auch Bauherrn beraten: braucht Ihr wirklich zwei Untergeschosse, wie viel verbauter Beton entspricht dem Anspruch auf nachhaltiges Bauen?“
Bauherrschaften stehen auch in der Pflicht: „Bei Wettbewerben und in politischen Reden heißt es oft, ja, Ökologie ist wichtig, aber dann muss es eben auch umgesetzt werden. Wenn die Bauherrschaften offen sind, und auch auf die Wiederverwendung von bereits Bestehendem setzen, kann großartige Architektur entstehen.“
Umso bedauerlicher, wenn sich eine Stadt wie Stuttgart etwa so schwertut mit dem Thema Stadtautobahnen B 10 und B 14 und wie die City an diesen Stellen lebenswerter werden könnte: „Grausam lange dauern die Überlegungen, die städteplanerischen Wettbewerbsgewinne zur Verkehrsreduzierung umzusetzen“, kritisiert Söding. Es wäre gut und für die Stadt wichtig auch angesichts der großen, Jahrzehnte die Bürgerinnen und Bürger belastenden Baustellen etwas Positives entgegenzusetzen, findet der Architekt.
Es habe beispielsweise vor Jahren von Architekt Roland Ostertag den Vorschlag gegeben, den Nesenbach wieder sichtbar zu machen, als Teil der Identität der Stadt und als Beispiel für eine blaugrüne Infrastruktur: etwas, das die Narben von Stuttgart 21 überwindet und das die Lebensqualität der Stadtbevölkerung erhöht. Achim Söding sagt: „Stuttgart braucht etwas Versöhnliches.“ Wer wollte ihm widersprechen?
Fotos zum Segalhaus und zu Gebäuden von Auer Weber in der Bildergalerie.
Info
Segal Der deutsche Architekt Walter Segal (1907-1985) wurde in Berlin als Sohn rumänischer Juden geboren. Sein Vater Arthur Segal war Künstler. Die Nazizeit überlebte die Familie auf Mallorca und in England, wo Segal auch lehrte und arbeitete. Das Segalhaus diente es als Unterbringungsort für Geräte, Kanus und Kajaks, wurde 1986 zu einem Umkleidegebäude mit Aufenthaltsraum umgebaut und heute beherbergt es Büroräume der Mitarbeiter des Instituts für Sport- und Bewegungswissenschaft und wird von der Fachschaft Sport genutzt.
Auer Weber Fritz Auer und Carlo Weber gründeten nach dem Ausscheiden aus der Behnisch-Partnerschaft ihr Büro im Jahr 1980. Aktuell sind rund 150 Mitarbeitende aus über 20 Ländern im Team beschäftigt. Der Architekt Achim Söding, 1961 in Hannover geboren, arbeitet seit 1989 bei Auer Weber und ist seit 2006 Geschäftsführender Gesellschafter. Neben dem Büro in einer ehemaligen Fabrikhalle im Stuttgarter Osten gib es eine Niederlassung in München.
Auszeichnungen In der über 40-jährigen Firmengeschichte gab es für das Büro rund 100 Auszeichnungen, darunter zwei Deutsche Architekturpreise, ein DAM-Preis und mehr als vierzig von BDA und den Architektenkammern prämierte Projekte.