Architektur Einfach Bauen Das ideale Haus

Nach den Prinzipien des Einfachen Bauens entworfenes Wohnhaus von Architekt Florian Nagler. Foto: chels/Lanz Schels PK Odessa

Um dem bedrohlichen Wohnungsmangel etwas entgegenzusetzen, setzen Architekten und Politiker auf eine neue, alte Lösung: Es soll einfacher gebaut werden! Eine kluge Idee, für die ein Schwarzwälder Philosoph als reaktionärer Technikfeind beschimpft wurde.

Bauen/Wohnen: Tomo Pavlovic (pav)

Wohnen muss jeder, könnte man denken, so wie das Atmen gehört es zu den existenziellen Grundbedürfnissen des Menschen. Doch in Deutschland herrscht: Atemnot. Immer mehr Menschen wissen gar nicht mehr, wie sie einem der reichsten Länder der Welt ihre Miete zahlen sollen, und das trotz eines regelmäßigen Gehalts.

 

Das scheinbar Banale ist seit einigen Jahren eine höchst komplexe Angelegenheit. Diese unheimliche Wohnungsnot wird zunehmend besonders für jene bedrohlich, die auf Unterstützung angewiesen sind. Rund 23 000 Sozialwohnungen wurden im vergangenen Jahr im ganzen Land neu gebaut, im Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung war ein Vielfaches davon versprochen worden.

Inflation, Kostenexplosionen bei Baustoffen, der Krieg in der Ukraine, Fachkräftemangel bei den Handwerkern, eine sogenannte Energiewende und diese alles verlangsamende Bürokratie: Tagtäglich werden solche und zahllose weitere Ursachen für die anhaltende Misere von den verantwortlichen Akteuren aus Politik, Baubranche und Architektenschaft benannt, und mindestens so viele Lösungsvorschläge werden seit Jahren diskutiert. Allein, das alles half und hilft offensichtlich wenig bis gar nicht. Nur eines ist sicher und wird von keinem angezweifelt: das Bauen muss einfacher werden. Günstiger. Schneller. Weniger bürokratisch. Damit das Wohnen in Deutschland wieder zu einer Selbstverständlichkeit wird.

Doch wie das Bauen vereinfacht werden kann, darüber lässt sich streiten – gerade in Deutschland, dem Land der Dichter und Denker, das in Wahrheit eine Nation der Ingenieure und Beamten ist.

Die derzeitige Not in der Bauwirtschaft mag auf den ersten Blick der materielle Ausdruck einer gesellschaftlichen Krise sein, ihr tatsächliches Fundament wurde aber in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg errichtet. Um das zu verstehen, muss man sich auf die Spuren eines geächteten wie bewunderten Philosophen begeben, in den Schwarzwald. Die Rede ist von Martin Heidegger. Dessen bekanntestes Werk, die 1927 publizierte Schrift „Sein und Zeit“, verfasst er zum größten Teil auf einer bescheidenen Hütte in Todtnauberg. Ein ruhiger Fleck, ein wenig über tausend Meter hoch, im südlichen Schwarzwald, wo er zeitlebens – er stirbt 1976 – ein Refugium hat.

Mit den letzten Ersparnissen kauft das Ehepaar Heidegger Anfang der Zwanzigerjahre einem Bauern ein kleines Grundstück ab, in einer Gegend, die der jungen Frau von Skiferien aus der Jugend bekannt ist. Elfride will, dass ihr Mann die nötige Ruhe für seine Arbeit findet. Und während Heidegger als Privatdozent und Assistent von Edmund Husserl an der Freiburger Universität allmählich ob seiner aufsehenerregenden Aristoteles-Interpretation zum Star – manche ätzen: zum Scharlatan – der deutschen Philosophie avanciert, lässt Elfride die Hütte von einem ansässigen Zimmermann nach eigenen Plänen bauen.

Zwei Jahre später ist es bezugsfertig: ein karges Häuschen mit den typischen Schindeln auf den Außenwänden, spartanisch ausgestattet, die ersten Jahre stromlos. Heute würde man von einem minimalistischen Tiny House sprechen. Es heißt, er habe sich erst 1962 den Luxus eines Radios gegönnt – der Kubakrise wegen.

Allein um so wenig Ablenkung auszuhalten, braucht es einiges an Selbstdisziplin und Askese. Heidegger war nun mal kein Schrebergärtner, der ständig nach der Petersilie guckt. Nein, Heidegger war auf dem Berg, mit seinen eigenen Worten aus „Sein und Zeit“ ausgedrückt, meistens auf sich selbst „geworfen“.

Das ist der typische Heidegger-Sound, der bis heute polarisiert, so wie auch das Werk selbst, das stets zu heftigen Debatten etwa um sein Engagement für den Nationalsozialismus geführt hat. Genau das aber verhinderte oftmals den Zugang zu seiner Philosophie – und einer Sprache, die irgendwie deutsch klingt, nur urtümlicher. Unverständlich. Auch lustig.

Zu Heideggers merkwürdigsten Vokabeln gehört das „Gestell“, mit dem er die „Technik“ meinte. Der Philosoph versucht, den Wörtern ihren ursprünglichen Sinn zurückzugeben und erreicht damit eine völlig neue Verdichtung des Ausdrucks. Und wenn einer mit der Technik, pardon, mit dem Gestell seine Schwierigkeiten hat, dann klingt das so: „Das Wesen der Technik ist das Gestell, das Wesen des Gestells ist die Gefahr, das Gefährliche der Gefahr ist das sich verstellende des Seins selbst.“

Kurzum und sehr grob paraphrasiert: In der Natur wohnt das Glück! Auch wegen dieser Technikskepsis war und bleibt für Heidegger-Jünger dieser Ort südlich des Feldbergs ein geheiligter, ein von existenziellen Gedanken und brillanten Wortgebilden umwehter Meisterberg.

Die Relevanz der Philosophie Heideggers für die Architekturtheorie ist seit seinem Aufsatz „Bauen Wohnen Denken“, der 1951 in den Darmstädter Gesprächen über Mensch und Raum als Vortrag gehalten wurde, ganz besonders deutlich geworden. Die anwesende Architektenschar reagiert seinerzeit irritiert, in der Wohnungsnot der Nachkriegsjahre erwartet man pragmatische Antworten, kein theoretisches Geraune aus dem akademischen Elfenbeinturm.

Neben der Kritik am Gestell operiert Heidegger mit Begriffen, die uns heute nicht ganz so fremd erscheinen wie dem damaligen Darmstädter Publikum: Sorge und Schonung. Zukunftsfähiges Wohnen, so Heideggers These, kann nur aus existenzieller Sorge in einer Praxis der Schonung gelingen. Seit der Mensch um seine Begrenztheit weiß, wird er die Sorge um ein gelingendes Leben nicht mehr los. Sie darf aber nicht in die Maximierung der individuellen Komfortzone münden; vielmehr stellt sich die Aufgabe einer umfassenden Schonung.

Ins Hier und Jetzt übersetzt appelliert Heidegger in diesem Vortrag daran, das Bewusstsein über die Umwelt zu stärken und die zeitliche Dimension in die Planung einzubeziehen. Ressourcenschonendes Bauen wird zur existenziellen Pflichtübung, dabei soll so wenig Technik wie möglich eingesetzt und verbaut werden.

Achtsamkeit hieß bei Heidegger Schonung

Die Bauwirtschaft hat sich in den 50er Jahren für einen anderen Kurs entschieden. Heute, da wir im Gestell aus vermeintlich lebenswichtiger Technik und einem Dickicht aus mehr als 3700 Bauverordnungen gefangen sind, wirken rückblickend Heidegger und die anderen Technikskeptiker nicht mehr wie närrische Kulturpessimisten. Die heute übliche unheilvolle Praxis bei Neubauten führt einerseits zu einem immer höheren Planungs- und Genehmigungsaufwand. Andererseits treibt die Regulierungsbürokratie die Baukosten mittlerweile in unkalkulierbare Höhen.

Nach einer Studie des Bauforschungsinstituts Arge sind die Baukosten in den vergangenen vier Jahren etwa in Großstädten um 42 Prozent gestiegen, was eben nicht nur dem Krieg in der Ukraine und der Inflation geschuldet war. Die Baugenehmigungen sind massiv eingebrochen. Das einstige Ziel der Bundesregierung von jährlich 400 000 neuen Wohnungen wurde erneut deutlich verfehlt.

Raus aus der Komfortzone

Die Architektenkammern fordern seit einer gefühlten Ewigkeit, Bauen wieder einfacher zu machen. Bauherrschaften und Projektentwickler sollen rechtlich abgesichert von vermeintlichen Normen abweichen können, die vor allem viel kosten. Bauherren können sich entscheiden, gewisse Komfortstandards zu senken, etwa im Schallschutz, oder sie können auf Stellplätze verzichten. Für eine kleinteilige Flickschusterei an beinahe täglich ausufernden neuen Baunormen ist keine Zeit mehr, im Grunde muss ein neuer Gebäudetyp her, was die Bauindustrie nicht freuen wird.

Ein Pionier dieses einfachen Bauens ist Florian Nagler, ein Münchner Architekt. Der vielfach mit renommierten Architekturpreisen ausgezeichnete Planer engagiert sich bei einer Initiative der Bayerischen Architektenkammer, die Kostensenkungen im Bau zum Ziel hat. Ein Fachausschuss, dem auch Florian Nagler angehört, plädiert für die Einführung einer Gebäudeklasse „E“.

„E“ steht dabei für „einfach oder Experiment“. Es geht um Innovation durch Reduktion. Man spart Kosten, indem man ressourcenschonend baut. Und man schwört gewissen Komfortstandards ab, die wir uns in Zeiten des katastrophalen Wohnungsmangels nicht mehr leisten können. Im bayerischen Bad Aibling stehen Florian Naglers Musterhäuser, drei Stück, bewohnt, preisgekrönt, ökologisch, ressourcenschonend erbaut, die mit wenig Komfort auskommen. Ganz einfach.

Ob dieser Gebäudetyp E unser Bauen und Wohnen tatsächlich revolutionieren wird, muss sich noch zeigen, doch die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt. Ansonsten helfen Träume, Utopien, Spinnereien. Kunst. Etwas südlicher von Todtnauberg gibt es eine inspirierende Ausstellung zu bewundern, im Vitra-Design-Museum von Weil am Rhein.

Das perfekte Haus als Vision „X_Land“ des Pariser Architekturstudios XTU Architects, in Weil am Rhein ist die Ausstellung bis 1. September zu sehen. Foto: Rendering XTU Architects/Vitra

Dort beleuchtet die Schau „Transform!“ den Zusammenhang von Energie, Design und Politik. Die These: der Klimawandel ist eine schrecklich schöne Sache. Denn diese schleichende Katastrophe kann den Menschen zu einer besseren Version seiner selbst machen. Die von den ökologischen Bedingungen bestimmte gesellschaftliche Transformation wird womöglich kreative Schübe auslösen, die unter anderem Designer und Architekten mit der bedrohlichen Zukunft versöhnen.

Ich bin dann mal weg

Mit einer witzigen Vision des Pariser Architekturstudios XTU Architects hätte wahrscheinlich auch ein Martin Heidegger seinen Frieden gemacht: die Franzosen imaginieren das perfekte Haus in den Unzeiten des Klimawandels als Mischung aus Bohrplattform, Südseeinsel und Arche Noah. Andererseits . . . eine achtsam gezimmerte Holzhütte im Schwarzwald wäre auch nicht so übel.

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