Architektur und Modulbau Stuttgarter Vorzeigequartier mit Häusern, die Energie produzieren

Modulbau fürs Plus-Energie-Quartier in Stuttgart, entworfen von Architekt und Ingenieur Werner Sobek. Foto: Zooey Braun/Aktivhaus

Holzhäuser mit architektonischem Anspruch in Serie und und dazu als Plus-Energie-Quartier – so ein Viertel hat Architekt und Ingenieur Werner Sobek in Stuttgart geplant. Hilft modularer Holzbau wirklich, schneller fehlende Wohnungen zu bauen?

Bauen/Wohnen/Architektur : Nicole Golombek (golo)

Ganz schön trutzig ragen die ordentlich gereihten Häuser in den stahlblauen Himmel, nähert man sich den Gebäuden vom Augsburger Platz aus. An der südlichen Seite der vierstöckigen Flachdachgebäude glänzen die fassadenintegrierten PV-Module. Das Lärchenholz der Fassaden ist vorvergraut, das vermeidet unschöne wie unregelmäßige Veränderungen des Materials. Und das Grün entlang der Gehwege beginnt schon zu wachsen. Wie das noch etwas unwirtlich wirkende untere Bereich in wenigen Monaten ausschauen kann, sieht der Architekturflaneur, wenn er von oben, vom Galgenberg aus, ins Stuttgarter Prießnitz-Quartier spaziert.

 

Häuser, die Energie produzieren

Es blüht und grünt, Gräser spießen zwischen den kieselsteinförmigen Gehwegplättchen, Kiefernbäumchen finden sich am Weg. Steht man direkt vor den Gebäuden, wähnt man sich, zumindest was den Duft betrifft, eher im Wald als in Stuttgarts größtem und ältesten Stadtviertel. Holz und zwar jede Menge davon ist in Bad Cannstatt verbaut. Sichtbar ist es an der Fassade und unsichtbar verbaut mittels Holzständerbauweise.

Es ist viel Neues an innovativer Technik und Wohnraum entstanden, nachdem die alten Gebäude, die als nicht mehr sanierungsfähig galten, abgerissen worden sind. 330 Wohnungen, jede mit Balkon oder Terrasse, für rund 800 Angestellte des Klinikums Stuttgart hat die Stuttgarter Wohnungs- und Städtebaugesellschaft (SWSG) von Architekt Werner Sobeks Firma Aktivhaus errichten lassen. Vergeben werden die unterhalb des Mietspiegels sich bewegenden Mietwohnungen nach strengen Kriterien, der Betriebsrat spricht mit.

Ein zentraler Platz, ein Treffpunkt wäre wünschenswert – neben den kleineren Treffpunkten an den Wegekreuzungen und auf den Dachterrassen. „Fürs nächste Quartier“, sagt Werner Sobek, „wollen wir noch mehr für das soziale Umfeld tun. Ein Themenbereich ist dabei Wasser. Bei den zu erwartenden Hochtemperaturzeiten ist Verdunstung durch Bäume und Wasserelemente besonders wichtig. Zukünftig müssen wir hier alle mehr tun, denn das ist kein spezifisches Problem der Siedlung.“

Doch dafür wohnen die Krankenschwestern, Pfleger, Therapeuten in einem Plus-Energie-Quartier, das im Jahresmittel mehr Energie aus regenerativen Quellen gewinnt als vor Ort benötigt. Die Häuser erfüllen den KfW-40-Plus Standard. Ein Energiesystem auf Basis von Wärmepumpen, Photovoltaik- und Solar-Hybridkollektoren versorgt die Gebäude.

Grundsteinlegung fürs neue Quartier war 2021. Foto: Lichtgut/Ferdinando Iannone

Die Gebäudedächer sind mit PVT-Kollektoren belegt, um Solarenergie in Form von Strom und Wärme nutzen zu können; die Südfassaden der Gebäude sind mit fassadenintegrierten PV-Modulen ausgestattet. Und die aus der Umgebungsluft gewonnene Wärme versorgt eine Sole-Wasser-Wärmepumpe sowie weitere Wärmepumpen.

Die Häuser sind überdies in – nicht nur für Stuttgarter Verhältnisse – rasenden Tempo entstanden. 2021 war die Grundsteinlegung, 2022 sind die ersten 150 Wohnungen bezugsfertig gewesen, bis Ende 2023 war das Quartier fertig. Möglich wird derart rasches Bauen auch durch die Verwendung industriell vorgefertigter Module.

Die Module wurden seriell im Werk gefertigt und auf der Baustelle lediglich miteinander verbunden. Werner Sobek: „Dies reduziert den Materialverbrauch und die Abfallentstehung in der Produktion. Die Recyclingfähigkeit der Module wird durch eine sortenreine Verwendung und gut lösbare Verbindungen der Baustoffe gewährleistet“. Sprich: Sollten die sechs Häuser je abgerissen werden, könnten sie abfallfrei zurückgebaut werden.

Die Module mit einem Vorfertigungsgrad von bis zu 95 Prozent sind im Werk komplett mit Küchen, Leuchten, Steckdosen und so weiter ausgestattet. Ein ökologischer Minuspunkt aber ist der häufig lange Transportweg, da viele Modulbaufirmen ihren Sitz im Ausland haben.

Auch diese Module wurden in Polen gefertigt und via LKW nach Bad Cannstatt gefahren. „Andere Werke, mit denen wir zusammenarbeiten, liegen in Deutschland, Österreich und Slowenien“, heißt es vom Büro Sobek. „Letztlich ist es jeweils eine Frage der zum Auftragszeitpunkt verfügbaren Produktionskapazitäten, auch wenn natürlich die Minimierung der Transportdistanz immer ein wichtiges, aber leider nicht das einzig anwendbare, Kriterium ist.“

Jens Ludloff, Professor an der Universität Stuttgart, gibt zu bedenken: „Es ist aus Nachhaltigkeitsgesichtspunkten nicht sinnvoll, Raummodule über große Distanzen zu transportieren, da wenig Materie mit viel Luftvolumen transportiert wird, dies führt zwangsläufig zu einem hohen Anteil an ,Grauer Energie’. Die wirkliche Herausforderung beim Bauen in Europa liegt nicht im Neubau, sondern in der Nutzung des Bestands. Es braucht Strategien, wie wir den Bestand effektiv nutzen und weiterentwickeln können.“

Gleichwohl sieht die Zunft auch Chancen des Modulbaus. Eine bundesweite Umfrage der Bundesarchitektenkammer 2023 ergab, dass 84 Prozent der befragten Architekten der Diskussion positiv gegenüberstehen und modulares Bauen befürworten. Für Nachverdichtung in bestehenden Vierteln hat dieses Bauen große Vorteile.

In Bad Cannstatt konnte der Baulärm durch die Vorfertigung minimiert und die Bauzeit fast halbiert werden. Dank präzisier, ausführlicher Planung wird an Ort und Stelle nur noch montiert, das mindert das Lärm und Dreck; man ist auch nicht mehr so stark von Wetterbedingungen auf der Baustelle abhängig. Das werden die Nachbarn geschätzt haben, denn das Prießnitzquartier entstand inmitten eines gewachsenen Viertels.

Kritik am seriellen Bauen

Wer rätselt, warum Modulbauweise nicht häufiger im Wohnungsbau eingesetzt wird angesichts des seit Jahren verfehlten Ziels der Bundesregierung von jährlich 400 000 neuen benötigten Wohnungen, muss zurückblicken. Zum einen in die Hochzeit des Plattenbaus, „also identische Gebäude, die unabhängig von regionaler Baukultur und der Umgebung geplant und produziert wurden“, wie der Architekt und Ingenieur Werner Sobek sagt.

Zum anderen leide Modulbauweise unter dem Stigma des Containers: „Man verbindet damit das Wohnen für sozial Schwache. Gerade hier wird heute sehr viel falsch gemacht; wenn man manche Containerdörfer sieht, wundert es nicht, dass es dort zu sozialer Destabilisierung kommt.“

Wie der Prießnitzweg zeigt, muss der Modulbau nicht fad wirken. Oberflächen, Farben, Strukturen sind individualisierbar. „Wir haben eine Plattformstrategie“,erklärt Werner Sobek die Planungsschritte für den Modulbau, „anders als im Fertighausbau 1.0, der dem Gleichteileprinzip folgte, bieten wir Fertighausbau 2.0 an mit digitalem Planen und Herstellen mit Teilen in unterschiedlichen Abmessungen. Die Abstände zwischen zwei Fenstern können beliebig gewählt werden, genauso wie die Größe und die Zahl der Fenster. Irgendwann frieren wir das Design ein: Die Bauherren und wir als Planer einigen uns, dass ab dann nichts mehr geändert wird. Auf diese Weise ermöglichen wir architektonisch anspruchsvolle und gleichzeitig preisgünstige Gebäude.“

Modularer Holzbau für Hoffnungshäuser

Auch das Stuttgarter Architekturbüro andOffice hat schon Erfahrung im modularen Holzbau und hat bewiesen, dass die Entwürfe qualitätsvoll und ästhetisch anspruchsvoll sein können. Ein Schwerpunkt des Büros liegt im nachhaltigen ökologischen Holzbau mit vorgefertigter Holzelement-Bauweise. „Elemente kommen mit hohem Vorfertigungsrad auf die Baustelle und ermöglichen somit deutlich kürzere Bauzeiten“, sagt der Architekt Heiner Probst. „Ein von andOFFICE entwickelter serieller Baukasten für unterschiedlichste Wohnungstypen und Wohnungsnutzungen erlaubt extrem kurze Bauzeiten, ab vier Monaten vom Spatenstich bis zur Übergabe.“ Der Aspekt der Transportwege ist dem Büro wichtig, so Probst: „Die Fertigung erfolgt in Partnerbetrieben in Baden-Württemberg oder im Bregenzer Wald in Österreich, die Partnerbetriebe beziehen ihr Holz im Umkreis von ebenfalls maximal 200 Kilometern.“ Auch was die Kosten betrifft, lohne das modulare Planen, so Probst: „Durch Holzbau-gerechte Planung sind unsere Bauten nicht teurer als der konventionelle Massivbau.“

Hoffnungshäuser in Calw, entworfen vom Stuttgarter Architekturbüro andOffice. Foto: andOffice/David Franck

Die Hoffnungshäuser etwa in Konstanz, Esslingen, Calw, in denen auch Geflüchtete wohnen, haben andOFFICE für die Bauherren der Hoffnungsträger Stiftung entworfen, und für das Quartier in Calw-Wimberg, bestehend aus vier Häusern in sozial, ökologisch und ökonomisch nachhaltiger System- und Holzbauweise, sind andOffice ausgezeichnet worden.

Ein „Musterbeispiel für nachhaltigen und bezahlbaren Wohnraum mit hoher architektonischer und konstruktiver Qualität“, lobte die Jury der Hugo-Häring-Auszeichnung 2023 des Bundes deutscher Architektinnen und Architekten (BDA) in der Kreisgruppe Nordschwarzwald. Aktuell plant das Büro in Karlsruhe in einer bestehenden Siedlung ein Mehrfamilienhaus mit Kindertagesstätte im Erdgeschoss, auch hier in Holzbauweise und mit vorgefertigten Modulen.

Damit Gebäude notfalls auch wieder abgebaut werden können, bietet das Büro den Bauherren zirkuläres Planen an, „Cradle to Cradle“ – recyelfähiges Baumaterial, das so verwendet wird, dass es sortenreine trennbar und wiederverwendbar ist, ebenso wie Ökobilanzierungen und Materialpässe.

Man könnte solche Wohnbauten nicht nur vier- und fünfstöckig realisieren, sondern sie zu Hochhäusern ausbauen. „Nachträgliche Aufstockungen sind möglich. Auch wenn sich auf dem Dach viel Technik, begrünte Flächen und PV befindet, ist das möglich“, sagt Werner Sobek. „Das Dach kann abgenommen und nach Einbringen weiterer Wohnmodule einfach wieder aufgesetzt werden.“

Bei der offiziellen Eröffnung das Bad Cannstatter Quartiers mit viel Politprominenz, darunter Ministerin für Landesentwicklung und Wohnen, Nicole Razavi, wurde die gute Zusammenarbeit und das rasche Entstehen des Viertels gepriesen. Wer hoch qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ins teure Stuttgart locken will, so der Tenor, könne mit der Inaussichtstellung qualitätvollen und vergleichsweise günstigen Wohnraumes punkten.

Stuttgarts Oberbürgermeister Frank Nopper kam mit Salz und Brot zur Einweihung, allerdings nicht mit der Verkündung weiterer Wohnbauprojekte dieser Art. Wiewohl, auch das sagten alle Festredner, bezahlbares Wohnen dringend auch als Standortfaktor benötigt wird.

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