Annette Hölzl blickt gerne über den musikalischen Tellerrand. Foto: Gottfried Stoppel
Jazz, Klassik, Metal, Rock: Die Pianistin Annette Hölzl ist genervt von strikten Genregrenzen. In ihrem neuen Buch zeigt sie humorvoll auf, wie eng verwandt Musikrichtungen eigentlich sind.
Jazz ist verkopft, Rap ist assi, Klassik borniert und Pop doof: Von solchen Klischees hat die Kirchberger Pianistin und Musiklehrerin Annette Hölzl die Nase voll. „Schon während des klassischen Musikstudiums fand ich diese Abgrenzungen der einzelnen Musikrichtungen immer doof“, erzählt die 64-Jährige. „Natürlich gibt es verschiedene Genres. Aber im Grunde ist doch alles eins, es ist eine Musik.“ Schon seit einiger Zeit hat sie sich auf die Fahne geschrieben, die Zusammenhänge innerhalb der Musikgeschichte aufzuzeigen – bislang vor allem auf der Bühne.
Doch jetzt hat sie ein Buch geschrieben, es liegt ganz druckfrisch bei ihr, und sie ist sichtlich stolz darauf. Nun reist sie nach Frankfurt, um ihr brandneu erschienenes Werk auf der Buchmesse vorzustellen. In „Warum ein Papst die Rockmusik erfunden hat“ unternimmt die Musikerin einen humorvollen Streifzug durch die Musikgeschichte und zeigt auf, dass es von gregorianischen Chorälen bis zu Kollegah im Prinzip nur ein musikalischer Katzensprung ist.
Annette Hölzl mag keine Vorurteile in der Musik
In ihrem Buch räumt Hölzl mit Vorurteilen auf. „Jazzer glauben oft, sie seien die besten bei der Improvisation. Aber schon für Bach waren Noten eher eine grobe Landkarte. Und Beethoven war der wohl beste Improvisator der Musikgeschichte. Er hat sich so darüber aufgeregt, dass Musiker seine Kadenzen schlecht improvisiert haben, dass er sie irgendwann dann auch aufgeschrieben hat.“ Wer mit Musiktheorie und -geschichte, von der Schulzeit geprägt, nur dröges Auswendiglernen von Fis-Cis-Gis-Dis-Ais-Eis-His und Co verbindet, wird mit der Lektüre angenehm überrascht.
Und was hat es mit dem namensgebenden Papst auf sich, der die Rockmusik erfunden haben soll? Annette Hölzl erklärt, gemeint sei Papst Johannes XXII. „Er hat im 14. Jahrhundert auf die Abkehr vieler Menschen von der Kirche mit Verboten reagiert.“ Per päpstlicher Bulle schränkte er die aufkommende mehrstimmige Vokalmusik stark ein. „Erlaubt waren dann nur noch drei Intervalle, also Tonabstände“, so Hölzl. Oktave, Quarte, Quinte, mehr Abwechslung wollte der oberste Mann der katholischen Kirche bei seiner Besinnung auf die sogenannte „ars antiqua“ nicht mehr hören. Genau jene Intervalle also, mit denen Jahrhunderte später unter anderem die Rolling Stones in ihrem „I can’t get no satisfaction“ die Welt eroberten. „Ob sich Papst Johannes damals hätte träumen lassen, dass er quasi den Grundstein für die Rockmusik legt?“, ergänzt Hölzl mit einem Augenzwinkern.
Die Kirchbergerin ist die „Mrs. Holmes der Musikgeschichte“
Vor Corona verdiente sie sich ihren Lebensunterhalt vor allem durch Konzerte und Auftritte. Ihre „Mixed Classics“ waren beliebt und erfolgreich, sie spielte jeweils vor mehreren hundert Zuhörern, ein Team von acht Menschen kümmerte sich um Organisation, Marketing und alles, was dazugehört. „Mein Spitzname, Mrs. Holmes der Musikgeschichte, kam damals aus dem Publikum, das hat mich sehr gefreut“, sagt Hölzl. Doch dann kam die globale Pandemie mit ihren Auswirkungen, viele Auftritte brachen weg. „Für Kleinkünstler, die nicht auf dem Stadtfest Coverversionen spielen, hat sich die Lage seither nicht mehr erholt“, sagt Hölzl.
Gezwungenermaßen switchte die passionierte Musikerin um. „Ich wollte eigentlich immer schon ein Buch schreiben“, gibt sie zu. Nun hatte sie einen Ansporn. Ideen und Geschichten hatte sie aus ihrem bisherigen Bühnenprogramm ohnehin. „Ich habe mich dann an einigen Wochenenden in eine kleine Schreibstube am Bodensee eingemietet, das hat sehr gut geklappt“, sagt sie. Beim Schreiben kamen ihr noch viele weitere Ideen für Ausflüge in andere Kapitel der Musikgeschichte – insgesamt zweieinhalb Jahre lang arbeitete sie an ihrem Buch. Nicht zuletzt, weil sie es mit vielen QR-Codes versehen hat. „Es ist richtig schwer, Klänge zu beschreiben. Daher habe ich die Codes mit Links zu Youtube-Videos eingefügt, in denen man sich die Stücke anhören kann, über die ich schreibe“, sagt Annette Hölzl.
Konzerte mit den Mixed Classics gibt es weiterhin
Auch Beethoven improvisierte gern. Foto: imago
Komplett auf das Schriftstellerdasein umgesattelt hat Hölzl nicht. Ihre Klavierworkshops, aber auch Auftritte zusammen mit dem Schlagzeuger Marius Hamann – quasi ihrem Dr. Watson – wird es auch in Zukunft geben. So spielen die beiden ihre „Mixed Classics“, quasi die Konzertvariante des Buchs, regelmäßig auf privaten Events und bei Firmenveranstaltungen, aber auch öffentlich. Und auch sonst blickt sie weiter über den eigenen Tellerrand, musikalisch wie medial. Zusammen mit ihrem Sohn Yannick Hölzl hat sie jüngst einige Hip-Hop-Beats aufgenommen. „Außerdem machen wir bald die ersten Videos für Tiktok. Das ist gar nicht so leicht, in einer Minute Videolänge einen Inhalt zu transportieren“, sagt die Musikerin. Man darf also gespannt sein, was Mrs. Holmes noch alles ausheckt.
Neuerscheinung Die Frankfurter Buchmesse hat begonnen, sie dauert bis Sonntag, 20. Oktober. Annette Hölzl ist von Donnerstag bis Samstag mit dabei, um Kontakte zu knüpfen und ihr Buch zu promoten. Dabei wird sie auch live vom Deutschlandfunk Kultur interviewt. Das Gespräch wird an diesem Freitag um 11.30 Uhr ausgestrahlt. Ihr Buch ist im Büchner-Verlag erschienen und ab sofort bei allen Buchhandlungen und auf Amazon erhältlich.