Zu Besuch beim Schmachtfetzen
Fühl dich schön, stark und sexy – so steht es auf einem der Schaufenster, die in Stuttgart gleich an zwei Stellen Aufmerksamkeit erregen. Johanna Hellmichs „Schmachtfetzen“ sind in der Rotebühl- und Olgastraße zu finden und laden in eine Welt der Muster, Farben und Texturen ein.
Seit acht Jahren bietet Johanna Vintage-inspirierte Mode mit klassischen und modernen Schnitten für kleine und große Größen an. Denn für die Stuttgarterin ist klar, sie wünscht sich „alle hierher – jeder soll in unserem Laden etwas finden können“. Die stilvoll eingerichtete Boutique mit pastelligen Wandfarben und stylischen Möbeln lädt zum längeren Verweilen ein. Wieso sie den Laden 2014 eröffnet hat? "Weil ich zu den Macher:innen dieser Welt gehöre und, weil ich fand, die Zielgruppe in Stuttgart sei da – gerade hier könne man sich qualitativ hochwertige und individuellere Mode leisten", so Johanna.
Herausforderungen gebe es trotzdem. Neben der Corona-Phase, die die Boutique dank des Kundenkontakts über Instagram gut überstanden hat, stellt auch der Brexit eine Herausforderung dar. Johanna kann eine ihrer Bestseller-Marken nicht mehr aus Großbritannien zu sich in den Laden holen – zu hoch wären die Preise aufgrund des Zolls. Und das möchte sie ihren Kundinnen nicht zumuten, sagt die Inhaberin. "C’est la fucking vie" steht auf ihrem T-Shirt. Ihrem Sohn hätte sie den Spruch mit „So isch des Leba“ erklärt. Nun trete aber die Erholungsphase ein, meint Johanna. „Die Leute haben wieder Lust rauszugehen und etwas einzukaufen.“
„Mehr Modemut & Aus-der-Box-raushüpfen“
Dabei ist des Schmachtfetzens Kern: Anti-Mainstream und Individualität in jeder Form und Größe – hier gibt es Teile, die es in der Königstraße nicht zu finden gibt. „Im Vergleich zu Städten wie Berlin ist Stuttgart recht Mainstream. Mode im Breuninger gilt eher als Sinnbild für Stuttgart – klassisch und auch wahnsinnig vorsichtig, als würde man bloß nicht auffallen wollen“, meint Johanna. „Ich finde Stuttgart dürfte sich ruhig mehr trauen!“. Auch, was das Betreiben eines Geschäfts angeht, sagt sie. „Inhabergeführte Boutiquen gibt es in Stuttgart zu wenig und auch nur punktuell in der Stadt verteilt.“
Trotzdem kommen neben Stammkundinnen auch mal Passantinnen vorbei, die der Name Schmachtfetzen neugierig gemacht hat. Was die Kundinnen am meisten in Johannas Boutique schätzen, sei die gute und ehrliche Beratung, neben der Auswahl der Kleidung. Und wenn man sich wohl fühle, dann würde das Teil auch nicht irgendwann nur tot im Schrank rumliegen, stimmen Johanna und eine Kundin überein. Und darum ginge es doch beim Shoppen – Teile finden, in denen man sich selbst schön findet. So, wie es einem der Spruch auf Johannas Schaufenster eben rät.
Modeteile, die laut Johanna in jedem Schrank fehlen sollten: „Ein guter schwarzer Bleistiftrock, eine weiße Bluse und eine gute Lederjacke!“
Schmachtfetzen, Olgastr. 41, Stuttgart-Mitte; Rotebühlstr. 51, Stuttgart-Mitte, Mo-Fr 11-18, Sa 11-16 Uhr
Französische Mode im Magasin
Das Wort Magasin meint keinen trendigen Begriff, sondern eine echte Philosophie – denn in Magali Steidles Boutique beim Hans-im-Glück-Brunnen finden sich fast ausschließlich französische Modemarken wieder. Die gebürtige Freiburgerin lebt seit 20 Jahren in Stuttgart und findet, die Stadt habe sich seither verändert – vor allem sei sie vielseitiger geworden.
Auch für Magali ist Vielseitigkeit und Individualität wichtig, ebenso wie Qualität und Nachhaltigkeit – das schätzen auch ihre Kundinnen an der Mode im Magasin. „Es kommen viele zu uns, die francophil sind und den französischen Stil und Vibe lieben. Wir führen viele Farben und Muster, insgesamt ist der Stil sehr feminin“, erklärt die Inhaberin. Gerade die aus Marseille stammende Marke Sessùn sei das Highlight im Laden. Für Magali ist es wichtig, Kollektionen und Marken zu kaufen, die inhabergeführt sind und eine Aussage haben.
„Der Service steht an erster Stelle“
Als Magali 2017 den Laden entdeckte, ist das letzte Fünkchen übergesprungen, das es zum Eröffnen einer eigenen Boutique gebraucht hat. Und prompt wurde das Magasin-Schild an die Außenfassade gehängt und Mode im Laden ausgepackt. Magali, die sonst beruflich die Kollektionen an die Einzelhändler vertreibt, wollte die Seiten wechseln. Dabei sei der Service und eine gute und ehrliche Beratung die Grundlage für ein gutes Geschäft, so die Stuttgarterin.
Kundinnen kaufen oftmals ganze Outfits ein, die sie selbst so nicht zusammengestellt hätten. Diese Beratung fehle online. „Vor allem aber ist Mode Emotion und soll Spaß machen. Kundinnen fragen mich, wann sie denn das auffällige Kleid tragen sollen. 'Am besten jeden Tag!', antworte ich dann.“ Trotz der Konkurrenz auf der Königstraße, gerade durch Sale-Angebote, und trotz des Eindrucks, die Innenstädte würden leerer, hätten diesen Sommer mehr Passant:innen den Laden besucht, meint die Inhaberin. Wenn der Laden von Kundinnen empfohlen wird, sei das für Magali das schönste Kompliment. Dann habe man alles richtig gemacht. Jetzt feiert Magasin erst einmal Jubiläum – am 10. September ist die Boutique am Hans-im-Glück-Brunnen schon seit fünf Jahren Teil der Stuttgarter Modeszene.
Modeteile, die laut Magali in keinem Schrank fehlen sollten: „Eine hochwertige, weiße Popelinbluse und eine wirklich gut sitzende blue Jeans!"
Magasin, Geißstr. 15, Stuttgart-Mitte, Mo-Fr 11-18, Sa 11-16 Uhr
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Heritage Fashion bei Ciao Ragazzi
In eine wiederum ganz andere Welt taucht man ein, wenn man den Store von Sebastian Stoll betritt. Dunkles Holz, erdige Naturtöne und schwarz-weiße Magazin- und Buchcover verleihen seinem Ciao Ragazzi eine gediegene und angenehme Ästhetik. Schnell ist spürbar, dass auch hier eine Philosophie dahintersteckt – nämlich die der alten Mode- und Fertigungskunst. Dabei ist, wie Sebastian sagt, das Material das A und O.
Seine Liebe zu Mode und Textilien hat der gelernte Elektrotechniker durch seine berufliche Erfahrung in der Textilforschung entdeckt. In dieser Zeit hat er sich viel Wissen über die unterschiedlichsten und ursprünglichsten Materialien angeeignet und „begriffen, was es eigentlich bedeutet, einen Stoff, ein T-Shirt, eine Jacke herzustellen.“ Er spricht über die Geburtsstunde der Jeans, die Qualität der Webkante (auf Englisch Selvedge) und über Rundwirkmaschinen, die in Albstadt noch zum Einsatz kommen.
Diese Leidenschaft und die passende Geschäftsfläche brachten die Vision von Ciao Ragazzi zum Leben. Die Idee für den Namen kam Sebastian und seiner Frau auf einem Roadtrip in Italien in den Sinn. „Der Song von Adriano Celentano lief bei uns im alten Volvo in Dauerschleife. Irgendwann dachten wir uns ja, Ciao Ragazzi fühlt sich genau richtig an für den Laden.“ Vom jungen Skater bis hin zum emeritierten Professor – Sebastians Kundenspektrum ist recht breit und doch kommen alle aus demselben Grund zu ihm: Sie wissen die Qualität und Natürlichkeit der Kleidungsstücke und -materialien zu schätzen.
„Klar, die Studenten können es sich oft nicht leisten. Aber es kommt vor, dass sie ein Jahr später fest im Job sind und dann wieder vorbeikommen, und das Teil kaufen.“ Heritage Fashion ist die Idee, die hinter den Produkten in Sebastians Laden steckt. Es geht darum, Kleidung wie früher zu fertigen und echte Klassiker beizubehalten, auch in der Herstellung. Jeans bilden das Herzstück in Sebastians Laden – er findet es sei der interessanteste Stoff, den es gibt – weil er unabhängig vom Stil in jeder Szene fest verankert ist, egal ob bei Workwear oder Hip-Hop Mode. Seine über 30 Marken bezieht er hauptsächlich aus Japan, den USA und Portugal.
Schlichte Stuttgarter & künftige Pläne
Die Corona-Jahre waren schwierig für den Laden, und auch der Ukraine-Krieg ist bei den Kunden deutlich zu spüren, meint Sebastian, „Die Leute sind definitiv zurückhaltender.“ Trotzdem blickt er dem Herbst und Winter positiv entgegen. „Ich hab‘ auf jeden Fall Bock weiterzumachen, es kommt geiles neues Zeug rein und ich hoffe, die Leute lassen sich nicht unterkriegen.“ Für die Zukunft ist auch ein Reparatur-Service im Laden geplant, sowie der Ausbau der noch kleinen Frauenkollektion.
Fragt man Sebastian abschließend nach der Modeszene Stuttgarts, muss er schmunzeln. „Ich würde sagen, in Stuttgart sind die Leute eher schlicht angezogen – zurückhaltend, klassisch und praktisch. Da würde ich mir etwas mehr Mut wünschen.“ Aber so ein Style-Empfinden, das komme nicht von heut auf morgen, das müsse man sich aufbauen, gibt der gebürtige Schwarzwälder zu. Der beste Weg dafür ist, sich mit der Welt der Mode auseinanderzusetzen. Sebastian steht jedenfalls täglich im Laden zur Verfügung – just in case.
Modeteile, die laut Sebastian in keinem Schrank fehlen sollten: „Selvedge Jeans, Balkutta Jacke und ein Merz b. Schwanen T-Shirt“ – Fun Fact: Letztere Marke kommt aus Albstadt bei Reutlingen und kam sogar in Jason Momoa’s Aquaman zum Einsatz.
Ciao Ragazzi, Rotebühlstr. 59A, Stuttgart-Mitte, Mo-Fr 11-19, Sa 11-16 Uhr