Vor 100 Jahren verschwanden die beiden britischen Bergsteiger Andrew Irvine und George Mallory am Mount Everest. Ein Kamerateam macht jetzt einen aufsehenerregenden Fund. Haben beide doch als Erste den Gipfel erreicht?
Bis heute wird darüber spekuliert, ob dem Briten Andrew Comyn Irvine (1902-1924) vor 100 Jahren zusammen mit seinem damals berühmten Bergsteiger-Kollegen George Mallory (1886-1924) die Erstbesteigung des Mount Everest gelang.
Nach einem Bericht von „National Geographic“ hat ein Dokumentarfilmteam des Magazins jetzt möglicherweise sterbliche Überreste von Irvine („Sandy“) am höchsten Berg der Erde gefunden.
Irvines Kletterstiefel am Rongbuk-Gletscher
Wie das Magazin berichtet, fand das Filmteam bereits im September 2024 am zentralen Rongbuk-Gletscher auf tibetischer Seite des Mount Everest einen abgetragenen Kletterstiefel, in dem sich unter einer Socke noch ein Fuß befand. Die Socke sei mit dem Name „A.C. Irvine“ bestickt gewesen.
Von dem Fund erhoffe sich das Team weitere Hinweise für eine Erklärung, was damals wirklich auf dem Everest passiert sei, erklärt Regisseur Jimmy Chin. „Das ist der erste wirkliche Beweis, wo Sandy geendet ist.“ Seine Leiche könnte einige Meter weiter weg liegen.
DNA-Proben ergeben Klarheit
Mitglieder der Irvine-Familie hätten sich bereit erklärt, sich DNA-Proben entnehmen zu lassen, um sicherzugehen, dass der Körperteil zu Andrew Irvine gehöre, heißt es in dem Bericht.
„Das ist ein Objekt von ihm und es ist etwas von ihm darin“, sagte Chin zufolge Irvines Großnichte Julie Summers. Sie vermute, dass die Überreste beider Kletterer von Lawinen erfasst und infolge der Gletscher-Bewegungen auseinandergerissen wurden.
Am 8. Juni 1924 zuletzt gesehen
Nepalesen und Tibeter wären nie auf die Idee gekommen, den Mount Everest zu erklimmen und dabei ihr Leben zu riskieren. Das taten erst die Europäer – herausragende Bergsteiger wie George Mallory und Andrew Comyn Irvine. Von 1922 bis 1924 erkundeten sie im Rahmen von drei britischen Expeditionen die Khumbu-Region um den Mount Everest.
Am 8. Juni 1924 wurden sie auf einer Höhe von 8500 Meter zum letzten Mal am Nordostgrat des höchsten Berges der Érde gesehen. Beide waren 1924 am Everest verschwunden und gaben damit eines der größten Rätsel des Alpinismus auf. Als Erstbesteiger gelten Edmund Hillary und Tenzing Norgay, die knapp 30 Jahre später auf dem Gipfel des 8849 Meter hohen Bergs standen.
Bis heute gilt es als noch immer nicht als abschließend geklärt, ob die beiden Briten es bis zum Gipfel geschafft hatten. Am 1. Mai 1999 wurde Mallorys konservierte Leiche in 8150 Meter Höhe entdeckt, Irvine blieb verschwunden. Beim Fund der Leiche Mallorys vor 25 Jahren hatte man sich Klärung von Bildern in seiner Kamera erhofft, doch wurde sie nicht gefunden.
Mehr als ein Berg – Mythos Everest
- Erstbesteigung: Edmund Hillary (1991-2008), der zusammen mit dem Sherpa Tenzing Norgay am 29. Mai 1953 den Mount Everest über die Südroute bezwang, sagte nach seiner Rückkehr nach England: „Wir haben den Bastard letztlich doch bezwungen.“
- Name: Der Mount Everest ist der König der Berge. Mit 8848 Meter ist er die höchste Erhebung auf dem Planeten. Einer von 14 Achttausendern, von denen sich zehn im Himalaya und vier im angrenzenden Karakorum-Gebirge befinden. Der nach dem britischen Vermessungsingenieur Sir George Everest benannte Berg heißt auf Nepalesisch „Sagarmatha“ und auf Tibetisch „Qomolanga“ – Mutter des Universums.
- Religion: Für die vom Buddhismus und von Naturreligionen geprägten Einheimischen ist der Everest ein heiliger Berg, den Dämonen und Geister bewohnen. Auf dem Gipfel soll die Göttin Jomo Miyo Lang Sangma hausen, eine der fünf Schwestern des langen Lebens, die den Menschen Nahrung schenkt. Um die Berggeister gnädig zu stimmen wird von Mönchen der nahegelegenen Klöster vor jedem Aufstieg ein Ritual – Puja genannt – abgehalten.
- Geologie: Geologisch ist der Mount Everest wie der ganze Himalaya, die Alpen und amerikanischen Kordilleren während der alpidischen Gebirgsbildung entstanden. In dieser bislang letzten globalen Entstehungsphase von Gebirgen in der Erdgeschichte kollidierten vor 100 bis 50 Millionen Jahren die indische und eurasische Platte. Durch den Kontinentaldrift wurden die Landmassen emporgehoben und die großen Gebirge entstanden. Diese tektonischen Bewegungen halten bis heute an. Jedes Jahr wird die Gipfelpyramide des Everest um vier Zentimeter nach Nordosten verschoben und um 0,3 Zentimeter angehoben.
- Klima: Das Klima am Everest ist extrem. Im Januar, dem kältesten Monat, kann die Temperatur auf minus 62 Grad Celsius fallen. Stürme mit Windgeschwindigkeiten von bis zu 320 Stundenkilometern fegen dann über die Eisfelder, Bergrücken und Steilschluchten hinweg. Eine Begehung dieser Todeszone ist nur an wenigen „Fenstertagen“ mit stabilem Wetter während der Klettersaison von Anfang bis Ende Mai möglich.
Aufstieg über die Nordroute
- Felsstufen: Andrew Irvine und George Mallory nahmen den Weg über die Nordroute auf den Mount Everest. Wer neue diese Tour wagt, geht nach der Akklimatisierung gegangen über das Basislager und das vorgeschobenen Basislager über den Nordgrat zu beiden Zwischenlagern Camp I und II. Das dritte und letzte Zwischenlager Camp III befindet direkt unterhalb des Nordostgrats. Über den ausgesetzten Grat geht es über die erste, zweite und dritte Felsstufe direkt zum Gipfel.
- Basislager/Nordsattel: Die Nordroute von der chinesisch-tibetischen Seite aus wurde erstmals 1960 und 1975 von chinesischen Bergteams begangen. Sie ist neben der Südroute die am häufigsten begangene Tour auf den Gipfel des Mount Everest. Man startet vom Basislager im Rongbuk-Tal in 5200/5300 Metern Höhe. Das vorgeschobene Basislager liegt auf 6100 Meter am Fuße des Rongbuk-Gletschers. Die Tour geht den Steilhang hinauf zum Nordsattel (North Col) auf 7000 Meter Höhe.
- North Ridge: Hier beginnt der North Ridge (Nordgrat) und die Todeszone. Ab hier sind Luftdruck und Sauerstoffangebot so verringert, dass die Gefahr von Hirn- und Lungenödemen sehr groß ist. Nur rund hundert Bergsteigern haben bisher den Gipfel des Everest ohne zusätzlichen Sauerstoff erreicht. Normalerweise verwenden alle Kletterer oberhalb von 7500 Metern 1,5 bis 2,5 Liter Flaschensauerstoff pro Minute. Dies entspricht einem Bedarf von zwei Flaschen Sauerstoff pro Person innerhalb von 24 Stunden.
- Nordgrat/Norton Couloir: Über den Nordsattel führt die Route von 7000 Meter über den Nordgrat zu einer Steilschlucht auf 7800 Meter. Diese sogenannte Große Couloir (Great Couloir) zieht sich über die gesamte Nordwand des Everest. Sie ist nach dem britischen Everest-Bergsteiger Edward F. Norton, der bei seinem erfolglosen Gipfelversuch am 4. Juni 1924 beim Aufstieg über die Nordwand bis auf 8570 Meter kam.
- Northeast Rigde: Weiter geht es mehr als 400 Meter steil bergauf, bis man schließlich auf circa 8300 Metern auf den Nordostgrat (Northeast Rigde) gelangt.
- Nordostgrat/Felsstufen: Auf dem ausgesetzten oberen Grat warten noch drei Hindernisse auf die drei Bergsteiger aus Osttirol: First, Second und Third Step. An der ersten Felsstufe (First Step) auf 8560 Metern müssen sie über große Gesteinsblöcke kelltern. Der Second Step ist der klettertechnisch schwierigste Teil auf der Nordroute. Auf 8610 Meter ragt eine 40 Meter hohe Felswand auf, deren letzte zehn Meter senkrecht sind. Ein chinesisches Kletterteam hatte hier 1975 eine Metallleiter angebracht, die seitdem von Bergsteigern benutzt wird.
- Third Step/Gipfel: Der Third Step auf 8710 Meter ist zehn Meter hoch und kann von geübten Bergsteigern problemlos gemeistert werden. Über ein Schneefeld geht es die letzten 140 Meter hinauf zum 50 Grad steilen Gipfelschneefeld, bis man den Summit des Everest auf 8848 Metern erreicht.
Warum auf den Mount Everest?
Warum gehen Bergsteiger auf den Mount Everest? Sie wissen um die Gefahren und die hohe Zahl der Opfer, die der Berg fordert. Überall am Weg liegen die gefrorenen Leichen verunglückter Bergsteiger, die auf dem Everest ihre letzte Ruhe gefunden haben. Eine Bergung der mehr als 200 Toten, die in eisigen Höhen ruhen, wäre nur unter größter Lebensgefahr für die Bergungsmannschaften möglich.
Der englische Bergsteiger George Mallory soll einmal gefragt worden sein: „Why do you climb Mount Everest?“ – „Warum besteigen Sie den Mount Everest?“ „Because it’s there!“, antwortete er. – „Weil er da steht!“ Mallory war der erste Mensch, der dem Gipfel des Everest zum Greifen nahe kam und ihn 1924 möglicherweise auch bestiegen hat – 29 Jahre vor den offiziellen Erstbestzeigern Edmund Hillary und Tenzing Norgay.
Mallory und sein Begleiter Andrew Irvine gingen damals über den Nordgrat und querten unterhalb des Nordostgrades die Nordwand. Von dort kletterten sie die Great Couloir hinauf, eine Steilschlucht, die bis unterhalb des Gipfels reicht.
Info: Mount Everest – Chronologie des Alpinismus am König der Berge
1953: Hillary und Tenzing
Am 29. Mai 1953 brachen der Neuseeländer Edmund Hillary und der Sherpa Tenzing Norgay um 6.30 Uhr vom letzten Lager auf 8510 Meter auf. 88 Meter unterhalb des Gipfels tat sich vor ihnen auf dem südöstlichen Grat eine zwölf Meter und über 70 Grad steile Felsstufe auf. Der „Hillary Step“, das letzte Hindernis auf dem Weg zum Gipfel. Um 11.30 Uhr hissten sie die britische Flagge auf dem Dritten Pol.
1960/1975: Die Chinesen kommen
1960 und 1975 wurde der Everest erstmals von chinesischer Seite über den Nord- und Nordostgrat von einer Seilmannschaft aus dem Reich der Mitte bestiegen. Die Nord- und Südroute werden heute von den meisten Expeditionen begangen.
1976: Die erste Frau
Am 16. Mai 1976 stand mit der Japanerin Junko Tabei die erste Frau auf dem Everest.
1978: Messner und Habeler
Am 8. Mai 1978 erreichten Reinhold Messner und Peter Habeler den Gipfel erstmals ohne zusätzlichen Sauerstoff.
1980: Cichy und Wielicki
Zwei Jahre später, am 17. Februar 1980 bestiegen die beiden Polen Lezek Cichy und Krzysztof Wielicki das Massiv erstmals im Winter. Temperaturen von minus 45 Grad Celsius und Windgeschwindigkeiten von 200 Stundenkilometern kosteten sie fast das Leben.
1980: Messner-Solo
Als größte bergsteigerische Leistung am Everest gilt die Alleinbegehung des Berges durch Messner im Alpinstil. Ohne Fremdhilfe, ohne vorher präparierte Route und in einem Zug vom Basislager zum Gipfel stieg der damals 36-Jährige die 3500 Höhenmeter. Für seine Solobesteigung wählte er die Nordroute, querte oberhalb des Nordsattels in die Norton Couloir, eine Steilschlucht in der Nordwand, die bis 150 Meter unter den Gipfel führt (mit dpa-Agenturmaterial).