Fast alle Häuser in Stuttgart verzeichnen ein deutliches Plus, nur dem Kunstmuseum bescherte der Trubel vor der Tür während der Fußball-EM einen kleinen Dämpfer. Und das Haus des Waldes erlebte, was eine Influencerin mit 20 000 Followern auslösen kann.

Eindeutiger könnte Stuttgart seinen Ruf als Kulturstadt ersten Ranges nicht belegen: 3 620 798 Millionen Menschen besuchten 2024 die 43 Stuttgarter Museen. Ein Rekord, mehr denn je. Wie kommt’s? Andrea Gehrlach von Stuttgart Marketing hat die Antwort parat: „Stuttgart hat ein fantastisches Jahr 2024 erlebt. Mit 4,6 Millionen Übernachtungen, das war ein Zuwachs von 600 000 oder 14 Prozent.“ Tolle Konzerte, bedeutende Messen und Kongresse und vor allem die Fußball-EM hätten die Stadt zum attraktiven touristischen Ziel gemacht. Klar, dass davon in erster Linie zwei international bekannt Adressen profitieren: Das Mercedes-Benz-Museum fuhr mit 882 422 Besuchern (2023: 800 245) aus 162 Ländern, China, Frankreich und die USA an der Spitze, so viel Publikum ein wie noch nie. Am 12. September wurde der 13-millionste Besucher seit der Eröffnung 2006 begrüßt. Das Porsche-Museum liefert mit 671 934 (535 613) den zweiten Superlativ und hat damit seit 2009 die Summe von 6,5 Millionen Besuchern erreicht. Dass aber selbst das Weinbaumuseum in der Kelter von Uhlbach, Andrea Gehrlachs Domäne, mit 34 000 Kennern und Genießern 5000 mehr als im Vorjahr anzog, erstaunt die Leiterin dann doch.

 

Mittendrin im Stuttgarter Leben Des einen Freud‘, des andern Leid: „Der Trubel vor dem Museum während der Fußball-EM war ein spürbarer Dämpfer für uns, einige Male mussten wir das Haus früher schließen“, kommentiert Ulrike Groos, Direktorin des Kunstmuseums das Minus von 35 000 Besuchern bei der Gesamtzahl von 202 600. Aber grundsätzlich sehe sie die privilegierte Lage „mittendrin im Stuttgarter Leben“ als Privileg des Hauses, das dazu animiert, beim Einkaufsbummel spontan einen Abstecher zur Kunst einzulegen.

Das Kunstmuseum musste wegen des EM-Trubels einige Male früher schließen. Die Lage ist Herzen Stuttgarts wird dennoch als Privileg empfunden. Foto: Max Kovalenko

„Ich habe immer gedacht, Carpaccio ist nur eine italienische Vorspeise. Und Bellini ein Cocktail“, gesteht ein junger Mann seiner Freundin. Erlauscht in der Staatsgalerie, in der aktuellen Sonderausstellung über die Maler Vittore Carpaccio und Giovanni Bellini aus der Frührenaissance in Venedig. Reges Leben im Museum, das, von Fußball-Fans und Public Viewing nicht tangiert, bei 282 000 Besuchern ein Plus von 40 000 verzeichnen kann. Zu verdanken laut Pressesprecherin Diana Maier dem Erfolg der Ausstellung über den Maler Modigliani, aber auch der Neupräsentation der Sammlung. Und „The Gällery – Raum für Fotografie“ ziehe wie erhofft mehr junges Publikum an. Nicht zu vergessen die Attraktion von Carpaccio und Bellini seit Anfang November, auch als Aha-Erlebnis: Der junge Mann weiß es jetzt besser. Giuseppe Cipriano, der Wirt von Harry’s Bar in Venedig, hatte seine beiden Kreationen einfach nach den Meistern der Renaissance benannt.

Die Staatsgalerie konnte sich 2024 bei 282 000 Besuchern über ein Plus von 40 000 freuen. Foto: Lichtgut/Zophia Ewska

Stadtpalais als Hotspot „Was ist da los?“, haben sich viele Stuttgarter gefragt, als vor dem Stadtpalais etliche junge Menschen auf Einlass warteten. Wollen die alle ins Stadtmuseum? Nein, auf die Freitreppe zum „Palais après“ abtanzen nach Büro, Betrieb und Geschäftsschluss von 18 bis 22 Uhr. Beschwerden haben dem Vergnügen ein Ende bereitet, aber seit diesem Jahr kann man bei „Palais Avant“ hineintanzen in den Arbeitstag – von 6 bis 9 Uhr. Denn das Stadtpalais ist ein Hotspot geworden und weist mit 207 000 Besuchern ein Plus von 35 Prozent vor. Auch dank Ausstellungen wie „Stadt der Könige“ oder Aktionen wie „Stuttgart am Meer“ und „Blind Date“, das laut der Pressesprecherin Ursula Kaatz dauerhaft etabliert wird.

Das Stadtpalais verzeichnete ein Besucherplus von 35 Prozent. Foto: Lichtgut/Julian Rettig

Geschichtsbewusstsein ermutigt Das Haus der Geschichte, ebenfalls auf der Kulturmeile, ist ein weiterer Beleg für die selbstverständliche Integration von Kunst und Kultur im Stadtleben. Umso mehr, seit diese Kulturmeile als Promenade ihrem Namen gerecht wird. Bei 66 000 Besuchern freut sich Direktorin Cornelia Hecht-Zeiler über ein Plus von zehn Prozent, das sie vor allem der Ausstellung „American Dreams“ über Auswanderer in die USA zuschreibt. Auch die aktuelle Sonderausstellung „Frei Schwimmen Gemeinsam?!“ habe schon die erste Erfolgswelle ins Haus getragen. „Mut für unsere Arbeit“, sagt Hecht-Zeiler, „machen uns die Zuwächse im Erinnerungsort Silber (fast verdoppelt auf 33 000) und in der Stauffenberg-Erinnerungsstätte (13 000) mit einem Plus von mehr als einem Drittel, denn in einer Zeit, in der die Demokratie so stark gefährdet ist, scheint auch die Bereitschaft zu wachsen, sich mit Themen wie Extremismus und Diktatur auseinanderzusetzen.“

Mitmachen dürfen heißt im Lindenmuseum das Zauberwort für den Besucherzuwachs von 10 000 auf mehr als 45 000: Die spielerische Familienausstellung „Spurensuche. Tierische Abenteuer“ als Hör- und Stempelrallye durch die Dauerausstellung „kommt so gut an, dass wir sie mit neuen Objekten und Tiergeschichten bis zum April 2026 verlängern werden“, erklärt dazu Pressesprecher Martin Otto-Hörbrand. Mit der Sonderausstellung „Stuttgart – Afghanistan weit weg oder ganz nah?“, in der auch von deutschen Familien in Kabul in den Siebzigerjahren berichtet wird, erreiche das Museum auch Menschen mit Migrationsgeschichte. 

Paläontologie gerockt Richtig rockig hat das Naturkundemuseum Paläontologie mit der Ausstellung „Rock fossils feat. The Rolling Stoneflies“ präsentiert und trotz des großen Erfolgs ein kleines Defizit von 30 000 bei 322 000 Besuchern. Für Direktor Lars Krogmann kein Grund zur Sorge: „Unser Forschungsmuseum ist zu einem unverzichtbaren Ort des Dialogs zwischen Wissenschaft und Gesellschaft geworden“. Wo es mehr denn je darauf ankomme, die Natur zu verstehen und zu schützen, biete man einen Ort der Orientierung. Die Zahl der Schüler sei nahezu gleich geblieben, das Angebot inklusiver Führungen wurde ausgebaut.

Kleine kommen groß raus Die Erfolgsliste setzt sich auch bei kleineren Häusern fort: Einen wahren Höhenflug erlebte das Lapidarium, das erstmals im Dezember und Januar seine steinernen Exponate mit Illuminationen reizvoll ins Licht setzte, mit einer Steigerung von 60 Prozent auf 12 660 Besucher. Das Weissenhofmuseum im Haus Le Corbusier empfing knapp 29 000 Besucher (4000 plus), im Hegelhaus folgten 12 660 (2000 plus) den Spuren des Philosophen, das Stadtmuseum Bad Cannstatt im Klösterle, dem ältesten Haus Stuttgarts, wurde sogar von Tripadvisor empfohlen und hatte 3800 (500 plus) Besucher. Sehenswert auch die aktuelle Ausstellung „Made in Almanya – Zwischen hier und dort“ mit der deutsch-türkischen Künstlerin Dilây Ibis. (Bis 30. März, Marktstraße 71). Der Schatz, den das Muse-o mit den Scherz-Postkarten des Zeichners und Postkartenverleger Hans Boettcher gehoben hatte, füllte die Ausstellungsräume im alten Schulhaus von Gablenberg mit insgesamt 1505 (100 plus) amüsierten Betrachtern. Sich fühlen wie Herzog Carl Eugen in der barocken Pracht von Schloss Solitude wollten 51 443 Ausflügler, und in der Grabkapelle am Württemberg gedachten 51 000 (1500 plus) Bewunderer der früh verstorbenen Königin Katharina. Von Familien und Kindern geradezu überrannt wurde das Haus des Waldes am ersten Öffnungssonntag 2024. Der Grund: Eine Instagram-Bloggerin mit mehr als 20 000 Followern hatte es unter ihren Ausflugstipps empfohlen. „Wir waren darauf nicht vorbereitet und personell sehr herausgefordert“, bekennt Förster Kenan Dietz. Der Einfluss der Sozialen Medien hat die Besucherzahl um 15 000 auf 45 000 hochgetrieben. 

Hochkonjunktur im Info Turm Wie lange müssen Bahnreisende noch den Fernwanderweg zu den Gleisen bewältigen? Wann endlich wird Stuttgart 21 fertig? Für Antworten auf diese drängenden Fragen und einen Panoramablick auf den Fortschritt der Baustelle steigen immer mehr Menschen auf die Dachterrasse vom Info Turm Stuttgart. „Wir stehen mit 217 471 Besuchern (13 000 plus) an fünfter Stelle im Museumsranking“, sagt der Leiter David Bösinger. Da seien die 115 000 Teilnehmer an den Tagen der offenen Baustelle zu Ostern 2024 „gar nicht mitgerechnet.“ Auch in diesem Jahr werden er und sein Team bei der Baustellenbesichtigung an Ostern (19./20./21. April) wieder mit Fragen bestürmt werden. Erstmals ist dafür eine Anmeldung erforderlich: Ab Montag, 17. März, 10 Uhr, unter www.its.-projekt.de.