Lilian Böhringer aus Waiblingen war die Miss Germany des Jahres 1968. Ein Blick zurück auf eine Karriere als Mannequin und Geschäftsfrau.

Region: Verena Mayer (ena)

Waiblingen - Es ist zu kühl, um auf die Terrasse zu sitzen. Der Blick von der weißen Ledercouch durch die gläserne Panoramawand in den gepflegten Garten ist auch ein Genuss. Vögel zwitschern, Sträucher rascheln. Sonst: nichts. Ein Traum? Auf jeden Fall Zeit für ein Gläschen Crémant. „Ich hol die schönen Gläser, dann schmeckt’s besser“, sagt die Hausdame und schreitet auf glänzenden schwarzen High Heels davon.

 

Lilian Böhringer weiß, wie man aus ein paar gewöhnlichen Stunden einen ungewöhnlichen Tag zaubert. Auf dem Keyboard im Salon griffen einst Udo Jürgens und Götz Wendlandt in die Tasten, auf ihren Partys tummelten sich Modedesigner und Banker, die Gästelisten waren ein kleines Who’s who der 70er und 80er Jahre. Lilian Böhringer kannte so ziemlich jeden, beinahe wäre sie die Klatschkolumnistin der „Bild“ in Stuttgart geworden. „Das war eine witzige Zeit“, sagt Lilian Böhringer. Darauf einen Toast!

Als Lilian im Februar 1948 im fränkischen Forchheim zur Welt kommt, heißt sie mit Nachnamen Atterer. Sie hat drei ältere Geschwister, die Eltern betreiben einen Weinhandel und ein Restaurant. Lilian Böhringer sagt, sie sei ein Landei gewesen. Immerhin ein großes, schlankes, charismatisches Landei: mit 20 führt sie im Ballsaal des Bayerischen Hofs ein türkisfarbenes Abendkleid über den Laufsteg, schlendert in einem schwarzen Badeanzug an den Augen der geladenen Ehrengäste vorüber und plaudert unbefangen mit Nadja Tiller und Hans-Jürgen Bäumler, die den Auftritt bewerten. Am Ende des Abends ist das vermeintliche Landei offiziell die schönste Frau Deutschlands: Miss Germany 1968.

100 000 Mark und einen BMW 2000 als Lohn für die Schönheit

Lilian Böhringer erinnert sich nicht mehr an ihre Maße von damals. Sie weiß nur noch, dass sie 100 000 Mark gewann, einen weißen BMW 2000 Sportcoupé bekam – und eine riesige Überraschung erlebte. Die ehemalige Miss versichert, sie habe nicht an dem Wettbewerb teilgenommen, um zu siegen. Sie wollte lediglich Kontakte mit Modefirmen knüpfen, um ihre Einnahmen als Mannequin zu steigern, von denen sie sich ihr erstes Auto, einen Fiat 600, leistete, und ihre Ausbildung am Konservatorium in Nürnberg finanzierte. Lilian Atterer studierte Klavier, Geige, Saxofon und Gesang. Ihr Berufswunsch damals: in einem Orchester spielen.

Als Miss Germany hat sie für die Musikhochschule keine Zeit mehr. Stattdessen studiert sie den Rhythmus des Jetsets und lernt die Melodien der Metropolen. Lilian Atterer reist zu Autogrammstunden, Modenschauen, Fotoshootings. Sie ist heute in London, morgen in Paris und übermorgen in New York. Als die Amtszeit endet, arbeitet die Ex-Miss Germany weiter als Modell. Sie hat Spaß an dem abwechslungsreichen Leben, ist gefragt und verdient leicht viel Geld. Bis zu 10 000 Mark pro Auftritt. Das meiste spart sie. Wer weiß schon, wie lange die Nachfrage so high ist, wie die Society, in der sich Lilian Atterer bewegt. Plaudern mit Romy Schneider, tanzen mit Willy Brandt, auftreten bei Hänschen Rosenthal. Sogar eine Single bringt sie heraus. „Es dreht sich jeder zu mir um. Ich weiß auch ganz genau warum: Weil ich sexy bin, ganz einfach so sexy bin“, singt sie und schafft es dreimal auf Platz eins der Nachwuchshitparade. Den Text findet die singende Miss zwar nicht ansprechend, doch die Musik von Maurice Pop sei hübsch gewesen, sagt sie.

Als Petra Schürmann anno 1956 Miss Germany wurde, warfen ihr Kommilitoninnen vor, die Würde einer Studentin zu verletzen, der Pfarrer fand es unerhört, dass eine Frau ihren Leib zur Schau stellt, und ihre Eltern sahen ob ihres frivolen Fräulein Tochter die Familienehre geschändet. Lilian Atterer erlebt 1968 nichts dergleichen. Ihre Geschwister drängen sie zur Teilnahme am Wettbewerb, ihre Eltern feiern den Titelgewinn mit, die Professoren wünschen ihr beim Abschied vom Konservatorium viel Spaß. Die Feministinnen und Revoluzzer auf der Straße missbilligen allgemein und grundsätzlich zwar die „Fleischbeschau“ und geißeln die „männliche Geilheit“, doch die junge Lilian aus Forchheim kümmert das nicht. „Ich hätte so viel nicht erlebt, wenn ich da nicht mitgemacht hätte“, sagt die erfahrene Frau Böhringer auf ihrer weißen Couch, zieht an einer roten Gauloises und schickt beeindruckende Rauchschwaden aus ihrer Nase.

Einsames Mannequin

Nach etwa vier Jahren hat Lilian Atterer genug erlebt. Wenn sie nach getaner Arbeit in den vornehmen Sternehotels dieser Welt sitzt, fühlt sie sich zunehmend einsam. Die Beziehung zu ihrer Jugendliebe ist schon bald nach dem Beginn der turbulenten Zeit in die Brüche gegangen. Außerdem stört das Mannequin jetzt auch, dass es keinen Hochschulabschluss hat und daher auch keinen Beruf, mit dem es den Rest des Lebens bestreiten kann. Ihrer Tochter wird Lilian Böhringer später immer wieder sagen: „Du kannst tun, was du willst, aber: lerne einen Beruf.“ Die Tochter arbeitet heute als Zahnärztin.

Als Lilian Atterer 1972 bei einer Geburtstagsparty den Architekten Rolf Böhringer kennenlernt, wird die Globetrotterin wieder geerdet. Miss Atterer lässt sich in Waiblingen nieder, 1976 wird sie Mrs Böhringer. An der Kunstakademie macht sie einen Abschluss als Innenarchitektin und startet mit ihrem Mann eine zweite Karriere. Die Böhringers bauen Häuser, Hotels und Supermärkte in Stuttgart und Umgebung und errichten Ferienwohnanlagen in Florida. Abwechselnd lebt das Paar in Amerika und Deutschland. Wäre im damaligen Persien nicht die Revolution ausgebrochen, hätten die Böhringers im Auftrag des Schahs auch Wohnungen in Teheran gebaut. Und hätten die Libyer weniger komplizierte Gesetze, die Baumeister aus Waiblingen hätten dort ein Betonwerk in die Höhe gezogen. Zwischendurch tritt Lilian Böhringer in Talkshows und Krimis auf. In einem „Tatort“ („Rot – rot – tot“) wird sie filmreif vom eifersüchtigen Curd Jürgens als Bösewicht erdrosselt. In einer anderen Folge („Himmelblau mit Silberstreifen“) ist die Villa der Böhringers der Schauplatz eines Verbrechens. Im Untergeschoss, also da, wo sich der Salon, die Hausbar und die Kegelbahn befinden, wird der fiktive Hausherr erschlagen und ausgeraubt. Welche Rolle sie selbst spielte, weiß Lilian Böhringer nicht mehr. Sie erinnert sich nur noch daran, dass der Sohn der Haushälterin der Mörder war und Werner Schumacher den Kommissar spielte. „Ich hätte viel mehr aufschreiben sollen“, sagt die Misses, für die Highlights alltäglich waren.

Ein paar Poolrunden für die Fitness

Lilian Böhringer vergewissert sich, dass es dem Gast ganz bestimmt nichts ausmacht, wenn sie raucht. Dann steckt sie sich noch eine Zigarette an und schickt die Rauchschwaden auf die Reise durch das Wohnzimmer, in dem sich mühelos ein Kleinfamilienhaus unterbringen ließe. Lilian Böhringer ist jetzt 65. Ihre schwarze Hose liegt eng am Körper an, das schwarze ärmellose Top wird von einem breiten schwarzen Gürtel an den Bauch geschmiegt. Man kann sich vorstellen, wie die Altersgenossen im vorigen Jahr geguckt haben, als Lilian Böhringer aus ihrem silbernen 500er SL stieg und beim Klassentreffen in der alten Heimat aufschlug. Lilian Böhringer auch. „Ich dachte erst, ich bin im falschen Raum“, sagt sie. Aber letztlich sei es doch ein sehr interessantes Wiedersehen gewesen. Nicht ganz so flott halt wie die Treffen der Misses Germany im Europa-Park Rust .

Ist es aufwendig, sich so schlank und schön zu halten? Lilian Böhringer sagt, sie drehe ab und zu Runden im hauseigenen Pool. Hin und wieder lasse sie den Friseur ihre Haare blondieren. Aber sonst: kein Abo im Fitness-Studio, keine Flatrate bei der Kosmetikerin. Darf man das glauben? „Es müssen die Gene sein. Mein Vater war auch sehr schlank“, sagt Lilian Böhringer und verspeist ein Stückchen Erdbeerkuchen („selbst gekauft“).

Seit zwei Jahren ist sie Witwe. Ihr Mann starb an den Folgen eines Schlaganfalls. Lilian Böhringer hat ihn bis zum Schluss daheim gepflegt. Seither ist die Furcht vor Krankheit die einzige Angst, die sie kennt („Lieber tot als krank“). In den Monaten danach hat Lilian Böhringer die Firmen aufgelöst, über die die Geschäfte in Deutschland und Übersee liefen. Die Innenarchitektin, die bis dahin kaum eine Überweisung selbst getätigt hatte, musste sich plötzlich mit Versicherungen, Banken und Finanzämtern auseinandersetzen und durch endlose Ordnerreihen kämpfen. „Das waren schlaflose Nächte“, sagt Lilian Böhringer, die nun das Schwerste überstanden hat und zaghaft den Wunsch spürt, das Haus „wieder leben zu lassen“ und ihre „Einladungsschulden“ abzubauen. Die Frau, die so viel erreicht hat in ihrem Leben, lernt mit Mitte 60: „Wenn man will, kann man alles.“ Darauf noch einen Toast. Prost!