Boris Palmers Bruder Patrick Palmer Er will kein Remstalrebell sein

Patrick Palmer vor der Kulturscheune in Geradstetten, die unweit von seinem Elternhaus liegt. Die Politik ist nicht sein Metier – anders als für seinen Bruder Boris und seinen Vater, den „Remstalrebell“. Sie stellen wir in der Bilderstrecke vor. Foto: Gottfried Stoppel

Das Beste aus dem StZ-Plus-Archiv: Patrick Palmer ist ein Sohn des „Remstalrebellen“ Helmut Palmer. Anders als sein viel bekannterer Bruder Boris Palmer entwickelt er nicht provokante Thesen – sondern etwas ganz anderes.

Digital Desk: Jan Georg Plavec (jgp)

Schorndorf - Der Schorndorfer Marktplatz ist 2019 ein passender Ort für das Treffen mit Patrick Palmer: Unzählige Male stand der Sohn des 2004 verstorbenen „Remstalrebellen“ Helmut Palmer hier im umgebauten Siebeneinhalbtonner. Die Palmers verkauften regionales Obst und Gemüse, als noch niemand das Wort „regional“ verwendete. Ihren Stand hatten sie oft am unteren Marktplatz, im Schatten. Heute steht dort ein Feinkosthändler. Manches ist nicht mehr wie früher, als der junge Patrick die Ware in die mitgebrachten Körbe und Beutel der Kunden packte, um Plastiktüten zu sparen. 45 ist er, knapp zwei Jahre jünger als sein Bruder Boris.

 

Patrick Palmer bittet zum Spaziergang durch die alten Gassen. Schorndorf ist die Stadt, in der Helmut Palmer im Frühjahr 1991 ein halbjähriges Marktverbot erhielt, weil er Vorgaben des Aufsehers ignoriert und Plakate mit seltsamen Botschaften wie „Polizeiterror an Führers Geburtstag“ aufgehängt hatte. Ausgesprochen hatte das Verbot der Oberbürgermeister Winfried Kübler. Den packte Palmer im Dezember 1992, wie er selbst formulierte, „am Krawättle“. Ein Strafzettel war der aktuelle Anlass, jahrzehntelang kultivierte Abneigung kam dazu.

Wer den „Remstalrebellen“ gewählt hat

Patrick Palmer begleitete seinen Vater oft, wenn er auf den Wochenmärkten in Reutlingen, Tübingen, Ulm und anderswo nicht nur seine Ware verkaufte, sondern auch recherchierte, was die Leute umtrieb. Meist kandidierte er dort, wo er Obst verkaufte, auch irgendwann: 289-mal trat Helmut Palmer bei Bürgermeisterwahlen an. Gewonnen hat er nie, aber manchen Achtungserfolg erzielt, auch bei Land- und Bundestagswahlen. Mit ihm identifizierten sich „all jene, die sich von der Verwaltung nicht beachtet, von den Parteien nicht gefragt fühlen“, analysierte 1974 die Stuttgarter Zeitung.

Was Palmer senior nie gelang, schaffte knapp zwei Jahre nach dessen Tod sein Sohn Boris: Im Oktober 2006 wurde er Tübinger Oberbürgermeister. Er ist seither jedoch weniger für seine realogrüne Agenda bekannt als für provokante Facebook-Posts und seine Kritik an Angela Merkels Flüchtlingspolitik. Die Medien bezeichnen ihn als „schwarzes Schaf der Grünen“ oder schlichtweg als „Rechthaber“.

Patrick Palmer mag sich nicht so exponieren, der jüngere Sohn kommt eher nach der besonnenen Mutter als nach dem aufbrausenden Vater. Um fast 15 Jahre hat Erika Palmer ihren Mann schon überlebt. Als „fröhlich und beinah zierlich“ beschrieb die StZ Erika Palmer 1974 nach einem Hausbesuch in Geradstetten, Patrick war da gerade ein paar Monate auf der Welt.

Raus aus dem Remstal

Patrick Palmer konnte sich seine Jugend in Geradstetten nicht aussuchen. Nach dem Abitur zog es ihm sofort raus aus dem Remstal. In Heidelberg studierte er Geschichte und Germanistik, ursprünglich auf Lehramt. Er konnte gut fotografieren und layouten, der Weg von der Studentenzeitung zur eigenen Werbeagentur war da nicht weit. Später gründete er mit zwei Kumpels die Firma Iridas, entwickelte eine Software für Farbkorrektur in Videos. 2011 verkauften sie an Adobe, seither entwickelt Palmer beim Marktführer die weltweite Standardsoftware für professionellen Videoschnitt weiter und fungiert als eine Art Sprecher für das Produkt.

Wenn er nicht gerade auf Dienstreise in den USA weilt, beginnt sein Arbeitstag damit, die Kinder in die Kita und die Schule zu bringen. Vormittage verbringt er gern Zeitung lesend auf der Terrasse seines Münchner Hauses, ehe mittags die Videokonferenzen mit Amerika und Asien beginnen. Computersoftware statt provokante Thesen entwickeln: Patrick Palmer hat sich vom männlichen Erbe seiner Familie emanzipiert.

Am Grab von Helmut Palmer

Die Schorndorfer Altstadt ist schon zweimal durchschritten, Palmers Elektro-BMW aufgeladen. Weiter geht es nach Geradstetten, vorbei am Winterbacher Engelberg, wo die Palmer-Kinder gemeinsam die Waldorfschule besuchten: Boris ein Mathe-Käpsele, Patrick eher künstlerisch veranlagt. Multiinstrumentalist ist er bis heute. Dass die Leute in Geradstetten ein starkes Bild von seinem Vater gehabt hätten, sei für ihn nicht immer leicht gewesen. „Es raubt einem die Privatheit“, sagt Patrick Palmer.

Der Weg in die Geradstettener Weinberge führt am Friedhof vorbei. Helmut Palmer ruht am Rande, der Grabstein erinnert an den „Pomologen und Bürgerrechtler“. Als es mit dem Vater zu Ende ging, „hatte ich meinen Frieden mit ihm schon gemacht“, erzählt Patrick Palmer. Sein Bruder Boris hingegen berichtete noch kurz vor Helmut Palmers Tod in der Zeitung, das Thema Politik sei zwischen ihnen „konfliktbehaftet“. Was Boris und Helmut Palmer in den letzten Tagen besprochen haben, weiß Patrick Palmer nicht – sondern nur, dass er selbst am Krankenbett für den krebskranken Vater musizierte.

Beim Begräbnis hielt Boris eine Rede, Patrick spielte „Strong enough“ von Sheryl Crow auf der Gitarre. Den Song hatte sein Vater zuletzt gern gehört. Darin geht es um eine sperrige Person, die ihre Liebe zum Gegenüber nicht zeigen kann: „I have a face I cannot show . . . just try and love me if you can.“ Man musste wahrlich stark genug sein, um Helmut Palmer zu lieben, den „Menschen ohne Filter“, wie Patrick Palmer sagt. Seinen Frieden fand der „Remstalrebell“ in der Natur, und dort hat er bleibende Spuren hinterlassen: Der von ihm propagierte Obstbaumschnitt trägt längst seinen Namen.

Was hält er von Boris’ Facebook-Posts?

Patrick Palmer spaziert den Weinberg hinauf. Der Dunst trübt an diesem warmen Samstag im Vorfrühling die Fernsicht, aber es geht jetzt ohnehin um Nahbetrachtung. Was hält er von den Facebook-Posts seines Bruders? „Es spricht etwas Persönliches daraus“, antwortet Patrick Palmer, „auch wenn Boris öfters gut übers Ziel hinausgeht.“ Die ursprüngliche Absicht seines Bruders, auf diese Weise unterschiedlich denkende Menschen anzusprechen, erscheine ihm jedenfalls immer weniger erreichbar.

Patrick Palmer sieht neben der öffentlichen auch die private Seite seiner Angehörigen. Auf dem Handy zeigt er ein Bild vom fröhlich lachenden Bruder im Skiurlaub: „Das ist der Boris, den ich kenne.“ Der Helmut Palmer, den er kannte, war zwar ein bisschen narzisstisch, aber eben auch sofort zur Stelle, wenn einer um Hilfe bat. Und ein offener Mensch, der jeden an seinen riesigen Holztisch einlud, um über Politik zu diskutieren – auch wenn anschließend keine Zeitung berichtete.

Insgesamt 423 Tage saß Helmut Palmer in Haft, weil er sich regelmäßig mit der Obrigkeit anlegte. Er sah sich stets als Justizopfer. Patrick Palmer findet es zumindest „aufarbeitungswürdig“, was die Staatsgewalt mit seinem Vater gemacht hat. Als Kind habe er gespürt, wie die Haft in Stammheim Helmut Palmer fertiggemacht hat. Bei den Besuchen konnten sie sich nicht einmal die Hand geben: Es war eine Glasscheibe zwischen ihnen. „Ich wusste, dass mein Vater kein Verbrecher ist.“

Kein Foto vorm Elternhaus

Der Spaziergang endet am Elternhaus in der Unteren Hauptstraße. An der Fassade stehen immer noch die Sprüche, die Helmut Palmer anbringen ließ, das Schaufenster wirbt für den „Palmer Film“, die VHS-Kassette zu 25 Euro. Im Grunde ist es ein Wunder, dass das Gebäude überhaupt noch der Familie gehört: Der „Remstalrebell“ hatte mit seinen Wahlkämpfen hohe Schulden angehäuft. Nach seinem Tod ordneten die beiden Söhne die Finanzen.

Vor seinem Elternhaus will sich Patrick Palmer nicht fotografieren lassen, das Motiv hält er für abgedroschen. Er lässt sich lieber vor der benachbarten Kulturscheune ablichten, die gerade hergerichtet wird. „Ein tolles Projekt“, findet Palmer, setzt sich sogleich ans Klavier und fragt den Wirt, ob er hier nicht mit ein paar Kumpels mal ein Konzert geben könne.

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