Proteine aus Brauerei-Abfällen können Lebensmittel revolutionieren. Dafür wirbt der frühere VfB-Star Timo Hildenbrand mit veganen Mitstreitern beim Frühlingsfest im Göckelesmaier-Zelt – dort, wo vor allem Hähnchen serviert werden.

Stadtleben/Stadtkultur: Uwe Bogen (ubo)

Warum er ausgerechnet in einem Zelt, das mit dem Verzehr von Brathähnchen groß geworden ist, die veganen Maultaschen aus seinem Restaurant vhy! präsentiert? Timo Hildebrand antwortet auf diese Frage, die ihm beim exklusiven Event zu den neuen Biermaultaschen in der Karls-Loge von Göckelesmaier-Wirt Karl Maier gestellt wird, ohne missionarischen Eifer, aber bestimmt: „Wir wollen ganz bewusst dort hin, wo viele Fleischesser sind.“ Niemand solle bekehrt und erst recht nicht beschimpft werden. Der frühere Nationaltorwart will stattdessen mit der Qualität von tierleidlosen Alternativen überzeugen, damit es sich herumspricht, wie Innovationen die vegane Küche immer besser machen.

 

Vier Gänge-Menü aus vier verschiedenen Maultaschen

Biermaultaschen statt Brathähnchen. Den etwa 100 Gästen, die Timo Hildebrand zusammen mit der Brauerei Dinkelacker/Schwabenbräu und dem Food-Tech Start-Up Protein Distillery eingeladen hat, wird ein Vier-Gänge-Menü serviert – viermal gibt’s fleischlose Maultaschen, deren Proteinbestandteile aus Abfällen des Brauens besteht. Die vier verschiedene Variationen sind: Maultasche Asia (mit Wokgemüse), Maultasche Farinata (mit Kichererbsen und Spinat), Maultasche Mediterran (mit Tomatensoße und Bechamel) und Maultasche Klassisch (mit Kartoffelsalat, Zwiebeln und veganer Bratensoße).

Vom Gerstensaft zur Maultasche – zu einem Bierfest passt diese Innovation sehr gut. Bei den meisten Gästen des Events, so auch beim früheren Nationaltorwart Timo Hildebrand, steht die mediterrane Variante auf Platz eins.

Die mediterranen Biermaultaschen kommen am besten an. /Klaus Schnaidt

Die junge Start-up-Firma um Mitgründer Marco Ries mit Sitz in Ostfildern und einem neuen Produktionszentrum auf dem Gelände des Knorr-Werks in Heilbronn hat ein innovatives Verfahren entwickelt, um Brauereihefe – ein bisher allenfalls als Schweinefutter genutztes Abfallprodukt der Bierherstellung – in ein hochfunktionales, tierfreies Protein umzuwandeln. „Mit der Etablierung nachhaltiger und lokal produzierter Proteine, die ressourcenschonend und unabhängig von landwirtschaftlichen Flächen hergestellt werden können, bringen wir eine echte Revolution in die Lebensmittelindustrie“, erklärt Ries.

Für pflanzliche Alternativen brauche man bisher relativ viele Stabilisatoren, Füllstoffe und Geschmacksverstärker, was Verbraucher abschrecke. „Auf der Zutatenliste stehen oft Stoffe wie Methylcellulose“, sagt Geschäftsführer Marco Ries, „dies ist nichts anderes als Tapetenkleister und bei den Konsumenten nicht sonderlich beliebt.“ Bisher fehle ein optimaler Ersatz für tierisches Eiweiß, was seine Firma nun ändern will.

Von Brauereien, darunter Dinkelacker/Schwabenbräu, bezieht das Unternehmen jährlich bisher etwa 120 Tonnen Bierhefe, die beim Brauvorgang anfallen, aber danach nicht benötigt werden. Daraus wird dank hochmoderner Technik in einem Reinigungsprozess der Hefe ein neutraler Geschmack verpasst. Die Hefezelle hat eine harte Schale wie eine Kokosnuss. Diese wird mit den Maschinen geknackt, bis man das auf diese Weise gewonnene Protein als Pulver verarbeiten kann. Bei 120 Tonnen Bierhefe ergibt sich eine gewaltige Proteinmenge, für die man bisher etwa 50 Millionen Hühnereier braucht.

Marco Rieser, der Mitgründer der Start-up-Firma Protein Distellery, erklärt bei dem Event, wie Biermaultaschen entstehen. /Klaus Schnaidt

Im Jahr sollen etwa drei Millionen Biermaultaschen hergestellt werden

Das Protein-Pulver dient in der Gemüsemaultasche als Eierersatz und sorgt für eine „optimale Konsistenz und Bindung“, erklärt Protein-Distellery-Chef Marco Riese. Es ist wasserlöslich und lässt sich wie tierisches Eiweiß aufschlagen. Gebäck wird damit fluffig, beim Erhitzen wird das Pulver wie ein Ei fest.

Den veganen Teig dafür bezieht das Restaurant vhy! von der Firma Schmids Teig-Spezialitäten in Fellbach-Schmiden. Die 120 Tonnen Bierhefe, die das Start-up im Jahr verarbeitet, ergeben am Ende drei Millionen Maultaschen, wie Riese sagt. In den Supermärkten sollen sie angeboten werden für etwa 3,50 Euro pro Stück. Bisher kann man sie im Online-Shop von vhy! kaufen.

Beim Frühlingsfest gibt’s vegane Biermaultaschen. /Klaus Schnaidt

Nach Bier schmecken die Maultaschen nicht. Alkohol enthalten sie natürlich auch nicht. Die Art der Zubereitung sorgt ganz wesentlich für den Geschmack. Von Gästen hört man, sie seien besser als erwartet. Der Markt für pflanzliche Alternativen wie Veggie-Wurst, Sojamilch und veganen Ei-Ersatz wächst stetig. Die jungen Start-up-Gründer, die beim Event bei ihren Gästen sehr gut ankommen, wollen in Baden-Württemberg, „im Land der Tüftler“, mit ihren Erfindungen dazu beitragen, dass vegane Ernährung immer leichter in der Herstellung und geschmacklich immer besser wird. Im Göckelesmaier-Zelt vermisst an diesem Abend in der Karls-Loge jedenfalls niemand das Göckele.