Von wegen gesellschaftliche Spaltung: Es gibt Orte, da kommen Banker, Handwerkerin und Partyleute zusammen – etwa im Stuttgarter Traditionslokal Brunnenwirt im Leonhardsviertel. Das Stadtpalais widmet ihm jetzt eine Ausstellung.

Psychologie und Partnerschaft: Eva-Maria Manz (ema)
Eva-Maria Manz

Sie kommen aus dem Büro, dem Fitnessstudio, aus Waiblingen, Poppenweiler oder dem Stuttgarter Osten in die Innenstadt. Ihr Begehren: Schweinebauch, Currywurst Spezial, Pommes rot-weiß. Bankmanager, Schreiner, Schülerinnen, Spieledesigner, Rentner, Balletttänzer, Studentinnen und Mini-Jobber treffen sich im Stuttgarter Leonhardsviertel beim Brunnenwirt. „Hier gibt’s den beschden Bauch scharf“, sagt eine der Besucherinnen in einem Video des Fotografen Alwin Maigler. Der Künstler hat für eine aktuelle Ausstellung im Stadtpalais 100 Besucher des Traditionsimbisses fotografiert und in Videos zu Wort kommen lassen.

 

Der Brunnenwirt steht mitten in der Stuttgarter Altstadt. Auf der anderen Straßenseite parken Daimler-SUVs, shoppen schicke Stuttgarterinnen bei Breuninger und bei Louis Vuitton. Weiter hinten im Viertel stehen die Prostituierten an den Häuserecken. Beim Brunnenwirt ist das egal, wo du stehst, Hauptsache, du hast 3,80 Euro für Currywurst Spezial in der Tasche. In schwarzer Schrift auf grellgelbem Grund heißt es am Imbissschild: „Wir empfehlen: Rote m. Brot, Bratwurst m. Brot, Schaschlik m. Brot, Pommes frites, Schweinebauch“.

Seit 47 Jahren gibt es den Brunnenwirt im Leonhardsviertel

Schon lange weht dem Brunnenwirt im Leonhardsviertel der Wind der Veränderung um die Ohren. Nebenan öffnen hippe Lokale mit internationaler Kost und schließen wieder, das Breuninger-Parkhaus wurde abgerissen und soll als Mobility Hub neu eröffnen. Die Stadtgesellschaft diskutiert über Bebauungspläne, das IBA-Projekt am Züblin-Parkhaus und reibt sich auf am Verbot für große Bordelle und Wettbüros. Im Leonhardsviertel sieht man wie kaum anderswo Stuttgarter Originale, Bars und Kneipen füllen sich bis spät in die Nacht, Prostitution und Drogen bestimmen den Alltag.

In diesem Szenario ist der Brunnenwirt wie die lockengewickelte Oma, die alles ungerührt vom Fenstersims aus beobachtet. Er ist aus der Zeit gefallen und steht doch seit 47 Jahren mit beiden Beinen auf dem Boden. „Den Brunnenwirt gibt es so lang wie kaum eine andere Gastro, er inszeniert sich aber nicht als Kultkneipe, und er will auch nichts Neues machen oder mit der Zeit gehen“, sagt Yannick Nordwald, Ausstellungsleiter im Stadtpalais. „Er ist einfach nur da.“ Damit gelingt dem Brunnenwirt etwas, das so viele Orte und Einrichtungen in Städten wie Stuttgart vergeblich versuchen: Er bringt Menschen aus unterschiedlichen Schichten der Gesellschaft zusammen. „Ohne dass er Diversität oder Integration als Ziel ausgerufen hätte“, sagt der Fotograf Maigler.

Manche Besucher kommen seit 30 Jahren her

Während überall von der Spaltung der Gesellschaft die Rede ist, Kulturkämpfe toben, – Jung gegen Alt, Arm gegen Reich, Rechts gegen Links, Klima oder nicht – geht es beim Brunnenwirt um die Currywurst und sonst nichts. „Jeder ist zum Essen da, es gibt keine Vorurteile anderen gegenüber“, sagt ein Gast. Viele der Älteren, so erzählen sie es in den Videos, kommen seit 30 Jahren her – seit sie mit 17 zum ersten Mal nachts nach dem Ausgehen ihren Bärenhunger mit Schweinebauch gestillt haben. Für die Besucher ist der Brunnenwirt „ein Stück Stuttgart“, er ist „Kultur, Tradition“, hier finden sie „schnelles, ehrliches Essen“, „eine Auszeit und gute Gespräche“, hier treffen sie „normale Leute“.

In einem Video in der Ausstellung kommt Tommy zu Wort, der seit 30 Jahren im Brunnenwirt arbeitet. Die Grenzwelten des Viertels sind seine Heimat, wie er erzählt. Wie viele im Leonhardsviertel hat er ein Leben mit Brüchen, das bürgerliche Dasein interessiert ihn nicht, politische Diskussionen lehnt er ab. Und wenn wer über Poser auf den Straßen lästert, kann das Tommy gar nicht verstehen: „Die suchen halt einen Parkplatz.“

Der Moment der Begegnung währt im Brunnenwirt eine Currywurst lang – dann, berichten die Besucher, müssen sie weiter, zum Einkaufen bei C&A, den Enkel von der Kita abholen, zurück ins Büro, endlich ins Bett oder wieder heim nach Poppenweiler.

„Brunnenwirt für immer“ – Ausstellung im Stadtpalais, Konrad-Adenauer-Straße 2, Stuttgart, noch bis 1. September 2024, Eintritt frei.