Büsingen im Kreis Konstanz Das Dorf, in dem niemand Grundsteuer zahlt

Wer von Deutschland aus in die Exklave Büsingen will, muss erst einmal durch die Schweiz fahren. Foto: /Florian Dürr

Die Gemeinde Büsingen im Kreis Konstanz ist die einzige Kommune Baden-Württembergs, in der die Grundstückseigentümer keine Grundsteuer zahlen müssen. Wie ist das möglich?

Baden-Württemberg: Florian Dürr (fid)

Wir befinden uns im Jahr 2023. Ganz Baden-Württemberg ärgert sich über die Grundsteuer. Ganz Baden-Württemberg? Nein! Ein von Unbeugsamen bevölkertes Dorf hört nicht auf, der Grundsteuer Widerstand zu leisten: In Büsingen im Kreis Konstanz zahlt niemand Grundsteuer – das ist einmalig im Südwesten. Aufregung wegen der Grundsteuerreform wie im Rest des Landes? Angst, von 2025 an deutlich mehr Grundsteuer bezahlen zu müssen? Davon ist in der 1500-Einwohner-Idylle im Grünen wenig bis gar nichts zu spüren.

 

An den Ufern des Hochrheins, wo gefühlt jeder Büsinger sein eigenes Gärtle und eine Bootsanlegestelle besitzt, herrscht (noch) Gelassenheit unter den Grundstückseigentümern. „Die Grundsteuer ist kein Thema hier, die Leute haben es gar nicht auf dem Schirm, dass sich da was ändert“, berichtet Markus Hempel, der Pächter des Restaurants Alte Rheinmühle in der Ortsmitte. Ein paar Häuser weiter zuckt Rudolf Eder, der Betreiber des Lotto-Kiosks, gelassen mit den Schultern und sagt: „Ich habe keine Ahnung, das macht mein Steuerberater, der weiß, wie es läuft.“

Bundesweit gibt es 15 weitere Kommunen, in denen keine Grundsteuer fällig ist

In Büsingen liegt der sogenannte Hebesatz, mit dem die Kommunen die Höhe der Grundsteuer beeinflussen können, bei null Prozent. Zum Vergleich: Die Stadt Tübingen hat mit 660 Prozent den höchsten Hebesatz in Baden-Württemberg. Und auch in anderen Gemeinden im Südwesten fürchten Grundstückseigentümer, dass die Kommunen an den derzeitigen Hebesätzen nicht viel ändern werden und sie von 2025 an ein Vielfaches mehr an Grundsteuer abtreten müssen. Schon jetzt sind zahlreiche Einsprüche gegen die ersten Bescheide bei den Finanzämtern eingegangen.

Aus Büsingen aber müssen die Beschäftigten des zuständigen Finanzamts wohl keine Beschwerdepost befürchten. Der Hebesatz von null Prozent bedeutet für die Grundstückseigentümer dort: null Euro an Grundsteuer. Bundesweit gibt es laut einer Studie von Ernst & Young 15 weitere Kommunen (in Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein), in denen keine Grundsteuer fällig wird. Dabei zählt diese Steuer neben der Gewerbesteuer zu den wichtigsten Einnahmen von Städten und Gemeinden. Wie kann Büsingen darauf einfach verzichten?

Lebenshaltungskosten wie in der Schweiz, Steuerbelastung wie in Deutschland

Die Sonderrolle der Gemeinde macht’s möglich: Büsingen ist zwar deutsches Staatsgebiet, liegt aber mitten in der Schweiz im Kanton Schaffhausen und gehört auch zollrechtlich zum Nachbarland. Das Dorf ist die einzige deutsche Exklave. Versuche der Bevölkerung, Büsingen voll und ganz zu einem schweizerischen Dorf zu machen, scheiterten immer wieder. Zuletzt 1956, als Deutschland und die Schweiz die Verhandlungen über Büsingen auf Eis legten – bis heute.

Das Leben im Grundsteuerparadies mag verlockend klingen, doch eine Zuzugswelle von genervten Grundstückseigentümern aus anderen Teilen Baden-Württembergs ist nicht zu erwarten. Dafür schreckt die Zwitterstellung der Gemeinde viele zu sehr ab: Denn das Leben in Büsingen bedeutet hohe Lebenshaltungskosten wie in der Schweiz, ein Kalbs-Cordon bleu mit Speckbohnen und Bratkartoffeln im Restaurant Alte Rheinmühle etwa kostet 46 Schweizer Franken – beim aktuellen Kurs in etwa gleich viel in Euro.

Weil Büsingen zum Schweizer Wirtschaftsraum gehört, sind Produkte, die in dem Dorf hergestellt werden, Schweizer Produkte, erklärt Bürgermeisterin Vera Schraner: „Die Weintraube, die hier auf deutschem Boden wächst, wird zu Schweizer Wein, die Kuh, die hier auf deutschem Boden Gras frisst, gibt Schweizer Milch. Diese Situation bedingt die höheren Preise.“ Dazu kommt eine hohe Steuerbelastung wie in Deutschland, die Einkommensteuer müssen die Einwohner nämlich ans deutsche Finanzamt überweisen.

Wie finanziert sich Büsingen, wenn es auf die Grundsteuer verzichtet?

„Wir als Familie zahlen doppelt so viel Steuern, wie wenn wir in der Schweiz leben würden“, sagt Schraner, die in dem Dorf aufgewachsen ist, mit ihrem Mann und ihren beiden Kindern dort lebt. Mehrere Gutachten hätten die Sonderbelastung der Büsinger bereits bestätigt. Viele junge Menschen suchen das Weite, arbeiten und leben lieber in der Schweiz. Auch Schraner ist im Alter von 19 Jahren ins Nachbarland gezogen und erst vor sechs Jahren nach Büsingen zurückgekehrt.

Um die Sonderbelastung ihrer Einwohner abzufedern, verzichtet die Gemeinde auf die Grundsteuer – was aber nicht bedeutet, dass die Grundstückseigentümer von der Grundsteuererklärung befreit sind. „Wir haben in der Gemeindeverwaltung nicht weniger zu tun mit der Grundsteuer, wir müssen die Daten aktuell halten“, stellt Schraner klar. Der Erlass der Grundsteuer ist nicht die einzige Maßnahme, auch mit günstigen Kindergartenplätzen, Vereinsförderung und der Finanzierung einer Buslinie sollen die Büsinger von der Flucht aus dem Dorf abgehalten werden.

Bleibt die Frage, woher die Gemeinde das Geld für all das auftreibt? Möglich macht dies auch eine Sonderregelung: Büsingen profitiert von der Schweizer Mehrwertsteuerrückerstattung, die sonst nur Schweizer Gemeinden erhalten. „Das ermöglicht uns, den Hebesatz auf null Prozent zu setzen“, sagt Schraner und ergänzt: „Dieses Geld soll der Bevölkerung zugutekommen. Die Grundsteuer zu erlassen ist dazu eine der fairsten Möglichkeiten.“

Im Dorf geht das Gerücht um, dass die Grundsteuer wieder kommt

Doch auch der Glanz des Grundsteuerparadieses droht zu verblassen – zumindest wenn man bei den Leuten im Dorf nachhakt. „Es wird gemunkelt, dass die Gemeinde die Grundsteuer eventuell wieder einführen will“, erzählt Rudolf Eder vom Lotto-Kiosk. Der 75-Jährige, der schon sein ganzes Leben in Büsingen lebt, zählt einige Projekte auf: d as neue Strandbad, die Parkplätze dazu, die Renovierung des Restaurants Waldheim, das die Gemeinde geerbt hat – „das sind alles größere Ausgaben, dann muss man vielleicht irgendwann auch die Grundsteuer anp assen“ , sagt er. Und ein Eigentümer eines Einfamilienhauses im Wohngebiet meint: „Man weiß ja nicht, ob das mit der Grundsteuer so bleibt, wenn es der Gemeinde mal schlechter geht.“

Bürgermeisterin Schraner kann die Sorge der Bevölkerung nicht komplett im Keim ersticken: „Viele Bürger treibt die Grundsteuer um, sie befürchten, dass sie zahlen müssen.“ Sie könne jedoch nicht versichern, dass der Hebesatz bei null Prozent bleibe, sagt sie. „Die Erhebung der Grundsteuer wäre sicherlich das letzte Mittel, das der Gemeinderat ergreifen würde.“ Bis dahin bleibt Büsingen am Hochrhein Baden-Württembergs einziges Grundsteuerparadies.

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