Vor 30 Jahren explodierte der Spaceshuttle Challenger kurz nach dem Start. Bei dem bis dahin schwersten Unglück der Raumfahrtgeschichte kamen sieben Astronauten ums Leben. Die Ingenieure hatten ihre Manager vor dem Risiko gewarnt.

Stuttgart - Bei strahlend blauem Himmel und unter den Augen Tausender Schaulustiger sowie weltweit Millionen von Fernsehzuschauern hebt die Raumfähre Challenger am 28. Januar 1986 um 11.38 Uhr Ortszeit in Cape Canaveral ab. Doch die Freude schlägt in blankes Entsetzen um, als der Spaceshuttle nur 73 Sekunden später in 15 Kilometer Höhe über dem Atlantik explodiert. Der bis dahin schwerste Unfall in der Geschichte der bemannten Raumfahrt reißt alle sieben Besatzungsmitglieder in den Tod. Die Ursache der Katastrophe ist schnell ausgemacht, der Imageschaden für die US-Raumfahrtbehörde Nasa hält bis heute, dreißig Jahre später, an.

 

Der Unfall hat sich als nationale Tragödie in das kollektive Gedächtnis eingebrannt. Seit April 1981 waren Spaceshuttles im Einsatz, aber diesem 25. Flug einer Raumfähre galt besondere Aufmerksamkeit. Der Flug sollte mit dem Aussetzen eines Kommunikationssatelliten und der Beobachtung des Halley’schen Kometen das schwindende Interesse am Raumfahrtprogramm wieder erwecken. Um die Missionen als alltägliche Routine darzustellen, gehörte zur Besatzung eine normale Bürgerin. Christa McAuliffe, eine 38-jährige Grundschullehrerin aus New Hampshire, wollte ihren Schülern vom Weltraum aus eine Unterrichtsstunde geben, Pioniergeist neu entfachen.

Nach dem Desaster würdigte Präsident Ronald Reagan in einer Rede an die Nation die „sieben Helden“ und sprach von einem „nationalen Verlust“. Der Unfall markierte den Beginn einer Krise, die sich seit dem Verlust der Columbia im Februar 2003 noch weiter verschärft hat.

Die Ingenieure hatten gewarnt

Auslöser für das Challenger-Unglück waren kälteempfindliche Dichtungsringe an einer der beiden wiederverwendbaren Feststoffraketen (siehe nebenstehenden Artikel). Weil es in der Nacht vor dem Start kalt war, verloren die aus gummiartigem Viton gefertigten O-Ringe ihre Elastizität. Dieses Risiko war bekannt. Ingenieure des Booster-Herstellers Morton Thiokol hatten die Nasa-Führung in mehreren Telefonkonferenzen am 27. Januar eindringlich vor einem Start gewarnt. Doch die eigenen Manager widersprachen. Der Raketenstart war schon dreimal verschoben worden, das Shuttleprogramm hing Jahre hinter den Vorgaben zurück. Die Nasa-Verantwortlichen benötigten einen Erfolg. Auch Reagan geriet in die Kritik, da auch er sich gegen eine weitere Verzögerung ausgesprochen hatte.

Hochgeschwindigkeitskameras zeigten gleich nach dem Zünden der Triebwerke schwarzer Rauch am Außentank. 13 Sekunden später war am rechten Feststoffbooster ein Flammenausbruch zu erkennen, nach 58 Sekunden traten Gase aus einem Leck am hinteren Teil der Raumfähre und bildeten eine Stichflamme. Selbst wenn die Besatzung oder das Kontrollzentrum dies realisiert hätten, wäre die Katastrophe nun nicht mehr zu verhindern gewesen. Vermutlich starben die sieben bewusstlosen Astronauten beim ungebremsten Aufprall ihrer Kabine auf dem Wasser.

Viele Nasa-Manager mussten gehen

Nach dem Unglück war der Glaube an ein stetes Gelingen des technisch Machbaren erschüttert. Bis September 1988 galt ein Startverbot für alle Raumfähren; das ganze Programm wurde einer umfassenden Revision unterzogen. Die Raumfähren wurden technisch überholt, die wichtigste Änderung war die komplette Überarbeitung der Feststoffbooster. Insgesamt waren es mehr als 2000 Modifikationen am Shuttlesystem, sie betrafen unter anderem die Steuerung, die Brennstoffzellen, die Hilfsenergieaggregate, das Hauptfahrwerk mit den bekanntermaßen zu schwachen Bremsen, den Hitzeschutzschild und die Tragflächen. Die Besatzung musste seitdem bei Start und Landung wieder Druckanzüge tragen, damit die Astronauten in einer Notsituation den Orbiter verlassen konnten. Der Shuttlebetrieb zog sich aus dem kommerziellen Satellitengeschäft mit privaten Auftraggebern zurück; diese waren gezwungen, wieder auf unbemannte Trägerraketen zurückzugreifen.

Außerdem berief die Nasa zahlreiche Manager neu, unter ihnen einige ehemalige Berufsastronauten. Als der Shuttle Columbia beim Wiedereintritt in die Atmosphäre auseinanderbrach und verglühte, wurden den Managern erneut Grenzen und Fehlbarkeit von Mensch und Material vor Augen geführt. Als Ursache erwies sich ein beim Start abgerissenes Schaumstoffteil, was zu einem Loch im Hitzeschild führte. Zahlreiche Probleme aus dem Jahr 1986 waren immer noch nicht ausgeräumt. Zudem gerieten die Kosten aus dem Ruder. Aus den anfänglich geschätzten 20 Millionen Dollar pro Start waren mehr als 600 Millionen geworden.

Am 21. Juli 2011 endete mit dem letzten Flug der Raumfähre Atlantis die Shuttleära. Insgesamt waren die Raumgleiter 135-mal ins All gestartet. Seitdem verfügen die USA über kein eigenes System zur bemannten Raumfahrt mehr.

Der eigenwillige Nobelpreisträger Richard Feynman ging in der Challenger-Kommission eigene Wege.

(Von Rainer Klüting) – Die Szene ist damals fotografiert und später sogar verfilmt worden: Bei einer öffentlichen Sitzung der Präsidentenkommission zur Untersuchung des Challenger-Unglücks sitzt unter den Kommissionsmitgliedern auf dem Podium Richard Feynman, Physiker und Nobelpreisträger. Der 68-Jährige, bekannt als fantasievoller Querdenker, ist auf eigene Faust einer möglichen Unfallursache nachgegangen, auf die er in Gesprächen mit Ingenieuren gestoßen ist. Der Verdacht wird sich später bestätigen.

Feynman hat sich ein Stück eines Dichtungsrings besorgt, der beim Start des Shuttle verhindern soll, dass an einer Nahtstelle Treibstoff austritt. Und er hat sich ein Glas Eiswasser aufs Podium bestellt. Am Morgen des fatalen Starts hatten auf dem Startgelände Minustemperaturen geherrscht – zum ersten Mal in der Geschichte der Shuttlestarts. Feynman taucht das Stück Gummiring ins Eiswasser und befestigt eine Klemme, die den Ring an einer Stelle zusammendrückt. Er lässt einige Minuten des Abkühlens verstreichen, dann ergreift er das Wort. Er zieht das Gummistück aus dem Eiswasser und entfernt die Klemme. „Ich habe entdeckt“, sagt er, „dass der Gummi nicht zurückschnellt, wenn man die Klammer entfernt. Mit anderen Worten, bei einer Temperatur von null Grad verliert dieses Material seine Elastizität.“ Die Dichtung war nicht zuverlässig.

Was ihn, der mit Vorliebe naive Fragen stellte, besonders empörte: das Phänomen war bekannt. Bei früheren Shuttlestarts hatte man an der Dichtung Rauch austreten sehen. Doch die Starts verliefen ohne Panne. Also nahm man den offenkundigen Mangel hin. Feynman nennt das „eine neue Variante des russischen Roulette: man drückt ab, und die Pistole geht nicht los, woraus folgt, dass man getrost noch einmal abdrücken kann . . .“

Sein persönlicher Bericht über die Kommissionsarbeit – erschienen in seinem Todesjahr 1988 in der Autobiografie „Was kümmert Sie, was andere Leute denken?“ (deutsch bei Piper, 1991) – nährt sich aus Gesprächen mit Technikern und Ingenieuren und seinem ungläubigem Erstaunen darüber, wie oft bei Managern politischer Wille vor Expertenrat aus dem eigenen Haus ging. Sein Beispiel, dokumentiert in einem persönlichen Anhang zum Kommissionsbericht: Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein Shuttlestart wegen technischer Probleme abgebrochen werden muss? Aus der US-Raumfahrtbehörde Nasa stammte damals die Aussage: ein Start von 100 000. Ingenieure sagten ihm aus dem Bauch heraus: ein Start von 100 oder 200. Feynman rechnet vor, dass laut Nasa-Management 300 Jahre lang täglich ein Shuttle starten könnte, und nur ein Start würde abgebrochen. „Woher nimmt das Management sein fabelhaftes Vertrauen in die Technik?“, fragt er und mahnt: „Eine erfolgreiche Technik setzt voraus, dass Wirklichkeitssinn vor Werbung kommt, denn die Natur lässt sich nicht betrügen.“