Der Gesundheitsminister will mit frühen Tests Erkrankungen rechtzeitig erkennen und bekämpfen – auch mit Medikamenten.
Es gehört nicht zu den überraschendsten Ereignissen im Berliner Politikbetrieb, dass ein Gesetzesvorhaben von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) Kontroversen auslöst. Überraschend ist eher, an welchem Projekt sich diesmal eine sehr heftige Debatte entzündet. Der Minister hat kürzlich einen Entwurf vorgelegt, der den unschuldigen Namen „Gesundes-Herz-Gesetz“ trägt.
Das Thema ist ernst. Obwohl Deutschland so viel wie kein anderes Land in der Europäischen Union für Gesundheit ausgibt, liegt die Lebenserwartung hierzulande mit 80,8 Jahren nur knapp über dem EU-Durchschnitt von 80,1 Jahren. Viele westeuropäische Nationen schneiden viel besser ab als Deutschland. Der Grund ist ziemlich klar: Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind in der Bundesrepublik die häufigste Todesursache, jedes Jahr sterben daran 350 000 Menschen. Das ist ein Drittel aller Todesfälle. Auch hier liegen viele andere Länder besser. Lauterbach will das jetzt ändern.
Ziel ist unumstritten, der Weg aber schon
Das Ziel ist unumstritten, der Weg aber durchaus nicht. Der Entwurf des „Gesundes-Herz-Gesetz“ setzt sehr stark auf die Früherkennung. Schon bei Kindern und Jugendlichen sollen künftig Früherkennungstests auf Probleme beim Fettstoffwechsel durchgeführt werden. Weitere Tests sind im Alter von 25, 35 und 50 Jahren geplant. Das Ziel ist die Erfassung „von familiären Risiken und lebensstilbezogenen Risikofaktoren“ heißt es im Entwurf. Ferner sollen bestehende Risiko-Erkrankungen wie Bluthochdruck, Diabetes und Adipositas erkannt werden. Was den Gesetzentwurf aber besonders umstritten macht, ist der Plan, Statine – also Medikamente zum Senken des Cholesterinwertes – großflächiger zu verordnen. Und das gilt auch für Kinder, bei denen eine erbliche Vorbelastung mit hohen Blutfettwerten besteht. Im Entwurf heißt es, dass „geschätzt zusätzlich circa zwei Millionen Patienten“ Anspruch auf Versorgung mit den Arzneimittel haben. Die rasche Medikamentenabgabe verbunden mit der Möglichkeit, künftig auch Kinder mit Statinen zu versorgen – das ist der Stein des Anstoßes.
Überwiegende Kritik der Ärzteschaft
Die Ärzteschaft hat überwiegend sehr kritisch reagiert. Doris Reinhardt, die Vorstandschefin der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg, sagte unserer Zeitung, sie halte das Gesetz für „völlig deplatziert“. Sie finde es „gravierend, in einem Gesetz über den Einsatz von Medikamenten nachzudenken, ohne das hierfür eine medizinische Evidenz besteht“. Die Faktoren, die Herzerkrankungen bei Jugendlichen vorbeugen könnten, seien bekannt: „Bewegung, Ernährung, Gesundheitskompetenz .“ Im Übrigen sei heute schon die „Familienanamnese Standard in der ärztlichen Betreuung.“
Auch vom Hausärzteverband kommt Kritik. Dort heißt es, man lehne „immer mehr Tests und eine Medikamentenvergabe per Gießkannenprinzip ganz klar ab“. Gerade „bei den Allerkleinsten“ sollten „flächendeckende Screenings, die in Folge lebenslange Medikamenten-Einnahmen bedeuten könnten, mit äußerster Vorsicht“ eingesetzt werden. Allerdings sehen viele Kardiologen die Sache anders und halten die Ausweitung der Statin-Therapie für richtig.
Minister brüskiert die Selbstverwaltung
Der Minister stößt mit dem Gesetz den Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA), das höchsten Gremium der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen vor den Kopf. Das entscheidet nach strengen Vorgaben darüber, welche medizinischen Leistungen von den Kassen übernommen werden. Gerade läuft beim GBA die Bewertung des Nutzens und des Risikos der Früherkennung bei Kindern und auch des Einsatzes von Statinen. Lauterbach greift den Ergebnissen vor. Entsprechend geladen reagiert der GBA-Vorsitzende Josef Hecken. Er spricht gegenüber unserer Zeitung von einem „Hauruckverfahren“. Hecken weiter: „Mein Verständnis von Entscheidungen auf einer wissenschaftlichen Grundlage ist ein anderes – man darf nicht nur jene Argumente wahrnehmen, die die eigene Meinung bestätigen.“ Man könne das Problem „nicht über einen gut klingenden Gesetzestitel und wissenschaftlich noch ungeprüfte Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung in den Griff bekommen.“