Er zählt zu den ersten Hausbesetzern von Stuttgart: Axel Deubner wollte 1971 eine Villa vor dem Abriss retten und die Wohnungsnot bekämpfen. 53 Jahre später erinnert sich der Diplom-Ingenieur an eine politisch aufgeladene Zeit. Welche Lehren zieht der 79-Jährige daraus?
Das Hausschwein der Jugendfarm Etzel schnüffelt neugierig um Axel Deubner, 79, herum, als er sich auf dem heutigen Spielplatz an der Etzelstraße umsieht. Lebhaft erzählt der Diplom-Ingenieuer, der Anfang der 80er Jahre aus beruflichen Gründen von Stuttgart nach Aachen gezogen ist, wie dieser Ort am Bopser früher ausgesehen hat. Die Bilder scheinen noch sehr präsent zu sein, so emotional sprudeln seine Erinnerungen. Eine prachtvolle Jugendstilvilla, die längst abgerissen ist, stand hier – eine Villa, die 1971 Stadtgeschichte geschrieben hat.
Sein Mitstreiter war der Vater des Rappers Max Herre
53 Jahre nach der ersten Hausbesetzung von Stuttgart kehrt Deubner an den Schauplatz eines heftigen politischen Streits zurück. Einer seiner Mitkämpfer gegen die Wohnungsnot war der Vater von Rapper Max Herre. Tagelang schrieben die Zeitungen über eine im Schwabenland noch unbekannte Aktion. „Vielleicht war die Aufregung damals so groß,weil wir die Verwaltung an einem besonders wunden Punkt getroffen hatten“, vermutet der frühere Hausbesetzer. Denn die Stadt habe den Leerstand selbst verursacht. Die Verantwortlichen des Rathauses hätten „nicht diplomatisch“ reagiert, sondern mit „äußerster Härte“. Denn es sollten, wie es damals hieß, „keine Frankfurter Zustände“ entstehen.
In Aachen führt Axel Deubner zusammen mit seinem Sohn ein Familienunternehmen, das Baumaschinen vertreibt und vermietet. Für seine fünf Enkel, die zwischen sechs und 15 Jahre alt sind, schreibt er gerade Lebenserinnerungen auf – es geht dabei vor allem um seine rebellischen Zeit in Stuttgart. „Meine Enkel sollen wissen, dass auch aus einem schlechten Schüler was werden kann“, sagt er und lächelt.
Auch wenn er es nicht so deutlich sagt, versteht man es zwischen den Zeilen: Der alte Herr mit dem jugendlichen Elan will den folgenden Generationen mit auf dem Weg geben, wie wichtig es ist, Verantwortung zu übernehmen und nicht dem Egoismus zu folgen. Sein Wunsch ist es, dass die Jungen darüber nachdenken, was sie als Individuum tun können, damit die Welt wenigstens ein bisschen besser wird.
Bei seinem Besuch der Etzelstraße nach so langer Zeit blickt er zunächst erfreut draußen auf den Zaun, an dem das prächtige Jugendstilgitter erhalten geblieben ist – anders als die Jugendstilvilla, deren Abriss die Hausbesetzer nicht verhindern konnten. In Amsterdam, erzählt Axel Deubner, habe er Anfang der 70er den „sehr ermutigenden Ansatz“ erlebt, wie man über das Thema Wohnungsnot Menschen zum politischen Handeln mobilisieren kann. Mit Gleichgesinnten, die er unter anderem in einer anthroposophischen Gruppe des Forum 3 an der Gymnasiumsstraße oder in Kinderläden traf, sei er sich einig gewesen, dass man Druck erzeugen müsse, damit die Stadtpolitik ihre Prioritäten verändern würde.
An der Etzelstraße im Stuttgarter Süden befanden sich in einem parkähnlichen Grundstück zwei Villen, die der Stadt gehörten, die nahezu unbewohnt waren. Nur unter dem Dach habe noch eine wohl tschechische Familie gelebt. Nach dem Willen der Verwaltung sollte nach dem Abriss ein US-Hotelkonzern an diesem naturbelassenen Ort eine Luxusherberge mit 14 Stockwerken errichten. Doch dann kamen die Hausbesetzer an einem Februartag des Jahres 1971. Kinder waren dabei – Axel Deubner hatte damals selbst noch keine.
„Mit Rücksicht auf die Kinder haben wir keinen Widerstand geleistet“
Schon am späten Nachmittag des selben Tages war es mit der ersten Stuttgarter Hausbesetzung schon wieder vorbei. „Eine ganz Kompanie von gutausgerüsteten Bereitschaftspolizisten rückte an und forderte uns auf, mit den Kindern das Haus zu verlassen“, erinnert sich der 79-Jährige. Mit Rücksicht auf die Kinder habe man davon abgesehen, aktiven Widerstand zu leisten, was Axel Deubner im Rückblick noch immer für die richtige Entscheidung hält.
„Aber dann ging es weiter“, erzählt er, „die tschechische Familie musste sofort ausziehen, ihre Möbel wurden verladen.“ Noch am Abend sei ein städtischer Bautrupp gekommen und habe das Haus unbewohnbar gemacht, etwa alle Türen und Balustraden zerstört. Dies habe ihm „sehr weh getan“ angesichts eines wunderschönen Jugendstilhauses, sagt Deubner auf dem heutigen Spielplatz. Von der Denkmalschutzbehörde habe sich niemand gezeigt. Erst hätten die Zeitungen positiv über die Aktion geschrieben, dann aber übten Kommentatoren heftige Kritik am Rechtsbruch. Das Grundstück Etzelstraße wurde also zum öffentlichen Thema. Der Gemeinderat lehnte 1972 schließlich die Änderung des Bebauungsplans ab, womit der Hotelneubau gescheitert war. In der zweiten Villa etablierte sich ein Schüler- und Kinderladen mit antiautoritären Erziehung, aus dem die Villa Kunterbunt hervorging, das Kinderhaus Etzel. Dass Axel Deubner mit der Hausbesetzung dazu beigetragen hat,freut ihn – auch wenn er manchmal resigniert feststellen muss: „Auch heute herrscht noch Wohnungsnot, und der Leerstand ist groß.“
1972 war er mit Winfried Kretschmann in einem politischen Zeltlager
In der linken Bewegung war Deubner aktiv, wo auch der heutige Ministerpräsident Winfried Kretschmann mitmischte. „1972 waren wir zusammen in einem politischen Zeltlager“, erzählt der Architekt.
Als er nach China reiste, sind so manche rote Träume geplatzt, von der Realität eingeholt. Doch zeitlebens ist es ihm wichtig gewesen, „nicht die eigene Seele zu verkaufen“. Sein Credo für sein Unternehmen, das in Aachen als „sozial vorbildlich“ gilt, lautet: „Es lohnt sich, Menschen zu helfen, denn es kommt etwas Gutes zurück.“
Viel hat sich seit 1971 geändert – und vieles auch nicht. Nein, zum Gesetzesbruch will er nicht aufrufen und er verklärt die gerade mal eintägige Hausbesetzung von 1971 auch nicht. Deubners Appell lautet, nicht immer nur an sich zu denken. Man solle so leben, dass anderen dabei geholfen wird. Bestimmt soll auch den Tieren geholfen werden, liebes Hausschwein von der Etzelstaße.