Am Goethe-Gymnasium in Ludwigburg warnt der Nazi-Aussteiger Fips Neukamm vor der rechten Szene. Ein Ergebnis: Junge Leute mit einer Perspektive gehen Nazis weniger leicht auf den Leim.
Er sei nicht aus Überzeug aus der Szene ausgestiegen, sondern aus Frustration. Ehrliche Worte von Fips Neukamm. Der 28-jährige Mann aus Sachsen ist am Donnerstagabend zu Gast bei der Veranstaltung „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ am Goethe-Gymnasium Ludwigsburg. Er erzählt in einem langen Interview mit den Schülerinnen Joy Okafor und Larissa Basarac von seinem Leben als Teenager. Er ist ohne Vater und mit einer ständig arbeitenden Mutter aufgewachsen. Und er macht deutlich, ihm habe wohl eine Vertrauensperson gefehlt. Weshalb er irgendwann bei den Rechten gelandet sei.
Ausgangspunkt war sein Faible für Rockmusik
Über sein Faible für Rockmusik sei er in Kontakt geraten zu Nazis in Lichtenstein, seinem Heimatort bei Zwickau in Sachsen. Als 13-Jähriger habe er deren Meinungen unreflektiert übernommen: Hitler sei demnach gar nicht schlecht gewesen, der Holocaust auch nicht, so zwei der dort herrschenden kruden Ansichten. Die Nazis wurden zu einer Art Ersatzfamilie, lange bevor in der Schule das Thema „Drittes Reich“ auf dem Lehrplan stand.
Ein paar Jahren später sei dieser fixer Gedanke im Kopf gewesen: „Wir müssen aktiv werden.“ In Chemnitz wollten Fips Neukamm und ein paar Gleichgesinnte die vielen rechten Splittergruppen vereinigen, man gründete das „rechte Plenum“, beging Straftaten. Er selbst deponierte eine Bombenattrappe auf dem Bahnhof und wurde deshalb zu eine Geldstrafe verurteilt.
Trügerisches Gefühl der Zusammengehörigkeit
Was hat ihn damals gereizt mitzumachen? Das wollen die Interviewerinnen am Goethe-Gymnasium wissen. Neukamm spricht vom Gefühl der Zugehörigkeit. In seinem Dorf habe es keine Angebote für Jugendliche gegeben. Was hätte helfen können? Vielleicht ein Jugendclub mit Sozialarbeitern, sagt er. Doch als er in Chemnitz gegen Linke und Ausländer hetzte und agitierte, sei alles wohl zu spät gewesen. Alte Freunde hatten den Kontakt zu ihm längst abgebrochen, Fips Neukamm traf nur noch Nazis. Sein Weltbild hatte sich verfestigt: Er und seine Kumpels wollten „die Demokratie stürzen“ und einen Führer-Staat nach dem Vorbild des „Dritten Reichs“ errichten. Keiner von ihnen, sagt Neukamm am Goethe, habe ein Problem mit Gewalt gehabt.
Trotz dieser rechtsextremen Einstellung ist Fips Neukamm ausgestiegen – warum? Er erzählt von einem längeren Prozess, von Frustration, weil die viel gepriesene Kameradschaft der rechtsextremen Kumpels nichts wert gewesen sei. Er zog sich zurück, wechselte den Wohnort, war aber zunächst kein geläuterter Extremist, sondern „ein enttäuschter Nazi“. Was hat ihn zurückgeführt in die Mitte der Gesellschaft? Vermutlich eine gute Portion Glück. Er habe in seinem neuen Wohnort die richtigen Leute getroffen. Heute arbeitet Neukamm als Mediengestalter und freier Fotograf. Er engagiert sich beim Aussteigerprojekt Ad Acta des Vereins Projekt 21 II und warnt an Schulen vor Rechtsextremismus. Am Goethe sagt er: „Ich schäme mich für meine Taten.“
Was könnte helfen, dass Jugendliche nicht an extremistische Rattenfänger verloren gehen? Auf diese Frage antwortet Neukamm, er habe kein Patentrezept. „Redet miteinander, hört euch zu.“ Zudem müssten junge Leute eine Perspektive haben – andernfalls liefen sie Gefahr, Nazis auf den Leim zu gehen. So wie er damals.