Autor Kurt Palm und die Donauschwaben Wie stark prägt uns die Herkunft?

Kurt Palm ist vor allem bekannt für seine Arbeit an der Show „Phettbergs Nette Leit Show“, die er inszenierte, und für seinen Roman „Bad Fucking“, der zum Bestseller wurde. Foto: Minitta Kandlbauer

Der Österreicher Kurt Palm, dessen Eltern als Donauschwaben aus dem heutigen Kroatien geflüchtet sind, fragt in seinem Roman, was die Familiengeschichte uns mitgibt.

Familie, Zusammenleben und Bildung: Eva-Maria Manz (ema)

Wenn meine Großmutter von Kapan erzählte“, schreibt Kurt Palm, „verwendete sie stets das Wort ,daham‘.“ Gefragt, wie es dort gewesen sei, sagte die Großmutter demnach: „Scheen war es, sehr scheen.“ Palm, Jahrgang 1955, ist Österreicher, seine Großeltern und Eltern waren Donauschwaben aus Slawonien. „Der Bauernhof meines Vaters war ein großer Hof mit Kühen, Schweinen und Pferden sowie Äckern, Feldern und einem Wald mit einer Gesamtfläche von 20 Hektar. Außerdem gehörte ihm ein Weingarten mit 1,7 Hektar“, schreibt Palm in seinem aktuellen Buch „Trockenes Feld“ (Leykam, 304 Seiten, 25,50 Euro).

 

Der Österreicher, den man vor allem als Kopf hinter der Talk-Sendung „Phettbergs Nette Leit Show“ kennt, hat vor gut zehn Jahren mit dem Krimi „Bad Fucking“ einen Bestseller geschrieben. Jetzt erarbeitet er sich die eigene wechselvolle Familiengeschichte. Wie stark prägen uns die Familie und die Herkunft? Der neunjährige Schüler Kurt Palm schreibt 1964 in Vöcklabruck in sein Heft: „Meine Eltern wurden aus Jugoslawien vertrieben und wir sind froh, dass wir so eine schöne Wohnstube besitzen.“

Das „Daham“ musste die Donauschwaben verlassen, ohne zu wissen, wohin

Wie Tausende andere Familien waren Palms Vorfahren im 18. Jahrhundert von Baden-Württemberg ausgewandert nach Kapan, einen Ort, der zum Dorf Suhopolje gehörte, im heutigen Nordosten Kroatiens. Auf Deutsch heißt Suhopolje so viel wie trockenes Feld. Ein unerklärlicher Name, wenn man weiß, dass diese von deutschen Siedlern urbar gemachten Landstriche im Osten meist unfruchtbare Sumpfgebiete waren.

Die Donauschwaben haben sich in der Fremde als Bauern eine Existenz aufgebaut, die sie, manche besser, andere schlechter, über Generationen hin am Leben hielt – eben bis sie das „Daham“ wieder verlassen mussten. Palms Mutter floh 1943 auf einem Pferdewagen aus Suhopolje – ohne zu wissen, wohin. Der Vater war als 18-Jähriger vom Schweinestall an die Front geschickt worden, um in einer deutschen Uniform gegen Partisanen in Frankreich und Slowenien zu kämpfen. Wie Palm später herausfindet, war sein Vater sogar bei der SS. Was hatte er noch verschwiegen? Was hatte er selbst alles im Krieg getan? Darüber sprach der Vater, den Palm als liebevoll und aufopfernd für die Familie wahrnahm, Zeit seines Lebens nicht. Der Sohn kann nur im Dunkeln stochern, in Archiven forschen – und letzten Endes keine Gewissheit finden. Der Vater ist tot, all seine Fragen kann Palm ihm nicht mehr stellen, sie kommen zu spät.

Donauschwäbische Bäuerinnen bei der Weinernte Foto: Donauschwäbisches Zentralmuseum Ulm

Mit ihrer Flucht während des Krieges verließ Palms Familie den Ort Kapan für immer. Auch die Großmutter, sie war damals 35. „Sicher war sie von der Flucht traumatisiert“, schreibt Palm. Und im Rückblick wird sie – ähnlich wie viele Vertriebene damals – das „scheene“ Leben in Kapan idealisiert haben. Wie auch anders? Der Neuanfang für die Geflüchteten in Österreich und der Bundesrepublik ist nicht leicht. Sie haben alles verloren, sind heimatlos und im neuen Land ungewollt, werden oft wie Abschaum behandelt. Sie sehen anders aus und riechen anders, tragen Kopftücher, kochen mit stinkendem Knoblauch und halten eisern an den Riten und Sitten der Kirche fest.

Ähnlich den Gastarbeiterkindern wachsen die Nachkommen der Donauschwaben damals in zwei Welten auf

Diese importierte Lebenswelt prallt in den Nachkriegsjahren auf eine veränderte Alltagskultur. Die 50er bringen das Wirtschaftswunder, Musik und Coca Cola von den Amerikanern, die 60er die Revolten der Jugend. Wie passt das zusammen? Gar nicht. Rolling Stones und Zigaretten – und samstags der Mutter die Haare eindrehen, im Hof die Teppiche ausklopfen. Typische Konflikte der Zeit spitzen sich in diesen entwurzelten Familien besonders zu.

Ähnlich den Gastarbeiterkindern oder jenen Kindern aus migrantischen Familien heute wachsen die Nachkommen der Geflüchteten damals in zwei Welten auf. So auch Kurt Palm, dessen Eltern nicht verstehen können, warum er als junger Mann nicht endlich was schafft und Geld verdient, was soll ein geisteswissenschaftliches Studium überhaupt sein? Bei ihm zu Hause gibt es kein Geschrei und keine Schläge – aber dieses drückende Schweigen. Und die Schuldgefühle. Sind sie das Erbe des Katholizismus?

„Was erzählten sich die Flüchtlinge eigentlich, wenn sie beisammensaßen?“, fragt Palm, der seine Familie immer nur im Rückblick betrachten kann. „Wahrscheinlich setzte sofort das große Schweigen ein, das jahrzehntelang andauern sollte, geschuldet sicher auch dem enormen Anpassungsdruck“, vermutet der Erzähler. „Sie waren Entwurzelte ohne nationale Identität, und vielleicht waren die Traumata auch einfach zu groß, um sie in Worte fassen zu können. Das Schweigen zwischen den Generationen führte schließlich dazu, dass die Leerstellen immer größer wurden und irgendwann nicht mehr gefüllt werden konnten. Was blieb, waren dunkle Flecken, Verschwiegenes und Verdrängtes.“ Das jedenfalls ist nichts, was nur die Familien der Vertriebenen belastete – der Riss ging durch viele Nachkriegsfamilien. Als irgendwann klar ist, dass es für die Palms keinerlei Entschädigung für das in Kroatien verlorene und zurückgelassene Hab und Gut geben wird, notiert der Erzähler auf einen Zettel: „Kränkungen, Scham, Schikanen, angeborene Nichtswürdigkeit.“

Entwurzelte Donauschwaben: Wie stark prägt einen die nationale Zugehörigkeit?

Sein Bruder nimmt sich das Leben. Immer schon sei der Bruder der Meinung gewesen, ein unerwünschtes Kind zu sein, schreibt Palm. Einmal soll der Bruder gesagt haben: „Ich habe mich in dieser dunklen Region Österreichs, in der ich aufgewachsen bin, nie zu Hause gefühlt. Ich galt hier immer nur als Sohn von Flüchtlingen.“ Ein Erbe, das man nicht los wird? Was hat es denn überhaupt zu sagen, wo wir geboren sind? Diese Frage steht über allem, was Palm zu seiner Familie schreibt. Wie stark prägt uns die nationale Zugehörigkeit? Und sind wir ein Niemand, wenn wir staatenlos sind, so wie es Palms Eltern – das erfährt er erst aus den Unterlagen – 13 Jahre lang waren? Er kann nur Weniges aus der Familiengeschichte rekonstruieren. „Ziemlich sicher ist, dass die Vorfahren der Palms Pilger aus Skandinavien waren, die von ihrer Reise ins Heilige Land als Beweis für ihre Reise Palmzweige mitbrachten, und daher ,Palmer‘ genannt wurden. Diese Palmer kamen im Zuge des Dreißigjährigen Krieges nach Baden-Württemberg, um Mitte des 18. Jahrhunderts schließlich Slawonien zu besiedeln, wo sie sich mit kroatischen Siedlern mischten.“ Dass der Bruder einst eine Dissertation über Pilgerwesen und Orienterfahrung im Spätmittelalter schrieb und zu Forschungszwecken mehrere Monate in Jerusalem war, glaubt Palm, könne „vor diesem Hintergrund kein Zufall sein“.

War das Schicksal der Donauschwaben bestimmt durch den Zufall?

„Also, was bin ich?“ fragt Kurt Palm, durch Zufall in Vöcklabruck geboren, „womit bewiesen wäre, dass Herkunft nichts anderes als ein kulturelles Konstrukt oder eine Gleichung mit vielen Unbekannten“ sei. Palm zitiert den US-amerikanischen Autor James Salter: „Es ist immer ein Zufall, der uns rettet.“ Und er stellt fest: Es gibt keinen „genetischen Österreicher und auch keinen Deutschen“. Nationalität, Heimat, Grenzen – alles bestimmt durch den Zufall.

Am Ende steht da bei Palms ein Elternhaus leer, in dem früher 13 Personen gelebt haben: Großeltern, Onkel und Tante und ihre vier Kinder und die Familie des Autors. Palm nimmt von dort seinen alten Teddybär mit und setzt ihn bei sich zu Hause auf die Couch, er „starrt mich an, als würde er auf eine Erklärung warten, weshalb ich ihn aus seiner gewohnten Umgebung gerissen habe. Auch er: Ein Entwurzelter.“ Rückblickend stellt er fest: „Die Mühen und Entbehrungen von Generationen waren umsonst gewesen, und Suhopolje wurde seinem Namen wieder gerecht: Trockenes Feld.“

Und doch: Der „angeborenen Nichtswürdigkeit“ kann der Erzähler etwas entgegen setzen – denn nicht die Herkunft, der Ort der Geburt, der Besitz der Familie verleihen dem Menschen Würde. Im letzten Kapitel gibt Palm einem Mann aus seinem Ort, über den kaum einer etwas wusste, eine Stimme. Dieser Mann, Luka-Batschi genannt, war in Kapan am Hof von Palms Vater beschäftigt und mit nach Österreich gekommen. Als alter Mann ertrank er in der Vöckla. Palm erzählt seine Lebensgeschichte – wie sie gewesen sein könnte. Und lässt Luka-Batschi am Ende hinunter gehen zur Vöckla, und von den Wellen der Donau träumen.

Weitere Infos

Person
Kurt Palm studierte Germanistik und Publizistik an der Universität Salzburg, promovierte über Bertolt Brecht und Österreich. Seit 1982 arbeitet Palm als Regisseur und Autor. 1989 gründete er in Wien die Theatergruppe „Sparverein Die Unz-Ertrennlichen“, die 1999 wieder aufgelöst wurde. Von 1994 bis 1996 inszenierte er 24 Folgen der von Hermes Phettberg moderierten „Phettbergs Nette Leit Show“. Palm lebt in Wien und in Litzlberg am Attersee.

Buch
Kurt Palm: Trockenes Feld. Leykam, 304 Seiten, 25,50 Euro.

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