Ein U-Boot-Offizier erzählt Auf engstem Raum in den Tiefen des Meeres – „Angst hilft da nicht weiter“

, aktualisiert am 23.09.2025 - 14:53 Uhr
Lars Armstroff auf seinem Untersee-Boot Foto: Andreas Reiner

Lars Armstroff durchkreuzte im U-Boot die Ostsee, die Nordsee, das Mittelmeer und nahm an Nato-Manövern teil. Jetzt steht sein ausgemustertes U17 im Technikmuseum Sinsheim.

Reportage: Robin Szuttor (szu)

Da sind noch Spuren von Muscheln und Seepocken auf dem Stahlrumpf. „Das kleine Mäuseloch hier war das Signalhorn. Und das Loch hier der Diesel-Auspuff, wenn wir über Wasser fuhren. Für das Tauchen gab es dann die schmalen Schlitze da vorn. Die verteilten die Abgase feiner, das machte es schwieriger, uns mit Wärmebildkameras zu orten.“

 

Irgendwie ist es sein U-Boot. Wie oft stand er oben auf der Brücke, Kopf und Schulter im Wind, um mit der Mannschaft unten im Bootsbauch nautisches Fahren zu trainieren. Unter Plexiglas (wegen der Gischt) hatte er Karten der größten Seegebiete und kleinsten Buchten. Zwischen den Übungen, wenn er nur aufs Meer schauen konnte, das waren die schönsten Momente.

Drei Jahre fuhr Lars Armstroff als Erster Wachoffizier auf U17. 1973 wurde es in Dienst gestellt, sein Geburtsjahr. Gebaut von der Howaldtswerke-Werft in Kiel. Heimathafen Eckernförde. 50 Meter lang. 500 Tonnen schwer. Baukosten etwa 100 Millionen Mark, eine astronomische Summe damals.

Technikmuseum Sinsheim statt Schrottplatz

Jetzt gehört es zum Technikmuseum Sinsheim. Armstroff hat ja schon immer gesagt, dass es zu schade sei für den Schrott. 372 000 Kilometer kreuzte es durch die Meere, 148 000 davon im Tauchgang. Auf der letzten Reise wurde es getragen. Als der Koloss nach fast 15 Jahren Dahindümpelns auf einen schwimmenden Ponton gehoben wurde, war noch Restspannung auf den tonnenschweren Batteriezellen. Über den Nord-Ostsee-Kanal bugsierte man das U17 den Rhein hinauf bis Speyer. Dann, ab Haßmersheim, rollte es auf Sattelschleppern weiter, vor Brücken musste es sich auf die Seite legen. Und nun steht das einst stolze U17 hoch aufgespießt im Trocknen wie ein ausgestopfter Wal neben einer Concorde und alten russischen Jagdbombern.

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In den Sommerferien müssen Besucher lange anstehen, um die U17-Innereien zu sehen. Aber so früh ist noch keiner da, Armstroff hat das ganze Boot für sich. Ein Mechanikwunder der 70er-Jahre. Die Knöpfe, Schalter, Geräte so schwer und stabil. Ein einziger Haufen Maschinen, Motoren, Instrumente, signiert mit Firmennamen wie Siemens, Hagenuk, Krupp, Zeiss. Nur für den Mensch blieb so gut wie kein Platz mehr übrig. Klaustrophobie kennt Armstroff nicht. Er hat stets einen sachlichen Blick auf die Dinge und volles Vertrauen in die Technik. „Angst würde mir ja auch nicht weiterhelfen.“

Blickfang in Sinsheim: Das U17 mit seiner braun gestrichenen Edelstahlhaut. Foto: Andreas Reiner

Er war mit U17 in der Ostsee zuhause, tauchte wochenlang in der Nordsee, monatelang im Mittelmeer. 22 Mann in Käfighaltung, wenn man so will. In einem Milieu von Küchen- und Körperausdünstungen, gewürzt mit etwas Dieselflair, wächst man zusammen. Einmal duschen die Woche. Das T-Shirt wurde auch nicht täglich gewechselt, so viel Kleider fasste der Spind gar nicht, Waschmaschine gab es keine an Bord. Nach zwei, drei Wochen ohne Hafenstopp fehlte nicht viel und sie hätten einander am Geruch erkannt wie im Wolfsrudel.

Je zwei Mann teilten sich einen Schlafplatz im U17

Je zwei Mann teilten sich einen Schlafplatz. Nur der Kommandant, der Smut, der Schiffstechnische Offizier und der Elektronikoffizier hatten Einzelkojen. Für die anderen wartete nach den Vier-Stunden-Schichten ein vorgewärmtes Nest. Jeder hatte seinen Schlafsack, das Inlett diente als Decke. Kein Raum zum Drehen und Ausstrecken. „Aber meistens hast du so eine Grundmüdigkeit, dass du selig schläfst“, sagt Armstroff.

Er ist im thüringischen Arnstadt aufgewachsen. Die Urlaube verbrachte die Familie an der Ostsee. Wenn er die Schiffe in den Häfen von Wismar oder Rostock sah, träumte er sich an Bord und in Richtung Horizont. Technischer Offizier auf einem Handelsschiff, das wär’s gewesen. „Hat aber nicht geklappt, ich war der Stasi wohl nicht linientreu genug.“

Er wurde Landmaschinenschlosser. Dann die Wende. Armstroff entschied sich für eine Karriere bei der Truppe, verpflichtete sich zwölf Jahre, studierte bei der Bundeswehr Luft- und Raumfahrttechnik. Er absolviert ein Marine-Praktikum auf U17. „Das gab den Ausschlag, U-Boot-Fahrer zu werden.“ So landete der Luftfahrtingenieur im Wasser und wieder auf U17. Am Ende hatte er den Rang eines Kapitänleutnants (Kaleu).

Viel Platz für die Maschinen, kaum Platz für die Menschen Foto: Andreas Reiner

Was sind das für Typen, die es in die Tiefe zieht? „Leute, die was Besonderes suchen“, sagt er. Halbherzige scheiden schnell aus. jeder Einzelne müsse das Boot technisch ganz verstehen. „Und entscheidungsfest sein, auch im Kleinen“, wie Armstroff sagt. „Es bringt ja nichts, wenn ich in Stresssituationen durchdrehe.“ Der Teamgeist sei stärker als anderswo. „Alle ticken ähnlich. Die Gruppe entfaltet auch eine gewisse Erziehungswirkung.“ Die Besatzung werde anders geführt als eine Infanterie-Kompanie. Kein Stillgestanden! „Sobald man drinnen ist, tauscht man Uniform gegen Shirt und Bermudas oder Rollkragenpulli.“

Gegenspieler des U-Boots sind die Sonargeräte, die ins Meer horchen. Zerstörer ziehen Lauschketten hinter sich her, um Witterung aufzunehmen. Hubschrauber scannen die Oberfläche mit Radar. Das Phantom der See darf keiner sehen, hören, spüren. Wem es gelingt, die Tarnkappe zu lüften, nimmt dem Boot seinen Daseinszweck. „Es ist eine sehr effektive Waffe – auch in heutigen Zeiten“, sagt Armstroff.

Das U17 mit Torpedos zu beladen, dauerte zwei Tage

Vor dem Beladen der Torpedorohre müssen die Kojen an der Bugseite komplett ausgebaut werden. Dann wird das Boot schräg gelegt und die meterlangen Geschosse über Flaschenzüge an Bord manövriert. Zwei Tage dauert die Prozedur. „Und zwischen den Rohren, die immer schön kühl waren, schnürten wir Obst und Salamiwürste fest, die nicht mehr in der Kühlschrank passten.“ Manchmal wurden Kampfschwimmer in die Torpedorohre gestopft. Die verharrten dort 20 Minuten bewegungsunfähig, bis der Druckausgleich abgeschlossen war. Dann wurden sie rausgelassen zu ihrem Auftrag.

Bei Nato-Manövern kam Armstroffs Crew amerikanischen, französischen und anderen Zerstörern und Fregatten unentdeckt so nahe, dass man die Aktionen als Abschüsse wertete. So was wird gefeiert. Sie wurden schon von holländischen Hubschraubern und griechischen (in Kiel gebauten) U-Booten „getroffen“. Spielten Verstecken und legten sich in 60 Meter Tiefe auf den Meeresgrund. Bis 100 Meter durften sie tauchen, irgendwann verzieht es dann den Stahl. „Bei U-Booten zählt Deutschland zur internationalen Elite“, sagt er. „Die Amerikaner mögen schneller sein und tiefer tauchen können. Machen dafür aber auch mehr Krach.“

Armstroff steht vor der Offiziersmesse, hier hat er immer geschlafen. Gegenüber die Kombüse mit dem Originalgeschirr. Bei schwerer See fielen auch mal ein paar Tassen aus der Halterung.

Das Bediengerät, um Grundminen zu legen. „Und hier waren zwei Maschinenpistolen zur Selbstverteidigung im Hafen. Wenn wir in warmen Gewässern schwimmen gingen, musste immer ein bewaffneter Haiposten aufgestellt werden.“

Die kleine Toilette mit Urinal und Waschbecken. Das Abwasser wurde gesammelt und mit Pressluft rausgedrückt. Auf der Steuerbordseite die große (etwa zwei Quadratmeter) Toilette, wo man „gleichzeitig kacken, Zähne putzen und duschen“ konnte.

In der Kommandanten-Kajüte das Schließfach mit den versiegelten Nato-Codes für den Kriegsfall. „Bei großem Wellengang kam hier oft ein Wasserschwall vom Turm runter. Das meiste ging durchs Gitterrost weg, aber der ein oder andere Liter lief auch zum Chef rein.“

Das Radarwarngerät. Das Minenmeidesonar. Das Echolot mit dem Schreiber, der ein Profil vom Meeresboden zeichnet. Im Heck die beiden Zwölfzylinder-Diesel von MTU, mit je 600 PS, die den Strom für den 1500-PS-Elektromotor liefern. „Wir konnten etliche Stunden lautlos mit Batterieantrieb fahren.“

Mittelmeer-Hitze: bis zu 50 Grad im Maschinenraum

Im Winter, wenn die eiskalte Nordsee das Boot in seine Zange nahm, kriegten sie es häufig nicht über zehn Grad geheizt. Im Mittelmeer konnte es dagegen manchmal nicht vernünftig gekühlt werden. Als Erstes merkte es die Elektronik. „Bis zu 50 Grad im Maschinenraum. Dann gab’s die Bestimmung: maximal zehn Minuten rein zum Reparieren. Und einer spähte durchs Bullauge, falls der Kamerad drinnen umfällt.“ Armstroff hatte es auf der Brücke luftiger. Er bekam regelmäßig Besuch auf halber Treppe – von den Rauchern und den Hitzeflüchtlingen.

Der heftigste Hafenaufenthalt war in Haifa. Das Boot ein einziger Brutkasten. „40 Grad und eine Luftfeuchtigkeit, dass man kaum atmen konnte. Wir standen Wache unter einem Pavillon vor dem Boot, weil es drinnen nicht auszuhalten war.“ Oder die Mückenplage in Toulon. Aber die Seefahrt fehlt ihm. „Das Gefühl, in so einem kleinen Boot im endlosen Meer zu schwimmen.“

Die gesellschaftliche Geringschätzung der Truppe vermieste ihm den Job

Als seine zwölf Jahre um waren, hätte er Berufssoldat werden können. Aber Armstroff verwandelte sich zurück in einen Zivilisten. Sein erster Sohn war zur Welt gekommen, er wollte mehr Zeit für Familie. Und die gesellschaftliche Geringschätzung der Streitkräfte verleidete ihm den Job zusehends. „Unter den heutigen Vorzeichen wär es vielleicht anders gelaufen.“

Er ging wieder in die Landtechnik. Wechselte dann in die IT-Branche. Als Corona kam, vertrieb er E-Learning-Systeme. Stieg schließlich als selbstständiger Partner in seine jetzige Agentur ein, wo er Führungspersonal für Agrarfirmen wie Fendt, Claas, John Deere vermittelt. „Headhunter mit viel Tiefe“, sagt er. Inzwischen hat Armstroff fünf Kinder, er lebt in Ubstadt-Weiher, eine halbe Autostunde vom Boot entfernt.

2010 schieden auch U17 und seine Geschwister aus der Bundeswehr. Ein paar wurden verschrottet. Andere führten ein Schattendasein in Marinearsenalen. Zwei wurden nach Kolumbien verkauft, wo sie noch immer durch tropische Gewässer gondeln. Ende der 80er Jahre hatte die deutsche Marine 24 U-Boote im Dienst. Aktuell sind es sechs (vom Typ 212), vier weitere werden gerade gebaut.

Könnte U17 heute noch nützlich sein? „Ich bin kein Admiral, erst recht kein Politiker“, sagt Armstroff. „Aber meiner Meinung nach wäre es angesichts der aktuellen Lage, die ja in vielem dem gleicht, was wir im Kalten Krieg hatten, 2014 eine Überlegung wert gewesen, die verbliebenen Boote als Reserve für die Ostsee zu behalten. Dafür sind sie gebaut worden. Das konnten sie extrem gut.“

Neulich las er in einer Zeitung: „Russischer Zerstörer vor Fehmarn.“ Er kannte das abgebildete Schiff: „Udaloy-Klasse, der potenteste U-Boot-Jäger, den die Russen je hatten. Wir sind damals ausgebildet worden, uns vor diesen Schiffen zu verstecken und sie abzuwehren. Auf russischer Seite hat sich das Szenario nicht groß verändert.“

Eine Militär-Karriere in der DDR wäre für Armstroff undenkbar gewesen

Eine militärische Karriere in der DDR wäre für Armstroff undenkbar gewesen. „Alles, was ich bin, bin ich durch die Wende“, sagt er. „Ostdeutschland ist meine Heimat, aber die DDR war nie mein Land.“ Das fing schon in der Schule an – mit dem Spott der Lehrer, weil er gläubig war und sich konfirmieren ließ: „Na, warste wieder beten?“

Wäre die DDR nicht zusammengebrochen, er hätte immer wieder den Versuch gestartet, auf einem Handelsschiff unterzukommen, sagt Lars Armstroff. Irgendwann hätte es ja vielleicht geklappt. „Geflüchtet wäre ich wahrscheinlich nie. Aber ich hätte die Freiheit der See in mich aufgesogen.“

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