Esslinger Weinlese Klimawandel zwingt zu Traubenernte im Rekordtempo

Schön, aber anstrengend: Maximilian Kusterer bei der Lese, die in diesem Jahr besonders schnell über Hänge und Steillagen geht. Foto: Roberto Bulgrin

Früher und schneller: Die Weinlese biegt zu einer Zeit in die Zielgerade, zu der sie sonst erst beginnt. Wengerter Maximilian Kusterer erwartet gute Qualität und mittlere Menge.

Irgendwas hat den Kalender durcheinander gebracht. Irgendwas? „Der Klimawandel lässt grüßen“, sagt Maximilian Kusterer, Juniorchef des gleichnamigen Esslinger Weinguts. Woran er den klimawandelnden Gruß merkt? „Dieses Jahr findet die Lese in Esslingen so früh statt wie noch nie.“ Ende August ging’s schon in die vollen Rebstöcke. Noch vor zehn Jahren kam die Weinlese erst Anfang Oktober auf Hochtouren. Nur frühe Sorten wie Chardonnay, Spätburgunder oder Dornfelder wurden Mitte bis Ende September geerntet.

 

Auch das ist 2025 anders: „Alles ist gleichzeitig reif.“ Sogar die Äpfel auf der Streuobstwiese, die man nun im Wortsinn verfallen lassen muss. „Unser täglich Brot verdienen wir halt mit dem Wein“ – und dessen Lese bindet alle verfügbaren Kräfte. Für die Apfelbäumchen bleibt da keine Zeit.

Zumal die Traubenernte im Rekordtempo über die Hänge und Steillagen geht: Nach zwei Wochen „sind wir schon in der Zielgeraden. Im vergangenen Jahr waren es noch insgesamt fünf Wochen, mit Lesepausen“, sagt Kusterer. Für ihn bedeutet das Tempo Arbeitstage von 7 bis 22 Uhr, auch an Wochenenden. Was den Wengerter mit Leib und Seele durchaus schwärmen lässt: „eine schöne Zeit – aber extrem anstrengend.“

Warum die Eile? „Weil sonst der Oechsle-Grad und damit der Alkoholgehalt steigen.“ Und das passt nicht mehr in die Zeit. Volle Dröhnung ist out. Heute zählt Qualität, nicht Schwips. „In den 90er-Jahren waren 14,5 Volumenprozent Alkohol top“, sagt Kusterer. „Heute kauft einem das keiner mehr ab.“

Bei feuchtwarmem Klima klingeln die Alarmglocken

Außerdem habe „niemand damit gerechnet, dass es nach dem Regen noch einmal so warm wird“. Bei Weingärtnern klingeln da Alarmglocken. Die Trauben werden von der Kirschessigfliege befallen, der das feuchtwarme Klima besonders gefällt. Oder vom Botrytis-Pilz, der sich an aufgeplatzten Beeren ausbreitet. „Da wir nur Handlese machen, wissen wir, wie viel Sortieraufwand das bedeutet. Würden wir jetzt mit der Lese noch abwarten, müssten wir zwei Drittel wegschmeißen.“

Die Menge ist mäßig, aber die Güte hoch: Maximilian Kusterer freut sich auf den Jahrgang 2025. Foto: Roberto Bulgrin

„Der Riesling – traditionell zusammen mit dem Trollinger der letzte im Lesekreis – macht trotz aller Kalenderkonfusion auch diesmal das Finale. „Früher wäre er jetzt vielleicht bei 75 Grad Oechsle gewesen“, schätzt Kusterer. „Dann hätten wir gesagt: Wir warten noch eine Woche ab. Dieses Jahr aber dürfte er schon 85 bis 90 Grad haben.“ Grund für all das, so der Fachmann, ist die Klimaerwärmung: Das Jahr 2025 war bis jetzt – verglichen mit dem langjährigen Mittel und im Einklang mit der klimatischen Entwicklung seit der Jahrtausendwende – „zu heiß und zu trocken“. Tatsächlich? Gab es nicht die Regenperiode mitten im Hochsommer und in den vergangenen Wochen? Hat man nicht etliche Tage gefröstelt? Ist vielleicht doch nichts dran am Klimawandel?

Heißer und trockener

„Das ist eine Wahrnehmungsfrage“, sagt Kusterer. „Wer den ganzen Tag im Büro sitzt, kriegt nur mit, dass es vielleicht mal schüttet. Aber die Landwirte und wir Wengerter, die immer draußen sind, merken, was sich verändert.“ Nämlich: Im Frühjahr und Sommer sinkt die Gesamtniederschlagsmenge, steigt die Durchschnittstemperatur.

Besonders der extrem heiße und trockene Mai und Juni habe dieses Jahr dem Wein zugesetzt, sagt Maximilian Kusterer. Zwar seien Reben Tiefwurzler, aber in den Esslinger Anbauflächen sei die Erdschicht über dem Stubensandstein nicht allzu üppig. „In den Terrassenweinbergen kommt nach anderthalb oder zwei Metern Bodenauflage schon Fels.“ Da schwindet das Feuchtigkeitsreservoir, und zudem ist gerade der Frühsommer die Hauptwachstumsphase für die Reben: „Da brauchen die Pflanzen ausreichend Wasser.“

In den Steil- und Terrassenlagen sei denn auch der Ertrag – nicht die Qualität – in diesem Jahr bescheiden, „und das bei einem vier- bis fünfmal so großen Arbeitsaufwand“, erklärt Kusterer. Sechs Hektar bewirtschaftet sein Betrieb, drei davon zählen zum arbeitsintensiven, aber landschaftstypischen Terrain.

Insgesamt rechnet der Wengerter, einer der selbstständigen Erzeuger in Esslingen, mit einem Jahrgang der mittleren Menge und der hohen Güte. Was ins Bild der Marktsituation passt. Mehr denn je zählt Klasse statt Masse, zumindest im gehobenen Preissegment, in dem Kusterer unterwegs ist. „Wir haben keine Absatzprobleme“, versichert er, „aber insgesamt ist der Markt schwierig geworden.“ Der Weinkonsum geht zurück, die Kosten steigen. Selbst im Bordelais rund um Bordeaux, dem größten Qualitätsweinbaugebiet der Welt, werden laut Kusterer Prämien für den Rückbau von Rebflächen gezahlt. In Württemberg erwartet er einen Schrumpfprozess um rund ein Drittel der Flächen.

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