Experte über hybrides Arbeiten „Wer die Freiheit des Homeoffice hatte, gibt sie ungern wieder her“

Seit der Corona-Pandemie kein normales Bild mehr: Ein gut gefülltes Großraumbüro. Foto: Imago/Zoonar

Mercedes, Google, Amazon – viele Konzerne fordern die Rückkehr ins Büro. Was Führungskräfte jetzt beachten sollten, erklärt Leadership-Professor Stephan Böhm von der Uni St. Gallen.

Automobilwirtschaft/Maschinenbau : Veronika Kanzler (kan)

Während der Corona-Pandemie wurde das Homeoffice für viele Beschäftigte zur neuen Normalität – und zur geschätzten Freiheit. Nun, einige Jahre später, plädieren Manager vieler Unternehmen wieder dafür, dass Mitarbeiter häufiger präsent sind. Doch wie gelingt die Rückkehr, ohne Motivation und Teamgeist zu gefährden? Professor Stephan Böhm von der Universität St. Gallen erklärt, welche Kardinalfehler Unternehmen bei der Gestaltung hybrider Arbeitsmodelle vermeiden sollten, um die Motivation der Mitarbeiter nicht zu gefährden und die Zusammenarbeit erfolgreich zu gestalten.

 

Herr Böhm, viele Unternehmen wollen die Leute zurückholen. Erst kürzlich wiederholte Mercedes-Chef Ola Källenius seinen Appell an die Mitarbeiter, öfters im Büro zu sein. Was ist der größte Fehler, den sie dabei machen können?

Der größte Fehler ist, es von oben zu indoktrinieren: ‚Ihr müsst jetzt alle zurück ins Büro.‘ Das erzeugt Widerstand. Wir wissen aus der Sozialpsychologie: Verluste wiegen stärker als Gewinne. Wer einmal die Freiheit des Homeoffice hatte, gibt sie ungern wieder her. Deshalb sollten Unternehmen Leitplanken setzen, aber die Feinsteuerung den Teams überlassen.

Wie sieht so eine Feinsteuerung konkret aus?

Wir nennen das Team-Charta. Die Idee: Teams legen selbst fest, wie sie hybride Arbeit gestalten. Bei Audi haben wir das experimentell getestet. Wir haben ihnen keine Vorgaben gemacht, sondern nur gesagt: Klärt diese Punkte – Präsenz, Kommunikation, Konfliktlösung. Die Teams, die das für sich erarbeitet haben, waren deutlich zufriedener und produktiver.

Was passiert, wenn Präsenz im Team ungleich verteilt ist?

Das ist demotivierend. Man kann nicht spontan sprechen und die Vorteile der Präsenz verpuffen. Hinzu kommt, dass das Gefühl der Zugehörigkeit im Homeoffice sinkt. Und das kann negative Spiralen auslösen: Weniger Einbindung führt zu noch weniger Präsenz. Das betrifft nicht nur die Stimmung, sondern auch die Innovationskraft. Studien zeigen: Innerhalb von Teams bleibt die Kommunikation weitestgehend stabil, aber über Teamgrenzen hinweg bricht sie ein. Und genau dort entsteht oft Innovation.

Stephan Böhm, Jahrgang 1978, ist Professor für Diversity Management und Leadership und forscht unter anderem zum Thema hybrides Arbeiten. Foto: Universität St. Gallen

Warum ist die Präsenz von Führungskräften so entscheidend?

Was oben vorgelebt wird, setzt sich unten fort. Wenn die Geschäftsleitung Präsenz zeigt, orientieren sich die unteren Ebenen daran. Und umgekehrt: wenn Führungskräfte selbst kaum im Büro sind, wird es schwierig, eine Kultur der Zusammenarbeit zu etablieren. Bei außer-tariflichen Führungskräften kann man zudem klarere Ansagen machen. Und viele wissen: Wenn sie auf bis zu 100 Prozent Homeoffice beharren, wird das ihrer Karriere nicht zuträglich sein.

Manche Führungskräfte sorgen sich, dass ihre Mitarbeiter im Homeoffice das Arbeiten vernachlässigen.

Die Angst, dass Mitarbeiter im Homeoffice nichts mehr tun, ist unbegründet. Sie können auch im Büro nicht kontrollieren, ob jemand arbeitet oder nur surft. Eine Kultur, die Freiheit gewährt, schafft im Gegenzug Loyalität und Motivation. Die Extrameile wird eher gegangen, wenn man Flexibilität erhält – vorausgesetzt, die Aufgabe erlaubt es.

Und was raten Sie Führungskräften, die mit Widerstand kämpfen?

Wenn jemand komplett nicht mitzieht, würde ich das als ein tiefer liegendes, zwischenmenschliches Problem betrachten, das über das Homeoffice hinausgeht. Solche Mitarbeitende würden wahrscheinlich auch in anderen Bereichen Probleme bereiten. Es geht dann darum, das eigene Selbstverständnis der Person und deren Beitrag zum Team aktiv anzusprechen. Ein funktionierendes Team braucht eine Mentalität der gegenseitigen Unterstützung und des gemeinsamen Verständnisses. Wenn dies fehlt, besteht oft ein grundlegendes Führungsproblem.

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