In Sindelfingen steht die hochmoderne Factory 56, in der die Top-Modelle des Konzerns gebaut werden. Nun aber hat sie große Überkapazitäten. Foto: picture alliance/dpa/Bernd Weißbrod
Ausgerechnet die teuren, renditestarken Autos machen Mercedes nun zu schaffen. Die Krise auf dem China-Markt schlägt nun voll in der Region durch. Ist das eine Delle oder der Beginn einer Trendwende?
Mercedes hat 730 Millionen Euro in die hochmoderne Fabrik Factory 56 investiert, in der seit vier Jahren die Top-Modelle des Unternehmens gebaut werden. Nun wird dort die Produktion strukturell gekürzt, indem das Werk im vierten Quartal in den Einschichtbetrieb geht. Damit setzt Mercedes nun die Ankündigung aus dem Sommer um, mit der man auf die unerwartet heftigen Absatzeinbußen bei den Luxusfahrzeugen reagierte. Dies bestätigte das Unternehmen unserer Zeitung.
Sindelfingen ist das Vorzeigewerk von Mercedes. Dort empfing das Unternehmen vor einigen Monaten auch den Bundeskanzler. /Stefanie Schlecht
Die Änderung werde keine negativen Auswirkungen auf die Arbeitsplätze der Stammbelegschaft haben; die Produktion in Halle 46, wo die E-Klasse und der GLC hergestellt werden, soll im Dreischichtbetrieb bleiben.
Luxusautos verkaufen sich schlechter
Der Verkauf der Luxusautos hat sich seit der Ankündigung im Juli noch ungünstiger entwickelt als erwartet. Mercedes musste eine Gewinnwarnung ausgeben und rechnet nun mit einem der deutlichen Rückgang der Verkäufe von Luxusautos und der Rendite. Das Unternehmen hatte gehofft, sich den Schwierigkeiten in China, dem wichtigsten Markt, weitgehend entziehen zu können. Nun räumte Konzernchef Ola Källenius ein, dass diese Erwartungen enttäuscht wurden.
Die Folgen der Absatzschwäche treffen besonders die Region Stuttgart, wo die teuersten Modelle produziert werden. Die Factory 56, die erst vor vier Jahren eröffnet wurde, spielt eine zentrale Rolle im Mercedes-Produktionsnetzwerk. Dort werden die S-Klasse (Verbrenner und Hybrid) sowie das vollelektrische Flaggschiff EQS gebaut. Keinem anderen Werk im globalen Produktionsnetzwerk vertraut Mercedes die Fertigung dieser beiden Modelle an der Spitze der Preispyramide an.
Vom Stabilitätsanker zum Unsicherheitsfaktor?
Seit Jahrzehnten ist die S-Klasse der wohl bedeutendste Renditebringer und damit ein Garant für das herausragende Prestige des Produktionsstandorts Region Stuttgart. Nun droht das Top-Segment für Mercedes vom Erfolgsgaranten zum Unsicherheitsfaktor zu werden. Zwischen April und Juni dieses Jahres schrumpfte dieses Segment, zu dem auch die im Werk Tuscaloosa (US-Bundesstaat Alabama) produzierten Modelle EQS SUV und GLS gehören, um fast ein Viertel.
Noch ist unklar, ob dieser Rückgang eine konjunkturelle Delle ist oder der Vorbote einer Trendwende, in deren Zuge Mercedes seine dominante Stellung im globalen Luxussegment einbüßt. Schon jetzt ist klar erkennbar, dass es bisher nicht gelungen ist, die starke Position beim Verbrenner auf die E-Mobilität zu übertragen. Denn der EQS made in Sindelfingen, der den Konzern zu einem führenden Anbieter vollelektrischer Luxusmodelle machen sollte und das vor allem auf dem dominierenden Markt China, ist nur schwer verkäuflich.
Verkäufe teilweise in homoöpathischen Dosen
Genaue Angaben über den Absatz einzelner Modelle macht Mercedes nicht, schon gar nicht bezogen auf einzelne Märkte. Es gibt allerdings Indikatoren, die Anlass zur Sorge geben. So wertet der Datendienst Marklines in China Versicherungsdaten aus und kommt laut „Handelsblatt“ zu dem Schluss, dass Mercedes zwischen Januar und Juli dieses Jahres in China gerade einmal 663 Fahrzeuge dieses Modells absetzen konnte. Von den zwei Millionen Autos, die jeden Monat auf dem größten Markt der Welt verkauft werden, entfallen auf das E-Flaggschiff von Mercedes somit weniger als hundert Stück. Ein derart homöopathischer Marktanteil lässt sich kaum noch mit der Luxusstrategie erklären. Einige Veränderungen sollen das Modell nun in China beliebter machen.
Die S-Klasse mit Verbrenner sorgte bislang für gute Verkaufszahlen, doch auch ihr Absatz sinkt. Mercedes begründet die Gewinnwarnung damit, dass die wirtschaftliche Schwäche auch das obere Segment in China betrifft. Diese Situation betrifft wohlhabende Käufer, die in den kriselnden Immobilienmarkt investiert haben und nun Verluste hinnehmen müssen. Auch andere Hersteller wie Porsche leiden unter den ungeahnten wirtschaftlichen Sorgen der chinesischen Oberschichtkunden, insbesondere bei elektrischen Modellen wie dem Taycan.
Delle oder Trendwende – das ist die Frage
Dass mit einem anziehende Konjunktur die alte komfortable Lage zurückkehrt, ist aber mehr als fraglich. Denn die stürmische Elektrifizierung auf dem chinesischen Massenmarkt erreicht zunehmend auch das Luxussegment. Die Innovationskraft der Chinesen auf ihrem Heimatmarkt ist immens, seit China durch die Ansiedlung von Tesla in Shanghai einen Hecht in den dortigen Karpfenteich gesetzt und einen unerbittlichen Wettbewerb in Gang gebracht hat. Hersteller wie Xiaomi und Nio machen zunehmend auch durch technologisch hoch gezüchtete, zunehmend komfortable Fahrzeuge von sich reden, die nur einen Bruchteil deutscher Luxusautos kosten. Viele der weit über hundert Hersteller werden wieder verschwinden – aber diejenigen, die überleben, werden extrem wettbewerbsfähig sein.
Hoffnungsträger aus der Kompaktklasse
Der vollelektrische Kompaktwagen CLA, der im nächsten an den Start geht, kommt Mercedes in dieser Situation mehr als gelegen. Er ist mit neusten Technologien vollgepumpt und kommt mit seiner Reichweite dem mehrere Klassen höher angesiedelten EQS schon sehr nahe. Nach dem bisherigen Flop des EQS würde ein Erfolg des CLA dem Konzern und seinem Chef sehr helfen. Gebaut wird er allerdings in Rastatt, später auch in den Werken Peking und Kecskemet (Ungarn). Um zu verhindern, dass die Factory 56 auch im nächsten Jahr noch 16 Stunden am Tag stillsteht, muss Mercedes sich auch im Top-Segment behaupten.
* Transparenzhinweis: In dieser Version wird klargestellt, dass die Modelle EQS SUV und GLS in den USA produziert werden.