Bittere Lügen und wahre Gefühle: Das Alte Schauspielhaus zeigt „Gefährliche Liebschaften“ in großer Plüschlandschaft.
Nein, sagt die Marquise de Merteuil, Verrat sei nicht länger ihr Lieblingswort – sie weiß ein besseres: „Grausamkeit! Das ist um eine Nuance vornehmer!“ Die adlige Dame sinnt auf Rache an einem Liebhaber, der sie verschmähte. Also bewegt die Marquise den Vicomte de Valmont dazu, die junge und unschuldige Cécile de Volanges zu verführen, eine Klosterschülerin, die eben diesem Liebhaber als Frau versprochen ist. Dem Vicomte ist das nicht genug: Als zynischer Sammler weiblicher Herzen möchte er auch noch die tugendhafte und zudem verheiratete Madame de Tourvel erobern. Sollte es ihm gelingen, verspricht die Marquise des Nerteuil ihm eine Nacht.
Pierre-Ambroise Francois Choderlos de Laclos Roman „Gefährliche Liebschaften“, einstmals ein Skandal, ist heute ein Klassiker – nicht nur, weil er eine hochmoralische Geschichte von dekadenten Aristokraten erzählt, die sich in ihren eigenen Netzen verfangen. Der abgründige Historienthriller um Sex und Macht erzählt auch von allgemeinmenschlichen Dingen, von Oberflächlichkeit und verleugneten wahren Gefühlen. Heiner Müller verwendete „Gefährliche Liebschaften“ 1980 als Vorlage für „Quartett“, eine Studie auch um Sprache und Macht; Christopher Hampton arbeitete den Briefroman 1985 um zum Bühnenstück für die Royal Shakespeare Company, das auch als Vorlage für Stephen Frears Film von 1989 diente.
Das Alte Schauspielhaus spielt das Stück in der Übersetzung von Alissa und Martin Walser und holt sein Publikum hinein ins eiskalte und hitzige Geschehen mit einem Bühnenbild, das aristokratischen Überfluss und dekadente Erotik ineinander blendet: Leif-Erik Heine schuf eine übergroße Sofalandschaft, die die Bühne ganz beherrscht. Die beigen Polster türmen sich in die Höhe, von Ornamenten durchzogen wie von Spinnennetzen, in ständig neuer Anordnung. Sie sind Wände, Nischen, Hochplateaus.
Ulrich Wiggers hat das Stück mit prunkvoller Doppelbödigkeit inszeniert: Die Szenen, in denen der Vicomte de Valmont sich bemüht, Madame de Tourvel zu verführen, wirken wie Szenen einer schmachtvollen Leinwandromanze. Sven Mattke spielt Valmont extrovertiert; Natalie O’Hara als Madame de Tourvel wirkt aufrichtig, scheu und verletzlich – und Eva Gerngroß, die Klosterschülerin Cécile, wandelt sich, erst einmal verführt, in eine vergnügte Gespielin, ganz überzeugt davon, ihr künftiger Gatte werde ihre sexuelle Erfahrung zu schätzen wissen. Annette Mayer ist Madame de Volanges, die besorgte Mutter der Schülerin, und Gideon Rapp geistert als Diener Azolan wie ein spöttischer Beobachter durchs verwerfliche Geschehen. Lisa Wildmann schließlich spielt die Marquise. Sie erlitt kurz vor der Premiere einen Unfall, tritt auf mit Gehstock, lässt dies jedoch ganz vergessen. Sie ist zumeist in rauschend gelbem Kleid zu sehen, sehr vornehm, bitter, distanziert und spöttisch.
Valmont will es sich nicht eingestehen, aber er liebt die Madame de Tourvel. Er stößt sie von sich, sie zerbricht. Die Marquise de Merteuil will Valmont nicht verzeihen, dass er sich in eine andere verliebte und verweigert ihm die versprochene Nacht. Valmont stürzt sich ins Duell mit dem Chevalier Danceny (Benedikt Haefner) – es klirren die Degen, plötzlich sinkt Valmont getroffen nieder und bittet Danceny im letzten Atemzug, die Intrige zu offenbaren. Das Spiel mit der Liebe lässt nur Gebrochene zurück – und doch ruft die Marquise zuletzt noch bitter: „Wir machen weiter, mit unserem Spiel!“
Gefährliche Liebschaften. Bis 19.10., die nächsten Termine: 18. bis 20.9., jeweils 20 Uhr