Der Mensch ist ein chemischer Baukasten. Das Baumaterial, jedes Atom, aus dem er sich zusammensetzt, war einmal Teil eines Sterns. Der kosmische Tod ist die Quelle allen Seins und menschlichen Lebens. Eine Entdeckungsreise zu den Quellen des Universums.

Wochenend-Magazin: Markus Brauer (mb)

Wer sind wir? Woher kommen wir? Wohin gehen wir? Was ist der Sinn unseres Daseins? Seit der Mensch begann sich seiner selbst und der Welt bewusst zu werden, stellt er diese fundamentalsten aller Fragen. Der Moment, an dem er dies zum ersten Mal tat, liegt weit zurück in seiner Evolution. Es war der entscheidende Schritt vom Überleben zum Leben, vom Sein zum Dasein, vom Vegetieren zum Existieren.

 

Was ist der Mensch?

Unser Körper besteht überwiegend aus Wasser, Eiweißen, Fetten und Mineralstoffen – Substanzklassen, die sich wiederum aus chemischen Elementen zusammensetzen. Mit 56 Prozent bringt Sauerstoff das meiste Gewicht auf die Waage, gefolgt von Kohlenstoff (28 Prozent), Wasserstoff (zehn Prozent) und Stickstoff (zwei Prozent) und Calcium (1,5 Prozent).

Hinzu kommen Spuren von Chlor, Phosphor, Kalium, Schwefel, Natrium und Magnesium – insgesamt 21 chemische Elemente, die für den menschlichen Organismus von zentraler Bedeutung sind.

Demokrit und der atomistische Materialismus

Doch woher stammen all diese Elemente? Der griechische Naturphilosoph Demokrit hatte im fünften Jahrhundert v. Chr. einen genialen Einfall. Er postulierte, dass die gesamte Natur aus kleinen, unteilbaren Einheiten besteht, die er Atome nannte. „Nur scheinbar hat ein Ding eine Farbe, nur scheinbar ist es süß oder bitter; in Wirklichkeit gibt es nur Atome im leeren Raum.“ Damit war die Idee des atomistischen Materialismus geboren.

Heute wissen wir: Es gibt noch etwas jenseits der Atome. Auch diese Teilchen sidn wiederum zusammengesetzt und teilbar. Jedes Atom besteht aus einer Hülle mit negativ geladenen Elektronen und einem Kern aus positiv geladenen Protonen. Masse und Energie sind es, die Materie ausmachen und sie zum Dasein erwecken. Die Anzahl der Protonen im atomaren Kern bestimmt, um welches sämtliche Elemente des Periodensystem es sich handelt.

Woher kommt das Sein?

Damit wäre geklärt, woraus der Mensch besteht. Doch noch ist die Frage offen, woher diese Bausteine kommen. Sie können ja nicht vom Himmel gefallen sein. Oder vielleicht doch? Ist es möglich, dass der Mensch, Tiere und Pflanzen, alles belebtes und unbelebtes Sein auf der Erde, in unserem Sonnensystem und im Universum aus ein und derselben Quelle stammt? Eine Urquelle des Seins – ähnlich dem Urknall?

Geburt des Universums aus Sternenstaub

Im Song „Stardust“ der amerikanischen Kult-Band Crosby Stills, Nash & Young heißt es: „We are stardust, we are egolden. We are billion year old carbon“ – „Wir sind Sternenstaub, wir sind golden. Wir sind Milliardenjahre alter Kohlenstoff.“

Hinter dieser legendären Woodstock-Lyrics von 1969 verbirgt sich eine ungeheure Wahrheit. Martin Rees, britischer Hofastronom und Professor für Kosmologie und Astrophysik an der britischen Universität Cambridge umschreibt sie so: „Die Menschen sind stellarer Atommüll.“ Die Sterne seien uns viel näher, als die Menschen jemals dachten. „Mit sämtlichen Menschen, die je gelebt haben, teilen wir denselben Blick auf die Sterne. Und schließlich sind wir selbst Sternenstaub.“

Supermassives Schwarzes Loch Foto: Imago/Zuma Wir/e
Galaxienhaufen Foto: Imago//Wirestock
Spiralgalaxie Foto: Imago//Wirestock
Verschmelzung zweier Quasare Foto: Imago/Cover Image/s

Was geschah beim Big Bang?

Um diesen Satz zu verstehen, muss man weit in die Entstehungsgeschichte des Kosmos zurückgehen – genau genommen bis zum Urknall, dem „Big Bang“ vorr und 13,7 Milliarden Jahren. Eine Sekunde nach dem Urknall gab es bereits die ersten kosmischen Bausteine. In einem Meer aus energiereichen Strahlungsteilchen (Photonen) schwammen Protonen, Neutronen und Elektronen wie in einer kosmischen Ursuppe.

Wenige Minuten nach der Geburt des Weltalls bildeten sich in der sogenannten primordialen Nukleosynthese die ersten Atomkerne aus Helium und Wasserstoff. Sie machen den größten Teil der Materie aus.Aus ihrer Fusion sind alle weiteren, schwereren Elemente entstanden.

Aus den beim Urknall entstandenen Wasserstoff- und Helium-Gaswolken bildeten sich durch Anziehungskräfte gasförmige Riesen – die ersten Sterne. In den kosmischen Kraftwerken entstanden durch gewaltige Fusionsprozesse immer größere und schwerere Elemente wie Kohlenstoff, Silizium und Sauerstoff. Dieser entsteht, wenn Kohlenstoff mit Helium verschmilzt.

Supernovas – Untergang und Neugeburt

Damit Eisen, Uran und andere schwere Elemente erbrütet werden können, bedarf es ungeheurer Energien und Millionen von Grad Celsius, wie sie nur in massereichen Sternen existieren. Wie in einem gigantischen Heizkessel werden in ihrem Innern Wasserstoff und Helium verbrannt.

Am Ende seiner Lebenszeit wird ein Stern zur Supernova und explodiert. Seine Leuchtkraft nimmt dabei millionen- bis milliardenfach zu, so dass er für kurze Zeit so hell strahlt wie eine ganze Galaxie.

Die Überreste der Supernova bilden mitsamt Sternenhülle und erbrüteten Elementen einen planetarischen Nebel aus größeren und kleineren Objekten bis hin zu Staubpartikeln von Atomgröße, die durch das Weltall wabern. Auf ihrer Reise durch das Universumtreffen die stellaren Relikte auf die Reste anderer Sternenexplosionen.

All dieses Material bildet eine kosmische Fabrik, die neue Himmelskörper produziert. Verfolgt man diese Metamorphose weiter, landet man irgendwann bei jedwedem Objekt im Universum und schließlich beim Menschen.

Vom Sternenstaub zum ersten Leben

Die spezifische chemische Zusammensetzung macht aus Sternenstaub einen Diamanten, Stein oder eine Pflanze, ein Bakterium, Insekt oder einen „Homo sapiens“. Die Zellen unseres Körpers, der Sauerstoff, den wir atmen, der Kohlenstoff und Stickstoff in unserem Gewebe, das Calcium in unseren Knochen – alles stammt aus Sternenmaterial, das vor vielen Milliarden Jahren produziert wurde und weiter generiert wird.

Jedes Element auf der Erde stamme aus geologischen Gestein, erklärt der Paläoklimatologe Frank Sirocko vom Institut für Geowissenschaften der Universität Mainz. Die Bausteine würden im Boden verwittern und von der Atmosphäre aufgesaugt, sie fänden sich in Pflanzen und Tieren, die dem Menschen als Nahrung dienen. „So kommen diese Elemente über die Luft und über unsere Nahrung in unseren Körper.“

„Panta rhei“ – der ewige Fluss des Seins

Kein einziges Atom im Weltall geht jemals verloren. Aus dem, was war, was ist und was jemals sein wird, entsteht im ewigen Kreislauf des Werdens, Vergehens und Neuwerdens neue Materie. Alles wird recycelt und als kosmisches Baumaterial in den Kreislauf der Natur zurückgeführt. Der griechische Philosoph Heraklit (520-460 v. Chr.) hat diese ewige Metamorphose in einer berühmten Formel zusammengefasst: „Panta rhei“ – „Alles fließt“.

Heraklit vergleicht das Sein mit einem Fluss: „Wer in denselben Fluss steigt, dem fließt anderes und wieder anderes Wasser zu.“ – „Wir steigen in denselben Fluss und doch nicht in denselben, wir sind es und wir sind es nicht.“ – „Man kann nicht zweimal in denselben Fluss steigen.“

Dieser ewige Kreislauf wird erst enden, wenn das Weltall seine maximale Ausdehnung erreicht und in sich zusammenstürzt. Möglicherweise wird es dann wieder von vorne losgehen – in einer Endlosschleife aus Werden und Vergehen .

Eagle Nebula Foto: Imago//Panther Media
Tarantula Nebel Foto: Imago//Wirestock
Tarantula Nebel. Foto: Imago//Cover Images
Sternenhimmel Foto: Imago/W/irestock

Astronomie und Schöpfungsglaube

Der Gedanke, dass wir aus Staub gemacht sind und wieder zu Staub werden, hat viele Dichter, Philosophen und Theologen inspiriert. Anders als Naturwissenschaftler nähern sie sich dem Thema nicht faktenorientiert und empirisch, sondern betrachten es aus dem Fokus der Poesie, der Mystik und des Glaubens.

In seinem Gedicht „Wir sind Sternenstaub“ schreibt der nicaraguanische Poet und Priester Ernesto Cardenal (1925-2020):

„Alle Elemente unseres Körpers und des Planeten waren im Innern eines Planeten, waren im Innern eines Sterns. Wir sind Sternenstaub . . . Unser Fleisch und unsere Knochen kommen von anderen Sternen, vielleicht sogar aus anderen Galaxien, wir sind universal. Und nach unserem Tod, werden wir andere Sterne bilden helfen und andere Galaxien. Von den Sternen stammen wir, zu ihnen kehren wir wieder zurück.“

Nordlichter über Hornafjörður auf Island Foto: Imago//Image Broker
Eagle Nebula Foto: Imago//Design Pics
Milchstraße Foto: Iamgo/Wirestock
Die Erde Foto: Imago/Panther/ Media

„Du bist Staub und kehrst wieder zum Staub zurück“

Im biblischen Buch Genesis wird dieser Gedanke in der Erzählung vom Sündenfall im Licht des Glaubsn aufgegriffen. Nachdem Adam und Eva verbotenerweise vom Baum der Erkenntnis genascht haben, zürnt Gott seinen Geschöpfen. Er lässt sie von seinem Engel aus dem Paradies vertreiben und spricht zu Adam: „Im Schweiße deines Angesichtes sollst du dein Brot essen, bis dass du wieder zur Erde kehrst, von der du genommen bist; denn du bist Staub und kehrst wieder zum Staub zurück.“ (Kapitel 1, Vers 19).

Auch in der katholischen Liturgie taucht dieses Thema auf. Im Aschermittwoch-Gottesdienst besprengt der Priester die Asche, die aus verbrannten Palmzweigen des Vorjahres gewonnen wurde, mit Weihwasser und zeichnet den Gläubigen ein Aschekreuz auf die Stirn. Dazu spricht er die Worte:

„Bedenke Mensch, dass Du Staub bist und wieder zum Staub zurückkehren wirst.“