Mitten in der Reutlinger Innenstadt gibt es Glaskunst aus der ältesten Glasbrennerei der Welt zu kaufen. Die Geschichte dahinter ist außergewöhnlich.

Baden-Württemberg: Eberhard Wein (kew)

Dickbauchige Vasen, langhalsige Karaffen, kleine Trinkbecher – mal aus blauem, mal aus grünem, mal aus braunem Glas – stehen hübsch drapiert in einem alteingesessenen Teppichgeschäft in der Reutlinger Innenstadt. Die Glasgefäße mit ihren Schlieren und den eingeschlossenen Luftbläschen, die in der Sonne schimmern wie die Sterne aus 1001 Nacht, entstammen einer anderen Welt.

 

In Herat, einer Großstadt in Afghanistan, ist das Glas nach einer fast 3000 Jahre alten Technik geblasen worden. Und nur eine einzige Familie soll sich noch darauf verstehen. Es sind Nasrullah Faisi, sein Neffe und seine Söhne. In den verwinkelten Gassen der aus Lehmbauten bestehenden Stadt betreiben sie die letzten beiden Öfen.

Eigentlich ist es ein Wunder, dass die Ware überhaupt heil im Schwäbischen angekommen ist. Doch Klaus-Jürgen Schulz hat starke Nerven. Der 81-Jährige sieht mit Krawatte und Halbrahmenbrille aus, wie ein schwäbischer Kaufmann aussehen muss. Doch früher ist er selbst ungezählte Male im Orient und auch in Afghanistan gewesen, mit dem obligatorischen langen Bart und immer auf der Suche nach besonderer Ware. Heute, im fortgeschrittenen Alter, spart er sich solche Ausflüge ins Ungewisse. Für Abenteuer ist er aber noch zu haben.

Nasrullahs Öfen werden kalt

Es ist ein knappes Jahr her, da kam die erste Charge mit 1400 Glasobjekten an. Vermittelt hat die Lieferung Wolfgang Bauer. Der Reutlinger Journalist, der für die Wochenzeitung „Zeit“ an die Krisenherde der Welt reist und für seine Reportagen schon zahlreiche Preise gewann, war vor Jahren in Kabul auf die archaischen Glasgefäße aufmerksam geworden. Vor allem bei den Mitarbeitern westlicher Hilfsorganisationen waren sie ein beliebtes Andenken. Doch nach dem Abzug der internationalen Allianz und der Rückkehr der Taliban brach der Markt zusammen. Denn die Afghanen selbst bevorzugen längst die widerstandsfähigere Industrieware.

Doch Bauer ging der Sache auf den Grund. Seine Nachforschungen führten ihn bis nach Herat und zu Nasrullahs Öfen. Er wurde Zeuge, wie die Glasbläser bei mörderischer Hitze ihrem Handwerk nachgehen – mit Schlachtermesser und Glaspfeifen, die sie aus alten Gewehrläufen herstellen. Die blaue Farbe gewinnen sie aus Kupferkabeln, die grüne aus abgekochtem Eisenschrott, die braune aus alten Pillenfläschchen.

Das Geld kommt per Money Cash

Doch die Öfen drohten kalt zu fallen, das uralte Handwerk, das seine Wurzeln vor 2700 Jahren in Mesopotamien haben soll, drohte in Vergessenheit zu geraten. Für Bauer war klar: für diese wunderschönen Produkte gibt es einen Markt. Wenn es gelänge, das Glas nach Deutschland zu exportieren, wäre dies Hilfe zur Selbsthilfe und ein Zeichen der Hoffnung. Nur der Weg dorthin war weit und äußerst steinig.

Während Klaus-Jürgen Schulz per Money Cash eine erste Anzahlung überwies, musste in Herat zunächst die Ware bruchsicher verpackt werden. Dafür ließ Nasrullah Metalltruhen anfertigen. Sie sind beschlagen und verziert und selbst fast schon Kunstwerke. In Rikschas wurde die zerbrechliche Ware dann zum örtlichen Busbahnhof transportiert. Von dort fahren Überlandbusse aus den 1960er Jahren, die zu alt für den Personenverkehr sind, mit allerlei Waren nach Kabul.

Auspacken wie an Weihnachten

Über Dubai sollten die Kisten ausgeflogen werden, doch zunächst brauchte es ein zuverlässiges Cargo-Unternehmen. „Wir wollten verhindern, dass jemand Drogen hinein schmuggelt.“ Probleme gab es dann bei der Zwischenlandung, weil ein Unwetter in dem Wüstenstaat den Flugplatz mitsamt der afghanischen Metalltruhen unter Wasser setzte.

Das Auspacken sei ein wenig wie Weihnachten gewesen, erinnert sich Stefanie Schulz, die Tochter des Chefs. Bei der ersten Lieferung habe es noch viel Bruch gegeben, bei der zweiten kaum noch. Demnächst soll die dritte Bestellung rausgehen. Das meiste sei verkauft: 40 Euro für ein Schälchen, 50 Euro für ein zweifarbiges Glas, 110 Euro für eine große Karaffe, 80 Euro für eine Truhe.

Gerade hat ein Ehepaar auf der Durchreise von ihrem Urlaubsort Österreich zurück nach Berlin Station in der Reutlinger „Teppich-Etage“ gemacht. „Wir haben das gesehen und wollten es unbedingt zu Hause haben“, sagt Uta Korneli (65). Extra haben sie sich eine Vitrine zugelegt. Jetzt besorgt sich das Paar schon die zweite Charge: als Weihnachtsgeschenk für gute Freunde.