Einflussreiche Menschen wie Elon Musk kritisieren die wachsende Bedeutung von Empathie. Schwachsinn, kommentiert Redakteur Emanuel Hege. Die Ereignisse im Kreis Ludwigsburg zeigen, dass wir viel mehr einen riesigen Nachholbedarf haben.

Ludwigsburg : Emanuel Hege (ehe)

„Die grundlegende Schwäche der westlichen Zivilisation ist Empathie“, sagte Tesla-Chef und Trumps Tech-Bro Elon Musk vor drei Wochen in einem US-Podcast. Er warnt vor zivilisatorischem Selbstmord durch zu viel Mitgefühl. Man könnte das als Geschwafel eines größenwahnsinnigen Milliardärs abtun. Doch auch ​der US-Psychologe Paul Bloom setzt sich kritisch mit Empathie auseinander.

 

Bloom argumentiert, Mitgefühl sei kurzsichtig, erschöpfend, unzuverlässig. Es richte sich nur auf jene, die uns ähnlich sind, und führe zu emotionalen statt rationalen Entscheidungen. Musk und Bloom fordern, Empathie zu zügeln – als wäre sie ein Luxus, den wir uns kaum noch leisten könnten.

Fehlende Verantwortung

Doch wer auf die Woche im Landkreis Ludwigsburg zurückblickt, sieht nicht zu viel Empathie – sondern was passiert, wenn sie fehlt. Am Donnerstag vergangener Woche starben keine acht Kilometer voneinander entfernt drei Frauen – und weshalb? Wegen Leichtsinn, Überheblichkeit, Gleichgültigkeit und Verantwortungslosigkeit. Eine Gesellschaft, in der täglich zwei Frauen ermordet und zwei Menschen durch Raserei getötet werden, leidet nicht an zu viel Mitgefühl, sondern an zu wenig.

Die Rasertötung zweier Möglingerinnen und der mutmaßliche Frauenmord in Remseck scheinen zunächst unverbunden, wurzeln aber in denselben Missständen: einem enthemmten Individualismus, in dem emotionale Bindungen zu Menschen außerhalb des eigenen Umfelds verblassen. Es fehlt an Verantwortungsgefühl für die Gesellschaft. Zudem zeigt sich ein Männlichkeitsbild, das sich über andere erhebt, Risiken ignoriert, sich nimmt, was es will – selbst, wenn es Leben kostet.

Doch die Woche im Landkreis gibt auch Hoffnung. Bürgermeister reagierten mit Trauerbekundungen und verurteilten die Rücksichtslosigkeit. Die Fußballer des TV Möglingen spielten mit Trauerflor, der TV Aldingen sammelt Spenden für die hinterbliebenen Söhne der zerstörten Familie.

Empathie ist keine Schwäche

Ein Angehöriger eines Unfallopfers trat an die Öffentlichkeit und forderte ein Umdenken: Behörden und Gesellschaft müssten die Gefahr durch das Rasen endlich ernst nehmen. Am Mittwoch ergriff Grünen-Stadträtin Arezoo Shoaleh im Ludwigsburger Gemeinderat das Wort: Veränderung beginne in den Familien, in der Erziehung unserer Kinder und im Verständnis, dass Gleichberechtigung Realität sein müsse.

Musk und Bloom fürchten, dass Empathie uns blind und irrational macht. Doch die Menschen in Ludwigsburg haben gezeigt: Empathie ist keine Schwäche, sondern eine Notwendigkeit. Aber sie allein reicht nicht – sie muss zur Verantwortung werden. Es liegt an uns allen, eine Gesellschaft zu schaffen, in der Rücksicht keine Ausnahme, sondern die Regel ist.