Göckelesmaier auf dem Cannstatter Volksfest Sie brachten das Göckele auf den Wasen
Als sie das neue Essen auf den Wasen brachten, waren die Schwaben skeptisch. Mittlerweile gehören gebratene Hähnchen zum Volksfest wie der Göckelesmaier.
Als sie das neue Essen auf den Wasen brachten, waren die Schwaben skeptisch. Mittlerweile gehören gebratene Hähnchen zum Volksfest wie der Göckelesmaier.
Der Mann hat einen ganz genauen Blick. Vermutlich könnte er auch als Röntgenapparat arbeiten. Zumindest was sein Zelt angeht. In fünf Meter Höhe formiert sich aus einzelnen Buchstaben das Wort „Kellnergang“. Und das erste e hat einen Riss oben im Bogen. Kaum merklich, aber einem fällt es auf: Festwirt Karl Maier.
Solche Akkuratesse, solch Perfektionismus liegt ihm im Blut, ohne Hingabe und Freude am Detail hätten weder er noch seine Vorfahren das machen können, was sie seit 90 Jahren tun: Menschen unterhalten und mit Speis und Trank versorgen. Und diesen runden Geburtstag feiern sie heuer beim Volksfest: 90 Jahre Göckelesmaier.
Noch ist die Forschung nicht so weit herauszufinden, ob es ein Festwirt-Gen gibt, aber wenn, dann hat Karl Maier es geerbt. Karl Maier junior, genauer gesagt. Sein Vater hieß ebenfalls Karl Maier. Der hatte Bäcker gelernt, aber eines Tages genug vom Brezelformen. Er kündigte, baute sich einen Eiswagen und reiste von 1928 an als Eisverkäufer umher. Drei Jahre später bot er als Maiers Karle Bratwürste vom Holzkohlegrill an.
Vor 90 Jahren kam er erstmals mit seinen Bratwürsten auf den Wasen. „Gegessen und getrunken wird immer“, war sein Motto. Doch er wollte die Schwaben auf einen neuen Geschmack bringen. Auf dem Oktoberfest aßen die Bayern schon längst Brathähnchen. Maier wollte diese Sitte nach Bad Cannstatt importieren, er lernte das Handwerk und eröffnete 1938 die erste Hähnchenbraterei auf dem Wasen. Er ließ einen speziellen Grill bauen und entwickelte seine Würzmischung – die bis heute nur Eingeweihte kennen.
Nach dem Krieg zimmerte er auf dem Wasen eine Festhalle zusammen, unter dem Motto „Göckele, Wurst und Bier, beim Maiers Karle schmeckt es dir“ war er der erste Festwirt, der auf dem Volksfest einen Neuanfang versuchte. Und als am Stammtisch zu viele Maiers und Meiers zusammensitzen, wurde aus dem Maiers Karle der Göckelesmaier. Er übernahm den Hofbräukeller im Marquardtbau, betrieb das Hofbräu-Zelt und organisierte Volksfeste in Tübingen, Ulm und Heilbronn.
Zu Zeiten, als samt Wulle noch vier Brauereizelte auf dem Wasen standen, war Karl Maier senior Wirt des Hofbräu-Zelts. 25 lange Jahre. Bis Hofbräu auf die Idee kam, am Hirschbuckel zu bauen, imposant sollte es dort werden, Gastro vom Imbiss bis zu gehobener Küche einziehen. Maiers Vater sollte das aufbauen und betreiben. Doch der wollte nicht: „Ich bin Festwirt und kein Gastwirt!“ Die Brauerei machte Druck, Maier knickte nicht ein. Da kam Hofbräu mit einem Schausteller namens Walter Weitmann ins Geschäft, er übernahm die Gastro am Hirschbuckel und das Zelt. Die Maiers waren raus – und übernahmen nach dem Wulle-Aus deren Zelt, wurden aber von allen Brauereien beliefert. Jeweils sechs Tage lang schenkten sie eine Marke aus und wechselten dann. Weil das die Kundschaft verwirrte und sie drauflegten, kauften sie ein kleineres Zelt. Mit Hofbräu söhnten sie sich später wieder aus und schenkten deren Bier beim Volksfest aus. Bis vor zwei Jahren. Nun gibt es wieder Wulle.
1957 heiratete Karl Maier seine Josefine. Sie hatte beim Oktoberfest im Büro eines Festwirts gearbeitet, kannte das Geschäft. 1973 stirbt Karl Maier im Alter von 73 Jahren. Josefine Maier stand mit ihrem sechs Jahre alten Sohn und dem Betrieb da. „Das war eine schwere Zeit“, erinnerte sie sich. Oft habe sie gezweifelt, ob sie das schaffe. Auf 14 Plätzen hatte Göckelesmaier sein Zelt aufgebaut und manche Feste als Veranstalter organisiert. „Jetzt kommt eine Frau und verhandelt mit den Schaustellern“, sagt sie, „die wollten sich zunächst nichts von mir sagen lassen.“ Sie ordnete den Betrieb neu, baute ein kleines Zelt und reiste fortan mit eigenen Angestellten. „Ich wollte den Betrieb für meinen Sohn erhalten.“
Das hat sie geschafft. 1998 übernahm Sohn Karl das Geschäft. „Ich bin da hineingewachsen“, sagt ihr Sohn. Als kleiner Junge trieb er sich auf der Wunderwelt der Rummelplätze herum, „doch wenn man alt genug ist, muss man mit anpacken“. Das hat er getan: immer, egal ob er bei der Bundeswehr war oder ob er in Bayreuth Betriebswirtschaft studierte. Und doch musste er überlegen, als ihn die Mutter fragte, ob er den Göckelesmaier weiterführen wolle. „Das war eine Lebensentscheidung“, sagt Karl Maier, „aber es war das Richtige.“ Der Name und die Tradition verpflichten.
Seitdem ist er der Göckelesmaier. Mit seiner Frau Daniela führt er den Betrieb. Drei Kinder haben die beiden, ob mal eines einsteigt, müsse man sehen, sagt Karl Maier. Interesse gebe es. Aber anders als bei allen anderen Kollegen auf dem Volksfest ist sein Geschäft ein ganzjähriges. Sie haben ihr Programm zwar reduziert, weil sich der Aufwand etwa in Tübingen, Ulm und Balingen nicht mehr gelohnt hat. Aber sie stehen immer noch im Frühling und im Herbst auf dem Wasen, in Göppingen, Bietigheim und Heilbronn ist er Veranstalter. Das heißt, „wir brauchen ein Zelt, das nicht nur beim Volksfest einsetzbar ist“. Es besteht aus Modulen, die in vielerlei Formen zusammenbaubar sein müssen.
Das bedeutet, sie sind von Anfang März bis Ende Oktober unterwegs. Deshalb kann er sich auch ein Kernteam aus 25 Männer und Frauen leisten, die fest beschäftigt sind. Für sie hat er durch das Reisen mehr als genug Arbeit. Allerdings bleibt das mit Abstand wichtigste Fest das Cannstatter Volksfest. Das bedeutet für ihn „17 Tage durchknüppeln, kaum Schlaf“.
Wo Göckelesmaier draufsteht, muss auch der Maier drin sein. Er muss ansprechbar sein, als Gastgeber präsent für seine Gäste, immer gute Laune zeigen – und sich im Hintergrund kümmern, dass keinem auffällt, wie viele Leute plackern und ackern für das Vergnügen. Und dass alle Details stimmen: so wie ein e an der Wand. Selbstverständlich ist der Riss längst repariert.