Die Wilhelmsschule in Wangen soll zu einer reinen Grundschule werden. Aus Sicht des Schulleiters Andreas Passauer wäre das eine Fehlentscheidung. Foto: Mathias Kuhn
Der Stadtbezirk Wangen wird wohl bald keine weiterführende Schule mehr haben. Die Werkrealschule steht vor dem Aus. Lehrer, Eltern und Kinder protestieren.
Ganz hat man in Wangen die Hoffnung noch nicht aufgegeben in Bezug auf die Zukunft der Wilhelmsschule. Doch die Zeichen sehen nicht gut aus, zumindest nicht für den Erhalt der Werkrealschule an dem Standort. In den vergangenen Monaten hatten sich viele dafür eingesetzt, diese zu erhalten. Darunter der Schulleiter Andreas Passauer, der Bezirksvorsteher Jakob Bubenheimer , die schulpolitische Sprecherin der SPD-Landtagsfraktion, Katrin Steinhülb-Joos, natürlich die Eltern- und Schülervertreter. Sie alle hatten dafür plädiert, dass für die Wilhelmsschule eine Sonderlösung gefunden wird und die Stadt der besonderen Situation in Wangen Rechnung trägt. Ohne die Werkrealschule hat der Bezirk keine weiterführende Schule mehr.
In der Beschlussvorlage des Bildungsreferats zur Weiterentwicklung der Sekundarstufe-Eins-Schulen in Stuttgart, die im Schulbeirat am Dienstag beraten wird, steht keine Sonderlösung für Wangen. Die Verwaltung schlägt generell vor, die Schulart Werkrealschule sukzessive ab dem Schuljahr 2026/27 auslaufen zu lassen und diese spätestens zum Ende des Schuljahres 2030/31 aufzuheben. An zwei Schulstandorten soll eine Realschule neu gegründet werden – diese sind:
die Rosensteinschule in Stuttgart-Nord
die Bismarckschule in Feuerbach
An der Rosensteinschule bleibt auch die Grundschule erhalten. Die übrigen Werkrealschulen sollen zu reinen Grundschulen werden, darunter auch die Wilhelmsschule.
Hintergrund der Vorhaben ist die Änderung des Schulgesetzes vom 29. Januar 2025, die neben der Rückkehr zum neunjährigen Gymnasium auch die Abschaffung des Werkrealschulabschlusses vorsieht. Dies gilt für alle Schülerinnen und Schüler, die von diesem Schuljahr (2025/26) an eine Werkrealschule besuchen. Die Stadt Stuttgart will als Träger jedoch keine Schulen, an denen man nur den Hauptschulabschluss ablegen kann.
Interim in Hedelfingen hat sich negativ ausgewirkt
Schon zuvor waren die Anmeldezahlen an den Werkrealschulen stark rückläufig. Sieben gibt es derzeit noch in Stuttgart – es waren mal 32 Standorte. 2012 hatte der Gemeinderat beschlossen, die Anzahl stark zu reduzieren. Drei der sieben Werkrealschulen konnten schon in diesem Schuljahr keine fünfte Klasse mehr bilden. Die Stadt betont in ihrer Vorlage, das liege nicht an der geringeren Qualität der Schulen, denn „zweifelsohne besteht an den Werkrealschulen eine hohe Kompetenz und große Erfahrung“.
An der Wilhelmsschule, die ebenfalls diesmal keine fünfte Klasse bilden konnte, macht man die schwierige räumliche Situation für die geringen Anmeldezahlen verantwortlich. Wegen Umbaumaßnahmen ist die Werkrealschule schon im dritten Schuljahr interimsweise in Hedelfingen untergebracht. „Das hat uns für die fünfte Klasse das Genick gebrochen“, so Schulleiter Andreas Passauer.
Schulleiter fürchtet, dass Schüler „verloren gehen“
In seiner Schulgemeinschaft blickt man mit großer Sorge auf das wahrscheinliche Aus. Passauer fürchtet, dass „diese Schüler verloren gehen“, die den familiären, kleinen Kontext der Werkrealschule bräuchten und vom Klassenlehrerprinzip profitierten. In Wangen habe man eine geringe Jugendkriminalität, das hänge auch mit ihrer erfolgreichen pädagogischen Arbeit zusammen. „Für unsere Schüler ist es Gift und auch für die Stadtgesellschaft“, warnt er vor den Folgen. Er hätte sich gewünscht, man hätte etwas Neues ausprobiert in der Großstadt Stuttgart – für die Schüler, die nicht ins vorgesehene Raster passen. „Da hat Mut gefehlt“, so Passauer.
Katrin Steinhülb-Joos (SPD) kritisiert, die Jugendlichen blieben „knallhart auf der Strecke“. Foto: Lichtgut/Ewska
Auch die Landtagsabgeordnete Katrin Steinhülb-Joos (SPD) kritisiert scharf, „die Werkrealschule abzuwickeln ohne entsprechende Alternativen im Stadtteil zu schaffen“. Die Jugendlichen blieben „knallhart auf der Strecke“. Sie versteht nicht, warum man nicht auf Kooperationen setzt. „Stuttgart-Wangen bekommt in voller Härte zu spüren, zu was die Vorgabe des Landes in vielen anderen Städten und Stadtteilen führen wird.“
Die Hoffnungen in Wangen liegen nun auf dem Gemeinderat. Der Beschluss wird am 4. Dezember gefällt.
„Jeder kennt jeden, das pusht einen“ – Statements aus der Schulkonferenz
Lehrkräfte Die Schulkonferenz der Wilhelmsschule Wangen setzt sich weiter „mit Nachdruck für den Erhalt unserer Werkrealschule“ ein, wie es in einer aktuellen Stellungnahme heißt. Man sehe in der Abwicklung „eine erhebliche Gefährdung der Bildungs- und Entwicklungschancen vieler unserer Schülerinnen und Schüler“, betonten die Lehrkräfte. Sie weisen unter anderem darauf hin, dass derzeit am Standort neue, zeitgemäße Fachräume speziell für die Sekundarstufe entstünden. „Diese Investitionen zeigen deutlich, dass unsere Schule auf die Zukunft ausgerichtet ist“.
Schüler 18 Punkte haben die Schülerinnen und Schüler zusammengetragen, warum sie ihre Schule nicht verlieren wollen. Zum Beispiel: „Jeder kennt jeden und das pusht einen, in die Schule zu kommen“ oder „Es ist besser, sich zu orientieren, da die Schule klein ist“ oder „Alle sind auf dem gleichen Stand, es gibt keine Niveaus“.
Eltern Auch die Eltern haben ein Statement verfasst, in dem sie herausheben, wie sehr die eigenen Kinder individuell gefördert würden und vom Klassenlehrerprinzip profitierten. Sie fragen sich: „Wo sollen diese Kinder in Zukunft angemessen beschult werden?“