Maria Wruck, Tochter der Unternehmerlegende Max Grundig, baut im Schwarzwald einen alternativen Tierpark auf. Ihre beste Freundin unterstützt sie dabei. Eine Reportage aus unserer Reihe "Archivschätze".

Reportage: Frank Buchmeier (buc)

Dieser Text erschien erstmals am 3. Oktober 2014. In unserer Reihe "Archivschätze" blicken wir zurück auf herausragende Reportagen und beantworten am Ende die Frage, was in der Zwischenzeit passiert ist.

 

Sasbachwalden - Wie ist das, wenn man so reich geboren wird, dass man niemals arbeiten müsste? Maria Wruck hat mit der Frage gerechnet, das ändert nichts daran, dass ihr die Frage nicht gefällt. Neben ihr sitzt eine Pressesprecherin, allzeit bereit einzugreifen, wenn die Unterhaltung ins Persönliche abdriftet. „Wir würden gerne unser Projekt in den Mittelpunkt stellen“, sagt die PR-Dame dann freundlich, aber bestimmt.

Maria Wruck wird im November 1980 geboren, als Tochter des damals 70-jährigen Max Grundig, Gründer eines Elektronikkonzerns mit Weltruf, und dessen dritter Ehefrau Chantal, Französin und vormalige Gesellschafterin der Familie. Das Mädchen wächst in Baden-Baden auf. Als sie neun ist, stirbt ihr Vater. Im Gymnasium entwickelt Maria ein Faible für Mathematik und Physik, studiert aber Psychologie. Sie folgt ihrem Freund nach Göttingen, heiratet, lässt sich scheiden, heißt dennoch nicht mehr Grundig, sondern Wruck. Sie kehrt nach Baden-Baden zurück, adoptiert einen herrenlosen Husky und legt einen Gemüsegarten an. Maria Wruck isst gerne Nudeln, leidet unter Flugangst und meidet Menschenmengen. Sie ist keine Nachteule, sondern ein früher Vogel: Sobald es dunkel wird, zieht sie sich in ihr Nest zurück.

Die Grundig-Erbin Maria Wruck könnte bis zum Ende ihrer Tage ein unbeschwertes Dasein führen, doch zum Glück fehlt ihr etwas: eine Aufgabe, mit der sie die Welt ein bisschen besser machen kann. Auf den Spaziergängen mit ihrer Hündin Emily denkt sie nach, sie sucht nach ihrem Weg zu einem erfüllten Leben. Eines Abends ruft sie ihre beste Freundin an. „Davina“, sagt sie, „ich habe eine Weltklasseidee.“

Wie durch ein Stahlseil verbunden

Drei Jahre später sitzen Maria Wruck und Davina Platz im Gasthof Engel in Sasbachwalden. Sie wirken wie zweieiige Zwillingsschwestern: äußerlich verschieden – die eine dunkelhaarig, die andere blond – aber im Geiste wie durch ein Stahlseil verbunden. Die beiden 33-jährigen Frauen kennen sich seit dem Kindergarten, und das, was sie nun bei Schnitzel mit Pommes erzählen, klingt so, als würden sie noch immer ihrem Jungmädchentraum folgen: Maria Wruck und Davina Platz wollen oberhalb des Schwarzwalddorfs Sasbachwalden einen 40 Hektar großen Tierpark mit angeschlossenem Seminar- und Therapiezentrum aufbauen.

Kann das gutgehen, wenn zwei Busenfreundinnen ein Großprojekt stemmen wollen? Der Gemeinderat in Sasbachwalden hat diese Frage bereits mit Ja beantwortet. Der Ferienort kann zwar mit schmucken Fachwerkhäusern und vorzüglichem Wein der Lage Alde Gott werben, die Gäste bleiben trotzdem weg. Am deutlichsten ist der touristische Niedergang auf dem Breitenbrunnen sichtbar: In 810 Meter Höhe thront verlassen ein ehemaliges Kurhotel. Vor zehn Jahren wollte die Kommune auf dem brachliegenden Areal eine Skihalle bauen lassen – „Europas größten Kühlschrank“, wie es in der Presse höhnisch hieß –, doch die Landesregierung genehmigte die teure Umweltsünde nicht. Vor diesem Hintergrund ist es verständlich, dass Maria Wruck und Davina Platz in dem Schwarzwalddorf nun wie Heilsbringerinnen verehrt werden: Ihr naturnahes Projekt soll jährlich 150 000 Besucher anlocken – Tierfreunde, Familien, Patienten, Schüler –, 4000 zusätzliche Übernachtungsgäste bringen und 50 Menschen einen festen Arbeitsplatz verschaffen.

„Willst du mein restliches Schnitzel?“, fragt Maria Wruck und schiebt ihren Teller zu Davina Platz hinüber. Das Gespräch verläuft ähnlich vertraut: Eine beginnt zu reden, die andere führt den Gedanken zu Ende. Die Konversation dreht sich um Zivilisationskrankheiten, um die Folgen ständiger Erreichbarkeit und um Emotionen, für die in unserer rationalen Welt kein Platz bleibt. Maria Wruck erklärt, was der amerikanische Psychologe Jon Kabat-Zinn unter Achtsamkeit versteht: Sie müsse verankert sein in der Demut und im Nicht-Wissen, in einer Offenheit allen Möglichkeiten gegenüber, aber auch in einem tiefen Einblick in sich selbst und in andere. Davina Platz ergänzt, dass man, wenn man dieser Meditationsrichtung folgen wolle, sich nicht unbedingt im Lotussitz stundenlang auf die eigene Atmung konzentrieren müsse. Man könne auch einfach ein Schaf beobachten: Schafe seien sensible Lebewesen, denen man mit Achtsamkeit begegnen könne, deren Nähe aber nicht in der Weise als bedrohlich erlebt wird, wie manche die Begegnung mit dem Mitmenschen erleben.

In Kleid und Pumps vor der Ruine

In der Tierwelt Breitenbrunnen sollen ausschließlich heimische Achtsamkeitserreger unterkommen: Damwild, Luchse, Wölfe beispielsweise und später auch Braunbären. Nach deutschem Recht wird die Anlage ein Zoo sein, aber einer – wie die beiden Gründerinnen beteuern – der jedem Geschöpf genügend Raum zur artgerechten Entfaltung bietet. Um diesen Anspruch einzulösen, wurden ein renommierter Tiergartengestalter und ein Experte für tiergestützte Therapie verpflichtet. „In unserer Arbeit soll alles zusammenfinden, was Davina und mich schon immer beschäftigt hat“, sagt Maria Wruck.

Über allem steht das Ziel, Aufklärungsarbeit zu leisten. Wer ein Schnitzel isst, soll sich zumindest fragen, wie das Tier gelebt hat, das scheibchenweise auf dem Teller landet. Wenn man das vom Aussterben bedrohte Bunte Bentheimer Schwein beim Wühlen im Schwarzwaldboden erlebt, soll einem klar werden, dass ein karg ausgestatteter Massenmaststall keinem Schlachtvieh gerecht werden kann. Um solche Botschaften in die Köpfe der Menschen hineinzubekommen, muss man den Tieren erst einmal einen Platz im Herzen der Menschen schaffen. Und das funktioniert nur über die direkte Begegnung.

Genug der Bildungstheorie, weiter geht’s mit Anschauungsunterricht. Maria Wruck fährt in ihrem britischen XL-Geländewagen voraus, die Serpentinen hinauf von Sasbachwalden zum Breitenbrunnen. Einst haben sich hier oben Kurgäste erholt, heute umweht den Ort ein Hauch von Morbidität. Das vordere Sandsteingebäude, Ende des 19. Jahrhunderts errichtet, ist von stählernen Bauzäunen umfangen. Die Balkone mit ihren gusseisernen Geländern drohen auch ohne Last abzustürzen. Maria Wruck steht in Kleid und Pumps vor der Ruine und blickt in die Zukunft.

20 Millionen Euro aus dem Privatvermögen

Mitte kommenden Jahres sollen die Bauarbeiten beginnen. Das Haupthaus bleibt erhalten, im Erdgeschoss wird ein Souvenirshop eingerichtet, im Obergeschoss wollen die beiden Geschäftsführerinnen ihre Büroräume beziehen, unterm Dach ist ein Seminarsaal geplant. Zwei weitere Gebäude werden saniert, die restlichen drei abgerissen und durch Neubauten in einem „modernen Schwarzwaldstil“ ersetzt, in denen ein Schaubauernhof, eine Cafeteria und ein Abenteuer-Camp eingerichtet werden. Für die Tierwelt Breitenbrunnen lässt Maria Wruck 20 Millionen Euro aus ihrem Privatvermögen springen, das Geld wurde auf eine frisch gegründete Stiftung übertragen.

Noch läuft die Genehmigungsphase, doch die ursprüngliche Kalkulation ist bereits hinfällig. Die Umweltverträglichkeitsprüfung verschlingt mehr als erwartet, weil jeder Grashüpfer, jede Erdkröte und jede Waldschnepfe erfasst werden müssen. „Wir würden lieber Geld für die Tiere ausgeben als dafür, dass die Tiere gezählt werden“, sagt Davina Platz. Auch bei der Geländegestaltung musste umgedacht werden: Auf der riesigen Grünfläche vor den Gebäuden sollten ursprünglich die Gehege angelegt werden. Nach der Ersteigerung stellte sich heraus, dass es sich um eine geschützte Feuchtwiese handelt. Nun müssen die Tiere im angrenzenden Wald untergebracht werden, in zwei Jahren sollen sie in ihre neuen Lebensräume einziehen.

Möglich, dass alle Bauwerke rechtzeitig fertig werden, dass sich alle Geschöpfe am Breitenbrunnen wohlfühlen und dass sich der Betrieb ohne weitere Zuschüsse trägt. Es kann aber auch anders kommen: explodierende Kosten, wochenlanger Schneefall, ausufernde Bürokratie. „Selbst wenn das hier schiefgeht, werde ich an dieser Aufgabe wachsen“, sagt Maria Wruck, und ihr ironisches Grinsen signalisiert, dass sie ungern auf solche Floskeln zurückgreift.

Eher Einsiedlerin als Paris Hilton

Der Initiatorin ist bewusst, dass sie sich in ein Dilemma hineinmanövriert. Einerseits ist ihre therapeutische Tierwelt auf öffentliche Beachtung angewiesen, andererseits führt sie gerne ein zurückgezogenes Leben. Ihre extrovertiertere Co-Stiftungsgeschäftsführerin Davina Platz, die als Protagonistin der SWR-Serie „Das Waisenhaus für wilde Tiere“ monatelang in Namibia vor der Kamera stand, könnte die Repräsentantinnenrolle versiert ausfüllen. Doch in der auf Prominenz fixierten Medienwelt wird sich kein Journalist die Chance entgehen lassen, mit der Tochter einer der größten Unternehmerpersönlichkeiten der Nachkriegsgeschichte zu reden – zumal es ohne das viele Geld, das Max Grundig mit seinem Elektronikkonzern einst erwirtschaftet hat, niemals eine Tierwelt am Breitenbrunnen geben würde.

Max Grundig Foto: dpa
Max Grundig gehörte zu jenen mythischen Männern, die deutsche Wirtschaftswundergeschichte schrieben. Er stammte aus bescheidenen Verhältnissen, sein Vater war Lagerverwalter. Mit 16 begann er eine Lehre als Einzelhandelskaufmann und bastelte sein erstes Detektorradio zusammen. Mit 22 machte er sich in Fürth mit einem Radiogeschäft selbstständig. Nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelte er den legendären Rundfunkbaukasten „Heinzelmann“, der zur Keimzelle der Grundig Radio Werke wurde. Von 1952 an war Max Grundig Europas größter Rundfunk- und Tonbandgeräteproduzent, er beschäftigte 38 000 Mitarbeiter. Die „Welt“ beschrieb ihn als „Ärmelaufkrempler der ersten Stunde, der einen Schuss Schlitzohrigkeit besitzt“. Selbst als die Globalisierung sein Imperium zunehmend schwächte, machte er noch ein glänzendes Geschäft: Max Grundig verkaufte sein berufliches Lebenswerk für Milliarden an den niederländischen Philips-Konzern.

Ein Ort, an dem Märchen real werden können

Seine Tochter könnte wie Paris Hilton leben, um die Welt jetten und sich auf Yachten vergnügen. Doch Maria Wruck mag keine Partys und keinen Glamour. Sie sei eher eine Einsiedlerin, erzählt sie, fühle sich in der Nähe von Tieren und in der Natur wohl. Und sie wolle nun das, was ihr selbst guttut, anderen Menschen nahebringen. „Letztendlich ist der Weg ungewiss“, schreibt Jon Kabat-Zinn, der amerikanische Professor, mit dessen buddhistisch inspirierten Lehren sie sich auseinandersetzt. „Alles, was wir tun können, ist, mit größter Aufmerksamkeit dem Ruf unseres eigenen Herzens zu folgen und unser Bestmögliches zu tun.“

Anima haben Maria Wruck und Davina Platz ihre gemeinnützige Stiftung getauft. In der analytischen Psychologie beschreibt dieser Begriff eine weibliche Seite des Mannes, die er in sich finden muss, um zu einer ganzheitlichen Persönlichkeit zu reifen. Dieses Motiv taucht auch in klassischen Erzählungen wie Dornröschen, Schneewittchen und Aschenputtel auf: Der eitle, an Kämpfen und sinnlosem Zeitvertreib interessierte Prinz muss sich auf den Weg machen, um die verzauberte Prinzessin und damit auch sich selbst zu befreien. So gesehen entsteht zurzeit im Schwarzwald ein Ort, an dem Märchen real werden könnten.

Die Geschichte der Unternehmerfamilie Grundig

Konzernboss:
Max Grundig, geboren 1908 in Nürnberg, stieg nach dem Zweiten Weltkrieg vom Elektrowarenhändler zum Wirtschaftsführer auf. In seinem Fürther Ladengeschäft entwickelte er den legendären Rundfunkbaukasten „Heinzelmann“, der zur Keimzelle der Grundig Radio Werke wurde. Max Grundig wusste, was die Kunden wünschen: Er bot das erste Fernsehgerät für einen Preis unter 1000 Mark an und Stereoanlagen mit Nussbaum- und Eichenfurnier. Nachdem Ende der 1970er Jahre die asiatische Konkurrenz den Weltmarkt aufrollte, gab er sein Imperium schrittweise an den niederländischen Philips-Konzern ab.

Privatmann:
1980 ließ sich Grundig von seiner damaligen Frau scheiden und heiratete die gut 40 Jahre jüngere Französin Chantal Rupert. Aus dieser Beziehung stammt das einzige gemeinsame Kind Maria. Die Familie zog von Fürth nach Baden-Baden. 1989 starb Max Grundig. Sein Vermögen hatte er in eine Familienstiftung überführt. Dadurch gewährleistete er, dass seine Nachkommen durch Ausschüttungen zwar bestens abgesichert sind, aber keinen direkten Zugriff auf das Kapital haben.

Nachkomme:
Maria Wruck wurde 1980 in Nürnberg geboren und wuchs in Baden-Baden auf. Sie studierte Psychologie an einer Fernuniversität. Mit ihrer neu gegründeten, gemeinnützigen Anima Stiftung will sie „den Menschen für Natur und Tierwelt sensibilisieren“.

Was ist seither geschehen? 

Im Herbst 2019 geben Maria Wruck und Davina Platz bekannt, dass sie die Planungen für die Anima Tierwelt in Sasbachwalden stoppen. Sie beklagen die Bürokratie, unter dem ihr Projekt gelitten habe. Bei all den behördlichen Vorgaben habe das Budget von 20 Millionen Euro nicht ausgereicht. Zu diesem Zeitpunkt waren bereits Bäume für einen Parkplatz gefällt worden. Das Gelände liegt seither brach, die Gebäude verfallen. Die Gemeinde Sasbachwalden sucht nach einem neuen Investor – bisher ohne Erfolg.