In unserer Serie „Mein 2017“ sprechen wir mit Menschen, die im vergangenen Jahr etwas Außergewöhnliches erlebt haben. Wir fragen nach, wie es ihnen geht, was sich inzwischen verändert hat und blicken auch ein wenig in die Zukunft. Heute: der 91-jährige Hans Huber aus Echterdingen.

Klima & Nachhaltigkeit: Judith A. Sägesser (ana)

Echterdingen - Das mit der Filderhalle hat ihm gestunken. Erst wollte Hans Huber nicht zur Weihnachtsfeier des Gemeinderats von Leinfelden-Echterdingen gehen. Diese ist jedes Jahr an einem anderen Ort im Stadtgebiet, 2017 eben in der Filderhalle. „Ich bin gegen die Filderhalle allergisch“, sagt Hans Huber. Als sie damals geplant worden sei, sei von viereinhalb Millionen Mark die Rede gewesen, gekostet habe der Bau mehr als 33 Millionen. Die Halle habe kein Lokalkolorit, sagt er. Deshalb wollte der Fraktionsvorsitzende der Freien Wähler die Weihnachtsfeier schwänzen. Doch ihm wurde bedeutet, dass er unbedingt dabei sein musste. Der Grund: OB Roland Klenk hat den 91-jährigen Echterdinger für 55 Jahre im Gemeinderat geehrt. Auf eine solche Amtsperiode blickt sonst keiner zurück. Jedenfalls ist beim Städte- und Gemeindetag nichts bekannt.

 

Hans Huber ist also ein Unikat. Er sagt: „Das ist keine Besonderheit, sich 55 Jahre den Hintern breit zu sitzen.“ Doch es gibt Momente, in denen schimmert auch beim resoluten Hans Huber so etwas wie Ehrfurcht durch. Ehrfurcht vor der eigenen Lebensleistung. „Es kann doch gar nicht sein, dass man so viel reinpackt in ein Leben“, sagt er. In 91 Jahren kommt da schon etwas zusammen. Neun Kinder, davon zweimal Zwillinge, um nur ein Beispiel zu nennen.

Die Bibliothek ist seine Schaltzentrale

Bevor Hans Huber am Schreibtisch in seiner Bibliothek sitzen bleibt und von diesem nimmermüden Leben erzählt, wuselt er durchs Zimmer. Seine Schritte lassen den Blutwurz auf dem Sekretär in der Flasche schwappen. Die Bibliothek ist seine Schaltzentrale, hier hat er alles griffbereit. Ein wenig unordentlich findet er es. Also räumt er dieses nach rechts und jenes nach links. „Überall liegen unerledigte Sachen“, grummelt er. „Ich muss 130 werden, um alles zu erledigen.“ Die Schränke und Regale voller Bücher und Skripte. An der Wand hängen Degen und Kappen, Hans Huber ist in der Tübinger Studentenverbindung Landsmannschaft Ulmia.

Irgendwie geht alles durcheinander. „Ich muss einen roten Faden finden“, sagt er und setzt sich endlich hin. Es war das Jahr 1962, als Hans Huber in die Lokalpolitik schlitterte. Er war ein junger Arzt, hatte die väterliche Praxis an der Hirschstraße in Echterdingen übernommen und Tag und Nacht geschafft. „Ich war bekannt dafür, dass ich immer erreichbar bin.“ Ohne Handy. „Ich habe heute noch keins.“ Jedenfalls kam er eines Abends zum Stammtisch in die Bauernwirtschaft, und dort tüftelten die Vorläufer der Freien Wähler ihre Liste für die Gemeinderatswahl aus. Die Stimmung war damals aufgeheizt in Echterdingen, sagt Hans Huber. Kurz zuvor war Bürgermeisterwahl gewesen, und die endete im erbitterten Streit. Der lokale Bewerber sei mit einer Handvoll Stimmen von einem Bewerber aus Plieningen übertrumpft worden. „Da gingen Risse durch Familien“, berichtet er. In ihm wuchs der Wille, sich zu engagieren. Doch er hatte eigentlich keine Zeit. Nach dem einen oder anderen Viertele ließ sich Hans Huber überreden und aufstellen – er wurde Stimmenkönig seiner Liste. Damals dachte er: „Das mache ich jetzt mal ein paar Jahre.“ Aus den paar wurden 55 – und ein Ende ist nicht in Sicht.

Will er sein Leben so vergeuden?

Es gab Momente, in denen er aufhören wollte. In denen er überlegte, „ob es richtig ist, sein Leben so zu verschwenden und zu vergeuden“. Und nun mit über 90 drängt sich die Frage erst recht auf: Wie lange noch? Aber es ist eben auch so, dass Hans Huber nichts verpassen will. „Wenn man sich wirklich engagiert, ist man verstrickt in die Sachen.“ 80 Prozent der Themen, die im Gremium debattiert würden, interessieren ihn nicht, sagt er. Als dienstältester Stadtrat erlaubt er sich deshalb eine gewisse Wurstigkeit. Er konzentriert sich auf die aus seiner Sicht wichtigen Dinge. Den Rest lässt er an sich vorbeiplätschern. Er nennt das Rationalisieren. „Das war für mich schon immer lebenswichtig.“ Einen Fernseher hatte er ewig nicht, und auf längeren Autofahrten hat er die Kassette reingeschoben und Italienisch gelernt.

Mit 91 könnte man ruhigen Gewissens Ruheständler sein. Hans Huber zieht aber anderes vor. Alles aufzuzählen, ginge nicht. Aber zumindest ein wenig: Er schreibt seine Erinnerungen auf, er forscht in der Studentengeschichte. Und samstags hat Doktor Huber Sprechstunde drüben in der Praxis. Hausbesuche macht er mal hier, mal dort und fast immer mit dem Rad. Er kann nicht loslassen, auch wenn die Kinder ihm regelmäßig versichern, dass er nicht täglich vorbeizuschauen braucht. Die Sprechstundenhilfen würden sich freuen, wenn er kommt, sagt Hans Huber. „Die Helferinnen stehen alle auf mich.“