In der katholischem Kirche hat der Monat der Weltmission begonnen – die größte katholische Solidaritätsaktion weltweit. In diesem Jahr stehen der Kampf gegen den Hexenwahn und die Klimazerstörung in Ländern des Südpazifik im Mittelpunkt. Über den Glauben an Hexen früher und heute.

Wochenend-Magazin: Markus Brauer (mb)

Die Alte, die Zauberin, die Magierin: Es gibt einige Synonyme für Hexe, die wohl stets eine Wissende war, mit Kräutern heilen und vielleicht nicht hellsehen, aber doch Zusammenhänge deuten konnte. Wissen aber beanspruchte einzig und allein der Klerus für sich. Deshalb wurden wissende Frauen als Hexen dämonisiert und verfolgt.

 
Tod einer als Hexe diffamierten Frau auf dem Scheiterhaufen: Holzschnitt von Erhard Schoen, Zürich 1533. Foto: Imago/Granger Historical Picture

Frauen über Jahrhunderte als Hexen verfolgt

Sogar Hebammen wurden als Hexen diffamiert und als Hexen verbrannt. So erging es vielen wissenden Frauen im ganzen Land, besonders aber im Harz, einem Schwerpunkt der Hexenverfolgung. In ganz Europa geht man von rund 50 000 Frauen aus, die dämonisiert und als Hexen verbrannt wurden.

Tatsächlich war die vermeintliche Teilnahme am „Hexensabbat“ in der Walpurgisnacht in der Nacht zum 1. Mai ein Hauptanklagepunkt bei zahlreichen Hexenprozessen der frühen Neuzeit. Nach heutigen Schätzungen fielen dem Hexenwahn bis zu 60 000 Frauen, Männer, sogar Kinder zum Opfer, fast die Hälfte davon in Deutschland.

Zur Zeit der Hexenverfolgungen des 16. und 17. Jahrhunderts wurde die „Wasserprobe“ oder das „Hexenbad“ eingesetzt, um den Hexereiverdacht gegen die angeklagten Frauen zu widerlegen oder zu bestätigen. Foto: Imago/United Archives International

Hexenritt auf dem Blocksberg

Dem Volksmund nach trafen sich die Hexen zunächst am Hexentanzplatz in Thale im Harz und ritten dann auf ihren Besen hinauf zum Brocken, um mit dem Teufel zu tanzen.

Wie unzählige Legenden und Sagen berichten, sollen sie in der Walpurgisnacht auch auf Katzen oder Ziegenböcken auf den Blocksberg reiten, um am großen Hexentanz teilzunehmen. Bevor sie jedoch dort und auf vielen anderen – zumeist nur in der jeweiligen Region bekannten – „Hexentanzplätzen“ mit dem Teufel das Tanzbein schwingen, treiben sie auf ihrer Reise allerlei Schabernack und richten so manchen Schaden an.

Richtig populär wurde die Walpurgisnacht durch Goethes „Faust“. Darin überredet Mephisto Faust, an einer Hexenfeier teilzunehmen. „Dort strömt die Menge zu dem Bösen; da muss sich manches Rätsel lösen“, hofft der verzweifelte Faust.

Hexenritt: Holzstich von Ulrich Militor aus „De Laniis et phitonicis mulieribus“, Konstanz 1489. Foto: Imago/Photo 12

Kampf gegen Hexenwahn und Gewalt

Dass es diesen Aberglauben bis heute gibt, dürfte viele überraschen. Doch Wahn und Extremismus sind so leicht auszulöschen. Schon gar nicht in den Köpfen der Menschen.

Der Kampf gegen den Hexenwahn steht auch im Mittelpunkt der neuen Aktion der katholischen Hilfswerke missio Aachen und missio München im Weltmissionsmonat Oktober stehen. In diesem Jahr stehen die ökologische und soziale Lage im Südpazifik – insbesondere auf den Inselstaaten Papua-Neuguinea, Vanuatu und den Salomonen – im Fokus.

Hexenprozess gegen Mary Walcott (1675-1720): Sie war eine der angeklagten Frauen bei den Hexenprozessen von Salem in Neuengland (USA) im Jahre 1692: In ihrem Verlauf wurden 19 Beschuldigte hingerichtet, 55 Menschen unter Folter zu Falschaussagen gebracht, 150 Verdächtigte inhaftiert und weitere 200 Menschen der Hexerei beschuldigt (Grafik von 1876). Foto: Imago/United Archives International

Bild der paradiesischen Idylle trügt

Auf den ersten Blick ein Paradies: tiefblaues Meer, weiße Strände, Palmen im Wind. Doch dieser Eindruck trügt. Auf einigen Inseln im Südpazifik wie Papua Neuguinea grassiert der Hexenwahn.

„Frauen werden als Sündenböcke für Krankheiten, Unfälle oder Naturereignisse verantwortlich gemacht und dann als vermeintliche Hexen verfolgt“, berichtet Helen Hakena, die Präsidentin der katholischen Frauengemeinschaft auf der Insel Bougainville, die zum Archipel der Salomonen gehört.

In den Hilfsprojekten gehe es darum, betroffene Frauen zu schützen, Traumatherapien anzubieten und sie später wieder in die Gemeinschaften zu integrieren, heißt es n´ei missio. „Wichtig sind natürlich auch Aufklärung und Bildung, damit die Menschen nicht länger solche Horrorgeschichten glauben, wenn irgendjemand anfängt, sie zu verbreiten“, erklärt Pfarrer Dirk Bingener, Präsident von missio Aachen. „Und die Täter müssen zur Verantwortung gezogen werden.“

Glaube an Hexerei weltweit verbreitet

Hexenwahn nur im fernen Papua-Neuguinea? Nein! Dass es Hexen gibt, die mit ihren übernatürlichen Fähigkeiten anderen Schaden zufügen können, daran glaubt eine überraschend große Zahl der Menschen weltweit. 40 Prozent der Bevölkerung in 95 Ländern sind davon überzeugt, wie eine im Fachmagazin „PLOS One“ veröffentlichte Studie zeigt.

Große regionale Unterschiede

Demnach ist der Glaube an Hexerei besonders stark in Staaten mit schwachen Institutionen und konformistischen Kulturen verbreitet, wo es Misstrauen und Angst verbreitet.

Die regionalen Unterschiede sind dabei sehr groß. So erklärten beispielsweise nur 9 Prozent der Befragten in Schweden, an Hexerei zu glauben, während es in Tunesien 90 Prozent waren. Hohe Werte zeigten sich auch in Marokko, Tansania und Kamerun. In Deutschland lag der Prozentsatz bei etwa 13 Prozent und damit vergleichsweise niedrig.

Des Teufels Buhlschaft: Druck aus der „Edition of Compendium Maleficarum“ von Francesco Maria Guazzo, 1626. Das Kompendium diente Hexenjägern als praktische Anleitung. Foto: Imago/UIG

UN-Resolution gegen Hexenwahn

Diese Wahnideen ist also beileibe kein Phänomen des Mittelalters: Auch heute noch werden vielerorts vor allem Frauen und Menschen mit Albinismus aufgrund vermeintlicher magischer Fähigkeiten angegriffen und umgebracht. Die Verfolgung ist so gravierend, dass der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen 2021 sogar eine Resolution veröffentlichte, die zur Verurteilung entsprechender verletzender Praktiken und Angriffe auffordert.

Glaube an Hexerei ist Teil der globalen Kultur

Allerdings fehlten bislang statistische Analysen auf globaler Ebene, die zeigen, wie weit der Hexereiglaube verbreitet ist. Damit hatte sich der Wirtschaftswissenschaftler Boris Gershman von der American University in Washington in der „PLOS One“-Studie beschäftigt. „In den letzten Jahrzehnten hat sich jedoch unter Wirtschaftswissenschaftlern die Erkenntnis durchgesetzt, dass es wichtig ist, die Kultur und ihre Verbindung zum wirtschaftlichen Verhalten zu verstehen“, erklärt er. Und der Glaube an Hexerei sei ein wichtiger Teil der Kultur auf der ganzen Welt.

Gershman stellte einen Datensatz zusammen, der mehr als 140.000 Menschen aus 95 Ländern und Regionen umfasst. Er basiert auf zwischen 2008 und 2017 durchgeführten Umfragen. Darin gaben über 40 Prozent der Befragten an, dass sie glauben, dass „bestimmte Menschen Flüche oder Zaubersprüche aussprechen können, die dazu führen, dass jemandem Schlimmes widerfährt“.

In Papua-Neuguinea ist der Glaube an das Übernatürliche fest verankert. Diese Asaro-Schlammmenschen in Goroka spielen eine Geschichte aus der Mythologie nach Foto: dpa/Christiane Oelrich

Welche Faktoren den Hexenglaube bestimmen

Boris Gershman hat beobachtet, dass der Hexereiglaube zwar in allen soziodemografischen Gruppen verbreitet, bei Menschen mit höherem Bildungsniveau und größerer ökonomischer Sicherheit allerdings weniger wahrscheinlich ist.

Auf Länderebene hänge er zudem von verschiedenen kulturellen, institutionellen, psychologischen und sozioökonomischen Faktoren ab.

So sei der Glaube an Hexerei insbesondere in Ländern mit schwachen Institutionen, geringem sozialem Vertrauen und geringer Innovationskraft verbreitet.

Hexenritt: Druck von circa 1799. Foto: Ima/go/The Print Collector/Heritage Images

„Jede Abweichung kann zu einer Anklage führen“

Eine frühere Studie Gershmans hatte bereits nahegelegt, dass es einen Zusammenhang zwischen Hexereiglauben und der Erosion sozialen Kapitals gibt, mit dem gemeinhin der Grad des Zusammenhalts in einer Gemeinschaft beschrieben wird.

„Er zwingt einen dazu, sich den lokalen Normen anzupassen, weil jede Abweichung zu einer Anklage führen kann“, schrieb der Ökonom damals. Diese Art der erzwungenen Konformität aus Angst führe zu Unbeweglichkeit und behindere die Schaffung von Wohlstand und die Durchsetzung von Innovationen.