Ingenieurin aus Baden-Württemberg An FSME erkrankt – ein Zeckenstich ändert Julias Leben

Julia B. lebt in der Nähe von Crailsheim (Kreis Schwäbisch Hall). Foto: privat

Julia B. entdeckt im Juni 2019 eine Zecke an ihrem Körper. Vier Wochen später kann sie nur gestützt in die Notaufnahme gehen. Die Ingenieurin erkrankt an FSME, eine Entzündung des Gehirns. Arbeiten wie früher? Dafür gibt es kaum Hoffnung.

Baden-Württemberg: Florian Dürr (fid)

Julia B. hatte noch viel vor in ihrem Leben: Die 41-Jährige wollte ihren Weg von der Hauptschule bis zur Ingenieurin weiter fortsetzen, eines Tages promovieren. „Ich war noch lange nicht am Ziel“, sagt sie. Doch am 1. Juni 2019 durchkreuzt ein wenige Millimeter großes Tierchen ihre Pläne: Eine Zecke saugt sich fest in der Haut der damals 35-Jährigen. „Es war vielleicht die dritte Zecke in meinem Leben“, vermutet Julia. Halb so schlimm, denkt sie sich da noch, entfernt die Zecke und beobachtet in den folgenden Tagen die Einstichstelle. Die bleibt unauffällig, also verschwendet Julia B. keinen Gedanken mehr daran. Bis zum 29. Juni.

 

„Ich konnte nichts essen, nicht laufen“

Beide Tage hat sie für das Gespräch auf einem kleinen Zettelchen notiert. Es ist ein sonniger Mittag, Julia B. sitzt mit ihrem Cappuccino draußen vor einem Café in Crailsheim (Kreis Schwäbisch Hall), 15 Autominuten von ihrem Wohnort entfernt. Sie hört selbst wenig von Betroffenen, denen es so geht wie ihr, deshalb ist es ihr wichtig über ihre Erkrankung zu sprechen: FSME, Frühsommer-Meningoenzephalitis, eine Hirnhautentzündung – übertragen durch die Zecke.

Wer in Gebieten mit Schildern wie diesem unterwegs ist, sollte sich danach nach Zecken absuchen. (Symbolbild) Foto: dpa/Sven Hoppe

Vier Wochen nach dem Stich merkt sie bei einem Treffen mit einem Freund, dass etwas nicht stimmt. „Mir war schwindelig und ich war müde, aber ich konnte es nicht einschätzen“, sagt sie heute. Am nächsten Morgen wird sie von starken Kopfschmerzen geweckt, kriegt kaum einen Fuß vor den anderen. Ihr Vater fährt sie ins Krankenhaus, stützt sie auf dem Weg vom Auto in die Notaufnahme. Dort erhält sie Schmerzmittel und wird wieder weg geschickt. „Ich war dann die ganze Woche zuhause, konnte nichts essen, nicht laufen“, berichtet Julia B..

Ihr HNO-Arzt meint damals: „Es muss irgendwas mit dem Kopf sein.“ Der Hausarzt überweist sie schließlich in die Neurologie. Drei Tage später steht die Diagnose fest: FSME. „Ich hatte das mit der Zecke schon die ganze Zeit im Hinterkopf, aber das hat die Ärzte anfangs nicht interessiert“, sagt Julia B. Anschließend muss sie sieben Wochen in Reha, um die simpelsten Dinge wieder zu lernen: Haare kämmen, Zähne putzen, schreiben.

Als Ingenieurin kann Julia B. nicht mehr arbeiten

Gegen FSME war sie nicht geimpft, Zecken hatte sie ohnehin so gut wie nie – und die Impfung deshalb nicht für nötig empfunden. Fast ganz Baden-Württemberg gilt als FSME-Risikogebiet. Der beste Schutz gegen eine Infektion ist die Impfung, informieren die Ständige Impfkommission (Stiko) und Landesgesundheitsminister Manfred Lucha (Grüne). Wegen des milden Winters habe die Zeckensaison im Südwesten in diesem Jahr bereits im Januar begonnen, als das Robert-Koch-Institut (RKI) erste Fälle von FSME-Erkrankungen meldete. Laut Ministerium liegt die Wahrscheinlichkeit einer FSME-Infektion nach einem Zeckenstich in Risikogebieten bei einer Person von 50 Personen bis zu einer Person von 100 Personen.

Julia B. berichtet, dass sich nach ihrer Infektion damals einige in ihrem Freundeskreis impfen ließen. Die Krankheit ist in den meisten Fällen nach Abklingen der Symptome überstanden, doch es kann auch zu schweren Verläufen kommen. Wie bei Julia B., die heute noch mit den Folgen zu kämpfen hat. „Ich hätte nicht gedacht, dass ich es nicht mehr so richtig wegbekomme“, sagt sie. Kopfschmerzen, Konzentrationsprobleme und schnelle Erschöpfung – das sind Symptome, die die 41-Jährige heute noch beeinträchtigen und die sie an Long Covid erinnern. Als Ingenieurin kann sie deshalb nicht mehr arbeiten, Julia B. lebt von der Erwerbsminderungsrente und ihrer Berufsunfähigkeitsversicherung.

Tanzen oder Joggen wie früher? Heute unmöglich

Wenn sie unter Leuten ist oder wie an diesem Mittag in einem Gespräch mit der Zeitung, dann „kann ich mich nachher hinlegen“, sagt sie. Wie „verkatert“ fühle sie sich dann. Trotzdem versucht die 41-Jährige einem einigermaßen geregelten Alltag nachzugehen: Morgens erledigt sie den Haushalt, kümmert sich um ihren Kater oder macht Sport – und sie engagiert sich ehrenamtlich beim Sozialverband VdK, der sich um ihren Rentenantrag und Behindertengrad gekümmert hat. Gegen Nachmittag dann eine Stunde Ausruhen. Freunde treffen geht einmal pro Woche, alles andere würde sie zu sehr erschöpfen.

Früher hat Julia B. gerne getanzt, jahrelang, erzählt sie, Standardtänze mit aufwendigen Figuren. „Aber das geht nicht mehr wegen der Drehungen“, sagt sie. Auch ein Halbmarathon wie im Jahr 2017 ist heute undenkbar, Joggen ist generell nicht möglich. Stattdessen geht sie nun walken mit Stöcken oder macht Sport im Fitnessstudio.

Julia B. sieht auch die vielen Verbesserungen der vergangenen Jahre

Die Metal-Konzerte aber, auf die sie immer gerne gegangen ist, lässt sie sich nicht entgehen. Auch wenn sie das danach „büßen“ muss, wie sie sagt: „Aber das nehme ich in Kauf, dann plane ich anschließend zwei Tage nichts ein – und gehe schon ausgeruht und fit hin.“ Doch arbeiten wie früher und Karriere machen? „Die Hoffnung macht mir keiner mehr“, sagt sie.

Der Zeckenstich hat ihr Leben verändert. Aber wenn Julia B. zurückschaut, sieht sie auch die vielen Verbesserungen der vergangenen Jahre: „Ich kann wieder laufen, schreiben, ein selbstständiges Leben führen – das weiß ich zu schätzen.“

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